Presseschau zur Parlamentswahl in Polen

Von | 11. Oktober 2019

Am 13. Oktober finden in Polen die Wahlen zum Sejm (Parlament) statt. Wir dokumentieren hier übersetzte Artikel aus Polnischen Medien dieser Tage, die wir dem Pressespiegel von Mitte 21 – Verein zur Förderung der Völkerverständigung und der Demokratie e.V., übernehmen.
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Wyborcza.pl, das Online-Portal der Gazeta Wyborcza, schreibt:
Polen als Beute einer Partei

Noch nie hat sich eine Regierungspartei seit dem Fall des Kommunismus so bedeutende Bereiche des Staatswesens gefügig gemacht.

Die vier Jahre der Herrschaft der PiS sind eine Zeit des unglaublichen Ausbruchs von Skandalen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Dritten Republik Polen wird ein hoher Staatsbeamter, der Leiter der polnischen Finanzaufsichtsbehörde, der Korruption verdächtigt. Der Premierminister will eine seltsame Transaktion, Immobilien zu einem extrem günstigen Preis zu kaufen, nicht erklären. Dem Präsidenten der Regierungspartei wird vorgeworfen, 50 000 PLN von einem österreichischen Geschäftsmann erpresst zu haben für einen Priester, ohne dessen Zustimmung in Warschau nicht mit dem Bau eines Wolkenkratzers begonnen werden konnte. Aus staatlichen Mitteln und aus einer von staatlichen Unternehmen finanzierten Stiftung fließen Millionen von Geldern für mit der Regierungspartei verbundene Personen. Eine von Zbigniew Ziobro geförderte Gruppe von Richtern befasst sich unter Verwendung vertraulicher Informationen mit der Verbreitung von Hass im Internet. Der Finanzminister und der spätere Leiter des Obersten Rechnungshofs vermietet in Krakau Mietshäuser für die Bedürfnisse eines Stundenhotels. Der Skandal um das Breslauer Rote Kreuz, an dem lokale PiS-Politiker beteiligt sind, wird unter den Teppich gekehrt.

Heute sind alle Geheimdienste Mariusz Kamiński unterstellt, einem engen Mitarbeiter von Jarosław Kaczyński. Die Staatsanwälte werden von Ziobro streng kontrolliert, und das TVPiS wird persönlich von Jacek Kurski gesteuert. Durch dieses geschlossene System fühlen sich Aktivisten der Regierungspartei immer straffreier.

Milliarden in den Händen der Partei

Vor dem Jahr 2015 hatten die regierungsbildenden Parteien sowie ihre Kommunalpolitiker Einfluss auf die Besetzung staatlicher Unternehmen. Die Säuberungen waren jedoch noch nie so gründlich wie unter der PiS. Bei Ernennungen von Vorstandsvorsitzenden wurden Sachkompetenzen noch nie so missachtet.

Mehrere PiS-Politiker schlossen sich den Vorständen an. Wojciech Jasiński, Abgeordneter für mehrere Amtszeiten, wurde Leiter von Orlen. Ein weiterer Abgeordneter Andrzej Jaworski wurde Mitglied der Geschäftsleitung der PZU, dann PKO BP und schließlich der Nationalen Zuckergesellschaft. Małgorzata Sadurska ist aus der Kanzelei von Präsident Duda in den Vorstand der PZU gewechselt. Der Abgeordnete Maks Kraczkowski wurde Vizepräsident der größten polnischen Bank PKO BP. Es war sein erster Job außerhalb der Politik.

In den meisten staatlichen Unternehmen wechseln die CEOs durchschnittlich einmal im Jahr, was auf Kriege zwischen lokalen PiS-Politikern und auf die Rivalität zwischen Premierminister Morawiecki und Ziobro zurückzuführen ist. Zu Leiter großer Unternehmen werden Menschen, die unter Marktbedingungen höchstens von der Position eines kleinen Abteilungsleiters träumen könnten. Ein Beispiel ist der derzeitige Präsident von PKN Orlen Daniel Obajtek, ehemaliger Gemeindevorsteher von Pcim, der vor nur fünf Jahren sein Studium im Bereich Umweltschutz an der Privaten Hochschule für Umweltschutz in Radom abgeschlossen hat.

Unter guten wirtschaftlichen Bedingungen und mit einer monopolistischen Position erzielen staatliche Unternehmen Gewinne, obwohl ihr Börsenwert und die gezahlten Dividenden sinken. Kaczyński ist das egal. Diese Unternehmen haben – wie alles, was PiS unterstellt ist – die unmittelbaren Interessen der Partei zu verfolgen. Die von der Regierung kontrollierten Unternehmen haben sich der polnischen Nationalstiftung angeschlossen, die Millionensummen für die PiS-Propaganda zur Verfügung stellt und es den befreundeten Personen ermöglicht, Geld zu verdienen.

Weil die PiS, einschließlich Ministerpräsident Morawiecki, die Wirtschaftspolitik als manuelle Kontrolle staatseigener Unternehmen verstehen und als Ausgeben der öffentlichen Gelder für die von Politikern festgelegten Ziele. Eine schlechte Managementqualität führt dazu, dass diese Ziele nicht erreicht werden. Ein Beispiel ist der ungeschickte Versuch, die staatseigene Schiffbauindustrie wiederherzustellen, die, abgesehen von der Ausgabe vieler Millionen öffentlicher Gelder, keine Wirkung hatte.

PiS will mehr

Kaczyńskis Partei kündigt in einem kürzlich veröffentlichten Programm an, dass sie sich damit nicht zufriedenstellt. Sie will, „die Position der Woiwoden verbessern“, das heißt, die Kompetenzen der lokalen Verwaltungen einschränken. Bereits in dieser Amtszeit wurden sie schrittweise an den Rand gedrängt. Das verabschiedete Gesetz über Rechnungskammern gab der Regierungsverwaltung ein Instrument, um die Kommunalverwaltungen vollständig außer Gefecht zu setzen. Es wurde von Präsident Duda mit einem Veto belegt, aber wenn die PiS die Wahl gewinnt, wird die Regierung mit Sicherheit zu dieser Angelegenheit zurückkehren.

Das PiS-Programm kündigt die Kontrolle des journalistischen Milieus und der Künstler durch Gesetze an, in denen festgelegt wird, wer Journalist und Künstler sein kann und wer nicht. Politiker von der PiS übernehmen, wenn sie solche Möglichkeiten haben, die Kontrolle über kulturelle Institutionen, entlassen unabhängige Theaterregisseure und besetzen sie mit viel weniger bekannten Künstlern, die jedoch die „Parteilinie“ umsetzen.

Das Geld aus den Kassen des Kulturministeriums geht an selten verkaufte rechte Zeitschriften, Subventionen für kulturell wichtigere Zeitschriften mit langjähriger Tradition werden zurückgezogen. Die vom Minister subventionierten Museen sind mit gehorsamen Vollstreckern besetzt.

Trotz allem verteidigt die Kultur ihre Unabhängigkeit, wie die Künstler auf dem polnischen Filmfestival in Gdynia kürzlich unter Beweis stellten. Es ist davon auszugehen, dass bei einem Wahlsieg der PiS das nächste Festival unter dem Diktat der politischen Kommissare stattfindet.

Die Privatunternehmer werden bereits durch Kontrollen und zunehmend restriktive Vorschriften gebremst, sie können der Partei vollständig untergeordnet werden, wenn das Gesetz über die Haftung von Kollektivunternehmen in Kraft tritt. Das Projekt wurde vom Justizministerium vorbereitet. Ihm zufolge wird der Staatsanwalt in der Lage sein, vorbeugende Maßnahmen gegen das Unternehmen (z. B. ein Verbot der Durchführung bestimmter Aktivitäten) anzuwenden, wenn er feststellt, dass es eine Straftat begangen hat. Der Vorstand kann Berufung einlegen, aber bevor ein faires Urteil gefällt wird, wird das Unternehmen zahlungsunfähig.

PiS entschied vor der Wahl nicht, dieses Gesetz anzunehmen, vielleicht aus Angst, die Stimmen der Unternehmer zu verlieren. Das Projekt wurde jedoch nicht vom Parlament zurückgezogen.

Wir haben Macht und wir werden sie nutzen

Ludwik Dorn, der jahrelang mit Kaczyński zusammengearbeitet hatte, bemerkte auf Gazeta.pl, dass der Abbau der Gewaltenteilung durch PiS und die Übernahme der Kontrolle über andere Gebiete keinen Sinn haben, sondern nur das Ergebnis des „inneren Imperativs eines Protozoons ist – fortbewegen, wachsen, alles beseitigen, was das Fortbewegen erschwert“. Also wollen Kaczyński und seine Partei die allergrößte Macht haben, aber sie haben beabsichtigen nicht oder sind nicht in der Lage sie zu nutzen, um sich dauerhaft den Staat zu unterwerfen und ein autoritäres System zu schaffen, in dem die Opposition nie die Chance haben wird, Wahlen zu gewinnen.

Dies ist eine optimistische, aber riskante These. Dass es immer noch keine Zensur gibt, keine Massenverhaftungen von Oppositionspolitikern und keine Bestrafung von Personen, welche die Regierungspartei kritisieren, ist darauf zurückzuführen, dass die PiS trotz ihrer Bemühungen die Medien und Gerichte sich nicht vollständig gefügig gemacht hat.

Wenn diese beiden Inseln der Unabhängigkeit versenkt werden, wird die PiS die autoritäre Macht haben und es erübrigt sich zu raten, wofür sie sie verwenden wird.

Den Originalbeitrag in polnischer Sprache lesen Sie unter: http://wyborcza.pl/7,166575,25233422,polska-lupem-partii.html#S.DT-K.C-B.2-L.1.duzy


Das Online-Portal crowdmedia.pl schreibt:

Die Kirche teilt den Gläubigen ausdrücklich mit, wen sie wählen
sollen. Das zeigt den völligen Moralverfal

Die Trennung von Kirche und Staat war eine große zivilisatorische Errungenschaft in Europa, welche die Jahrhunderte der Nutzung der Religion als Instrument der Politik und des Kampfes um Einfluss und nicht als ein System der moralischen Prinzipien und Überzeugungen beendete. Die Trennung beider Sphären ermöglichte es religiösen Institutionen, Menschen nicht wegen ihrer Ansichten aus ihren Reihen auszuschließen, und verringerte auch das Risiko politischer Korruption, wenn eine Institution, die Millionen von Wählern besser als selbst die größten Medien des Landes erreicht, ihre Kommunikationskanäle einfach für das gegenwärtige Interesse der Würdenträger nutzen konnte. In Polen hinkt jedoch die Trennung von Kirche und Staat hinterher. In letzter Zeit äußern sich Geistliche kühn zu politischen Fragen und werden häufig zu den zentralen Figuren des Streits um die Parlamentswahlen in Polen. Heute erreichen wir den Punkt, an dem die Kirche die Regierungspartei bei den Wahlen ausdrücklich unterstützt.
Beispiele der Pfarreien, die eher Werbetafeln von PiS-Politikern als Tempeln ähneln, sind zu Hunderten zu finden (die letzten aus Częstochowa, Białystok und Rzeszów), aber hier konnte der Bischof immer behaupten, es seien verlorene Schafe, einzelne Priester, die eigenhändig die PiS unterstützten. Diese Ausreden gelten nicht mehr, weil der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz den Gläubigen jetzt selbst mitteilte, für wen sie stimmen sollten. Erzbischof Stanisław Gądecki gab eine spezielle Wahlerklärung heraus, in der wir nachlesen können, was einen „guten Kandidaten“ auszeichnet. Diese Beschreibung scheint jedoch eine Kopie der Rede von Jarosław Kaczyński zu sein, mit dem Unterschied, dass die regierende Partei nicht namentlich erwähnt wird, sondern zum suggestiven Objekt des gesamten Textes geworden ist.
Der Geistliche wies darauf hin, dass alle Katholiken, unabhängig von ihren Ansichten, bestimmte Verantwortlichkeiten haben:
„Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es – was die Ordnung der weltlichen Angelegenheiten betrifft – auch legitime Meinungsverschiedenheiten zwischen Katholiken geben kann. Pluralismus kann jedoch nicht moralischen Relativismus bedeuten, (…) ethische Grundprinzipien (…) können nicht Gegenstand von Verhandlungen sein.“
Das Problem entsteht jedoch, wenn ein Würdenträger diese Grundwerte definiert. Die stimmen in der Tat mit der aufdringlichen Tagesbotschaft der Guten Wende in den letzten Monaten überein. Wir haben hier also eine Hysterie bezüglich der Sexualerziehung in Schulen, bezüglich der Akzeptanz für ein offenes Leben der LGBT-Personen in der Gesellschaft oder bezüglich des Problems der Abtreibung.
„Katholiken sollten Programme unterstützen, die das Recht auf Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod verteidigen, eine rechtliche Definition der Ehe als dauerhafte Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau garantieren, die Familienpolitik fördern, die Fruchtbarkeit fördern und das Recht der Eltern gewährleisten, ihre eigenen Kinder im Einklang mit dem Glauben und den moralischen Überzeugungen zu erziehen.“
Deshalb haben wir es mit diesen Themen für Katholiken zu tun: eine „Mann-Frau-Normalfamilie“ geprägt von Nationalisten und der PiS, deutliche Worte des Vorsitzenden „Finger weg von unseren Kindern“, LGBT-freie Zonen und Gewalt in Bialystok. Wir haben die Sexualisierung von Kindern, ein Thema, das von der PiS kreiert wurde, obwohl die Regierung das Bildungssystem kontrolliert und für den Kernlehrplan des Schulunterrichts verantwortlich ist. Ohne Kontrolle über das Bildungsministerium kann also niemand etwas dagegen tun, und wenn man sich die Opposition anschaut, will es auch niemand. In der Zwischenzeit gab es in der polnischen Schule viele Jahre lang Sexualkundeunterricht, obwohl er unbeholfen durchgeführt wurde. Wir haben es mit der Agitation einer Partei zu tun, zumal diese Art von Unterricht entgegen den politischen Unterstellungen des Erzbischofs freiwillig ist und die Eltern beschließen, ob das Kind daran teilnimmt. Und dann gibt es da noch 500+. Schließlich hat niemand eine Familienpolitik wie die PiS. Bei Letzterem ist die Andeutung klar, aber wenn man sich an die Fakten hält, muss man feststellen, dass die PiS-Vorgänger den Kindern Steuervorteile gewährten und im Fall der Nachkommenschaft nicht die Zentralregierung das meiste tut, sondern die Kommunen, die die Kindergarteninfrastruktur entwickeln. Wenn man sich an die Tatsachen hält, hat die Aussage des Geistlichen keinen Sinn, da es keine Kandidaten gibt, welche die Familie nicht unterstützen. Eine solche Manipulation des Erzbischofs Gądecki ist Teil des PiS-Wahlkampfs. Für Zweifler, die das Obige für eine „totale“ Hysterie halten könnten, bringe ich ein weiteres Fragment der Aussage, das die Linken und indirekt die Bürgerkoalitionen mit Argumenten direkt vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVP trifft: „Daher können Katholiken keine Programme unterstützen, welche die Abtreibung fördern, welche versuchen, die Institution der Ehe neu zu definieren, die Rechte der Eltern im Bereich der Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder einschränken und die Demoralisierung von Kindern und Jugendlichen fördern. Sie können sich nicht für einen Kandidaten entscheiden, der Ansichten zum Ausdruck bringt, die aus politischer und moralischer Sicht riskant sind.“
Leider gibt es im Text von Stanisław Gądecki keinen Platz für die interne Entscheidung der einzelnen Gläubigen. Hier gibt es keinen Platz für die im menschlichen Leben typischen Grautöne. Stattdessen wird den Gläubigen eine klare Trennung zwischen „gut“ und „böse“ geboten, denen die politischen Lager im Land den Gläubigen eindeutig zugeordnet sind. Damit ist die katholische Kirche in Polen zu einer freien Plattform für den Wahlkampf für die PiS geworden. Das ist äußerst verwerflich, denn es ist klar, dass Geistliche es vorziehen, ihre Interessen zu verfolgen, anstatt die Gläubigen zu retten. Genau wie die Kaufleute, die Jesus im Evangelium aus dem Tempel verjagen musste.

Den Originalbeitrag finden Sie unter: hhttps://mitte21.us13.list-manage.com/track/click?u=e238cbe3a2da7c4d6b4ea5005&id=1ab45edcce&e=047e92881ettps://crowdmedia.pl/przewodniczacy-episkopatu-mowi-wiernym-na-kogo-glosowac-sojusz-kosciola-z-pis-osiaga-stan-patologii/?fbclid=IwAR1wbZ9_HyPcjSo5ZlJ8xYOs-D_ZDJAZr1XuYuir1j0Q-1vairczJGj6rEk