Szenario der verbrannten Erde?

Von | 16. August 2021

Erklärung der Botschafterkonferenz der Republik Polen

Eine Gruppe ehemaliger polnischer Botschafter hat sich vor einiger Zeit zur „Botschafterkonferenz der Republik Polen“ zusammengeschlossen.

Wir dokumentieren hier die aktuelle Erklärung der Konferenz zur politischen Haltung Polens zur EU.

Szenario der verbrannten Erde?

In der Stellungnahme der Botschafterkonferenz der Republik Polen vom 12. Juli 2021 „Der Einsatz ist die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union“ haben wir betont, was für ein Fehler es ist, den sich zuspitzenden Konflikt zwischen der PiS-Regierung und der Europäischen Union auf einen „Rechtsstreit“ zu reduzieren. Es geht vielmehr um grundlegende Angelegenheiten – demokratische oder autoritäre Verfassung Polens und seinen Verbleib (oder nicht) in der Europäischen Union. Es ist schwer der Einschätzung zu widerstehen, dass Jarosław Kaczyński in den Beziehungen zu den wichtigsten Partnern Polens – Europäische Union und USA – bewusst zu einer Taktik der verbrannten Erde gegriffen und einen Weg ohne Wiederkehr gewählt hat, um nur um jeden Preis an der Macht zu bleiben, um den Preis eines Austritts Polens aus der Europäischen Union und der radikalen Schwächung der polnischen Sicherheit im internationalen Umfeld.

Der Niedergang der Rechtsstaatlichkeit in Polen hat verheerende Auswirkungen auf die Beziehungen zu unseren Verbündeten. Geradezu symbolisch für die Zerrüttung der Stellung Polens und den totalen Verfall der sogenannten Außenpolitik der PiS steht die Nichtberücksichtigung Polens durch Deutschland und die Vereinigten Staaten bei der Ausarbeitung einer grundlegenden Verständigung betreffend Nord Stream 2 und die Absage des Treffens der beiden Regierungen anlässlich des 30. Jahrestages der Unterzeichnung des Gute-Nachbarschafts-Vertrags durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (um Beispiele aus den letzten Wochen zu nennen).

Die aktuelle Lage gibt uns Anlass zu drei grundsätzlichen Bemerkungen.

Erstens – Der Kern des Problems lässt sich nicht auf die Liquidation der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs reduzieren. Dies ist nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Im Grunde geht es um die Rolle des (neuen) Nationalen Justizrats. In ihrer Stellungnahme in dieser Sache vom 14. Juli dieses Jahres spricht die Europäischen Kommission von der Notwendigkeit, die Urteile des (Europäischen) Gerichtshofs in vollem Umfang umzusetzen, einschließlich aller Beschlüsse über einstweilige Maßnahmen (zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz in Polen) und allgemein von einer Verpflichtung zur Einhaltung des EU-Rechts.

Die bisherigen Erfahrungen gebieten größte Vorsicht bei der Annahme scheinbarer Zugeständnisse der PiS-Funktionäre in Sachen Disziplinarkammer. Wir haben es hier mit Manipulatoren zu tun, die über die „öffentlichen“ Massenmedien verfügen. Die zum Schein gemachten Schritte zielen darauf ab, die Verantwortung der Europäischen Union zuzuschieben und die Erzählung über deren antipolnischen Absichten und Handlungen zu bekräftigen. Von hier ist es nur noch ein Schritt zum Polexit.

Auch die letzten drei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) belegen deutlich, dass das Problem nicht nur die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs ist. Aus ihrer Sicht geht es grundsätzlich um das Recht auf ein unabhängiges Gericht, insbesondere im Kontext der Rolle des (neuen) Nationalen Justizrats bei der Ernennung von Richtern. Nach Ansicht des EGMR erfüllt die diesbezügliche gesetzliche Regelung nicht die Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Tatsächlich stellt der EGMR (wie der EuGH) nicht nur fest, dass Polen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt hat, sondern schützt mittelbar auch seine Bürger vor offensichtlichen Verstößen gegen polnisches Recht einschließlich der Verfassung der Republik Polen.

Zweitens – die bisherige Haltung der EU-Kommission hat das Scheitern der Appeasement-Taktik – des „politischen Dialogs“ mit einem grob und systematisch die Rechtsstaatlichkeit verletzenden Staat bewiesen. Diese Vorgehensweise hat in den letzten Jahren die Regierenden Ungarns und Polens nur noch unverschämter werden lassen und den Weg für eine Politik unrechtmäßiger vollendeter Tatsachen eröffnet. Die ausgezeichneten Berichte und Empfehlungen der EU-Kommission aus der Zeit des „politischen Dialogs“ lesen sich nun wie die Obduktionsberichte eines verstorbenen demokratischen Staates. Unter den Augen der EU-Institutionen entstanden in zwei EU-Mitgliedstaaten – Ungarn und Polen – autoritäre Regime. Heute, wenn die Bürger der Europäischen Union der harten Probe einer Pandemie und anderer Bedrohungen ausgesetzt sind, erwarten sie von Brüssel Standhaftigkeit, Entschlossenheit und schließlich Effektivität, auch im Kampf gegen die autoritären Bestrebungen einiger seiner Mitglieder.

Drittens – angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den Regierenden in Ungarn und Polen ist klar, dass jeder Euro, der von der Europäischen Union an die Regierungen überwiesen wird, in politischen Betrug und Wahlkampfkassen umgemünzt wird. Den EU-Institutionen muss bewusstwerden, dass mit EU-Geld die Menschen in Polen und Ungarn am Zugang zu Informationen gehindert und ihnen die Freiheit und das Recht genommen werden, anders zu denken, als die Obrigkeit es wünscht. EU-Gelder dürfen in diese Länder nur unter gesellschaftlicher Kontrolle transferiert werden. Möglichst viele dieser Mittel sollten die parteinahen amtlichen Strukturen von Staaten ohne Rechtsstaatlichkeit umgehen und direkt an die Begünstigten gehen, insbesondere an kommunale Behörden, Wirtschaftsunternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Es ist wichtig, dass dies ein Prozess der Umleitung von EU-Mitteln ist und nicht deren Entzug. Das politische Narrativ der Machthaber in Polen hat mögliche Finanzsanktionen und das Einfrieren von EU-Geldern schon lange als antipolnische Aktionen der Europäischen Union dargestellt. Dies wird als Rechtfertigung für ein Herausführen Polens aus der Europäischen Union dienen.

Am 21. Juli 1983, nach anderthalb Jahren unrühmlicher Tätigkeit, wurde der in der polnischen Gesellschaft verhasste „Militärrat für Nationale Rettung“, der berühmte und immer wieder belächelte WRON (Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego), aufgelöst. Praktisch bedeutete dieser Moment keine Liberalisierung des Regimes. Die Verfolgung der Opposition, unabhängiger Journalisten und einfacher, aber rebellischer Bürger ging weiter. Auch heute, wenn der Vorsitzende der PiS die Auflösung der Disziplinarkammer ankündigt, dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben. Der Zerstörungsprozess des polnischen Rechtswesens wird nicht enden – er wird sich allenfalls verpuppen, um die vor fast 6 Jahren begonnene Arbeit in anderer Form zu vollenden. Die sogenannte Justizreform wird wie ein COVID-Virus die Unabhängigkeit von Richtern, Staatsanwälten und Anwälten angreifen und zerstören, um zwei Ziele zu erreichen: vollständige Unterwerfung der Justiz unter die Regierung und Straflosigkeit für die eigenen Leute.

Eine größere Dosis Standhaftigkeit in der Haltung der Europäischen Kommission und die entschiedene Reaktion der USA nach dem Angriff auf die Medienfreiheit in Polen lassen ein Licht am Ende des Tunnels erkennen. In Abwandlung des berühmten Kommentars von Winston Churchill nach der siegreichen Schlacht von El Alamein – dies ist nicht das Ende des PiS-Unrechts, aber vielleicht der Anfang von ihrem Ende.

Konferenz der Botschafter der Republik Polen

Die Botschafterkonferenz der Republik Polen ist eine Gruppe ehemaliger Vertreter der Republik Polen, deren Ziel es ist, die Außenpolitik zu analysieren, aufkommende Bedrohungen für Polen zu identifizieren und Empfehlungen auszuarbeiten. Wir wollen die breite Öffentlichkeit erreichen und unsere gemeinsame Arbeit und Erfahrung bei der Gestaltung der Position Polens als moderner europäischer Staat, ein bedeutendes Mitglied der Transatlantischen Gemeinschaft, teilen. Wir sind überzeugt, dass die Außenpolitik die Interessen Polens vertreten sollte, nicht der Regierungspartei.