Stimmungstest für das kommende Jahr

Von | 10. Juli 2014

Stimmungstest für das kommende Jahr

Bemerkungen zu den EU-Wahlen in Polen

 Von Holger Politt

In Polen waren die Wahlen zum Europäischen Parlament vor allem innenpolitisch geprägt. Der anhaltend scharfe Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hatte allerdings die innenpolitischen Wogen geglättet, denn nicht von ungefähr gab es in den Vormonaten in diesem Zusammenhang durchaus vorsichtige Anzeichen der Verständigung zwischen dem Regierungslager und der Kaczyński-Opposition. Dennoch lassen die Ergebnisse der Europawahlen interessante Rückschlüsse auf die politische Lage im Lande zu, denn im Herbst stehen in den Wojewodschaften, Städten und Gemeinden die Wahlen auf den Selbstverwaltungsebenen an, im kommenden Jahr folgen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.

Wahlplakate in Polen zur EU-Wahl.  Foto: Wikipedia

Wahlplakate in Polen zur EU-Wahl.
Foto: Wikipedia

Auch wenn zur Stimmabgabe nur knapp ein Viertel der Wahlberechtigten erschien, wurden in den Wahlen weitgehend die Umfragewerte der letzten Monate bestätigt. Große Verzerrungen blieben aus, wobei mindestens eine Überraschung zu konstatieren bleibt.

Der Plenarsaal des Europaparlaments in Brüssel. Foto: Forster

Der Plenarsaal des Europaparlaments in Brüssel.
Foto: Forster

Vorne gab es das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Wirtschaftsliberalen der PO und den Nationalkonservativen von PiS, die 32,1 bzw. 31,8 Prozent erreichten. Das ergibt jeweils 19 Sitze im EU-Parlament, womit der Löwenanteil der 51 Sitze für Polen bereits aufgeteilt wäre. Zwar hatte Jarosław Kaczyński gehofft, diesmal vor der PO ins Ziel zu kommen, doch auch so hielt ihn das am Wahlabend nicht ab, von einer Umkehrung der Tendenz zu sprechen. In der Tat gibt es einige Gründe, die dafür sprechen, wobei die Probe aufs Exempel erst im nächsten Jahr erfolgen wird. Während PiS aus allen 13 Wahlkreisen Vertreter nach Brüssel schickt, scheiterte die PO ganz im Osten, in Lublin. Überhaupt lagen mit Ausnahme der Hauptstadt in der gesamten Osthälfte die Nationalkonservativen vorne. Wenn man einen leichten Ukrainebonus für das Regierungslager und insbesondere für Donald Tusk hinzunimmt, dann hat sich das Umfragebild der letzten Monate tatsächlich bestätigt. PO ist derzeit weit entfernt von Werten um die 40 Prozent, Nutznießer dieses Rückgangs sind im Augenblick fast ausschließlich die Nationalkonservativen.

Wahlversammlung der PiS in Sanok. Foto: Wikipedia

Wahlversammlung der PiS in Sanok.
Foto: Wikipedia

Weiter abgeschlagen folgen drei weitere Parteilisten, die Abgeordnete nach Brüssel schicken können. Die Linksdemokraten der SLD traten mit der kleinen, fast schon verschwundenen Unia Pracy (UP) an, das deshalb, um im Wahlkreis Katowice den dort populären Adam Gierek (UP) wieder ins Parlament schicken zu können. Die SLD-Liste bekam auch 9,4 Prozent, ein ordentliches Ergebnis, allerdings scheiterten die Linksdemokraten in Warschau und Kraków. Alle fünf Abgeordneten kommen nun aus der westlichen Landeshälfte. Ein kleiner Trost für Parteichef Leszek Miller dürfte sein, dass er gegenüber der linksliberalen Konkurrenz der Palikot-Leute Boden gutmachen konnte, denn die gemeinsame Europa-Wahlliste von Janusz Palikot und Aleksander Kwaśniewski scheiterte mit 3,6 Prozent deutlich. Diese Niederlage hatte sich in den Umfragen bereits angedeutet, denn nach der Umbenennung der Palikot-Bewegung in „Deine Bewegung“ ging seit Herbst letzten Jahres doch einiges Profil verloren. Zwar trat die gemeinsame Europaliste mit zugkräftigen Namen an, so mit dem Filmregisseur Kazimierz Kutz in Katowice oder mit dem einstigen SLD-Mann Ryszard Kalisz in Warschau, aber die Tendenz der letzten Monate ließ sich nicht umkehren. Erste Beobachter zweifeln bereits, ob die Bewegung im nächsten Jahr ihren Erfolg von 2011 wiederholen kann. Da die SLD aber nur bedingt zählbaren Nutzen aus der Schwäche der Palikot-Truppe ziehen konnte, bleibt insgesamt für das linksliberale Lager ein schmerzhafter Rückschlag zu konstatieren, ein Warnzeichen allemal, denn die der Regierungspartei abspenstigen Wähler gehen mittlerweile woanders hin.

Der kleine Regierungspartner, die Bauernpartei PSL, hat mit 6,8 Prozent und vier Sitzen ein achtbares Ergebnis errungen, weil die EU-Ebene sowieso kein einfaches Terrain für die Agrarier ist. Das lässt die PSL-Spitzen nun hoffen, auch 2015 in den Sejm einzuziehen, insbesondere aber bei den Selbstverwaltungswahlen in diesem Herbst wieder den dritten Platz hinter PO und PiS erringen zu können, wie das bereits 2010 der Fall gewesen war.

Zur großen Überraschung des Wahlabends aber stieg Janusz Korwin-Mikke auf, ein Nationalliberaler, der aus seiner abgrundtiefen Verachtung für die Europäische Union keinen Hehl macht, weil er sie für ein staatssozialistisches Gebilde hält. Mit einer nach dem Vorbild der Palikot-Bewegung aufgebauten Liste erreichte er 7,1 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen, was vier Parlamentssitze einbringt. Als Neue Rechte bezeichnet sich diese Partei, die einer diffusen Mischung aus nationalistischen, gegen die EU gerichteten Parolen und naiv-gefährlicher Marktradikalität folgt. Am ehesten ließe sie sich in Deutschland mit der Alternative für Deutschland vergleichen, wobei sich herausgestellt hat, dass das Gros der Wähler von Korwin-Mikke jüngere Wählerschichten sind, die meistens gar nicht schlecht situiert sind, also aus den prosperierenden Metropolen stammen. Beobachter werten den Erfolg als Denkzettel an die etablierten Parteien, der sich bei höherer Wahlbeteiligung nicht unbedingt wiederholen müsse. Ins Kuriositätenkabinett gehört dann auch die Meinung des irrwitzigen Korwin-Mikke, dass die Annexion der Krim durch Russland völlig verständlich sei, dass die EU bald untergehe und die Zukunft dann wieder Russland gehören werde. Allerdings sorgt der Einzug der Neuen Rechten in das Brüsseler Parlament für zusätzliche Unruhe, denn sollte der Liste auch 2015 der Einzug in den Sejm gelingen, hätte Jarosław Kaczyński urplötzlich einen potentiellen Koalitionspartner, was bisher kaum einer der Parteistrategen im Regierungslager auf der Rechnung zu stehen hatte. Der erste, der entschieden warnte, war Palikot, der zugleich betonte, damit sei die große Herausforderung für das linksliberale Lager beschrieben.

Die Versuche, aus Abspaltungen von den beiden großen Parteien im Sejm zugkräftige Alternativen innerhalb eines breit verstandenen konservativen Bogens aufzubauen, haben einen kräftigen Dämpfer erhalten. Noch sitzen die Leute von Jarosław Gowin (ehemals PO) und Zbigniew Ziobro (ehemals PiS) im Sejm, doch beide Listen – Polska Razem bzw. Solidarna Polska – scheiterten an der Fünfprozenthürde, was die Aufgabe bis zum nächsten Jahr nicht einfacher macht.

Erwähnt werden sollte noch eine weitere Liste, die landesweit antrat und auf 1,4 Prozent der abgegebenen Stimmen kam. Den Wahlkampf hat Ruch Narodowy (Nationale Bewegung) konsequent auf junge Wählerschichten ausgerichtet, versuchte hier, dem Beispiel von Jobbik in Ungarn zu folgen. Einstweilen noch ohne Aussicht auf Erfolg, zu sehr haftet den radikalen Nationalisten das Image von Hooligans und Trunkenbolden an. Doch ein Blick auf deren Kandidatenliste verrät, wie viele junge Politologen und Soziologen da mittlerweile schon zu finden sind.