Mit dem Christenkreuz gegen liberale Demokratie

Von | 25. Oktober 2018
Vorbereitung für Parlamentswahlen in einem Jahr –
35 Prozent sollen zur Mehrheit reichen –

Jarosław Kaczyński, der Anführer der Nationalkonservativen, darf zu den nüchtern denkenden Politiker gerechnet werden, denn jeder Anfall politischer Romantik ist ihm fremd. Mit der Europäischen Union verbinden ihn kaum noch die sogenannten gemeinsamen Werte – auf die kann er im festen ideologischen Bunde mit Viktor Orbán pfeifen. Gemeinsam wollen die beiden die „christliche Demokratie“ in Europa durchsetzen – was immer die auch bedeuten soll. Die beiden national beseelten „Christdemokraten“ rechnen fest mit einem Ergebnis, mit dem die Waage nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr zugunsten der eigenen politischen Richtung ausschlagen wird. Dann werde zumindest das Lager der liberalen Demokratie geschwächt, werde der EU-Sozialismus, der aus Brüssel allen anderen aufgedrängt werden soll, in die Defensive gedrückt.
Um nichts dem Zufall zu schenken, wollte Kaczyński vorsorgen. Er ließ die Wahlordnung für die Wahlen zum Europäischen Parlament so zurechtschneidern, dass künftig aus Polen in das EU-Parlament nur noch Vertreter derjenigen Wahllisten einziehen sollten, die mindestens 16 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich ziehen, auch wenn offiziell die Fünf-Prozent-Hürde als hübsches Blendwerk bestehen bliebe. Verhindert hat diesen Husarenstreich Staatspräsident Andrzej Duda, der sein Veto gegen einen Gesetzesvorschlag der Parlamentsmehrheit einlegte, nachdem ihn kleinere Parteien und Gruppierungen darum ersucht hatten. Dennoch bleibt die Kaczyński-Partei in der Vorhand, denn das rechte politische Lager ist fester in der Hand als es noch 2015 der Fall gewesen war. Und umgekehrt wird im liberalen bis linksgerichteten Oppositionslager der Druck wieder abnehmen, mit möglichst wenigen Wahllisten den Stier bei den Hörnern zu packen. Offen bleibt außerdem, ob die Nationalkonservativen nicht doch versuchen werden, die Manipulation an der Wahlordnung für die im Herbst 2019 folgenden Parlamentswahlen zu wiederholen. Bliebe dann das Präsidenten-Veto aus, wäre die Herausforderung für die Opposition umso größer.
Kaczyński geht von einem Wert der Zustimmung aus, der für die eigene Partei fest zwischen 35 und 40 Prozent liegt. Das ist ungefähr der Wert, der im Herbst 2015 bei den letzten Parlamentswahlen erreicht wurde. Die Hoffnung, diesen Wert bis zu den Parlamentswahlen 2019 entscheidend erhöhen zu können, hat er aufgegeben. Zugleich warnt Kaczyński seine Anhängerschaft, dass unter gleichbleibenden Bedingungen dieser Wert nicht mehr ausreichen werde, um die Alleinregierung fortsetzen zu können. Der Ausfall von fast zwölf Prozent der abgegebenen Wählerstimmen, die 2015 für die beiden linksgerichteten Listen abgegeben wurden, ohne dass damit auch nur ein einziges Parlamentsmandat errungen werden konnte, werde sich nicht wiederholen. Da bis auf die stramm rechts marschierende Liste von Paweł Kukiz wohl niemand ins Koalitionsbett mit der Kaczyński-Partei schlüpfen würde, wollen die Nationalkonservativen auch hier vorbeugen.
Ins Spiel gebracht hat Kaczyński für die Parlamentswahlen nun die Idee von 100 Wahlkreisen, aus denen im Schnitt jeweils nur noch fünf Abgeordnete hervorgehen würden, was wiederum den gewünschten Effekt bringen soll: Die kleineren Gruppierungen werden aus dem Spiel genommen, auch wenn offiziell die Fünf-Prozent-Hürde bleibt. Kaczyńskis Argumentation ist hinterhältig, denn er behauptet, so habe der Souverän die bessere Kontrolle über seine Angeordneten, die aus einem territorial eng gezogenen Wahlkreis in überschaubarer Anzahl in den Sejm einziehen. Sollten diese Pläne durchgesetzt werden, hätten in Polen nur noch breiter aufgestellte Wahllisten eine Chance: Auf der einen Seite die der „christlichen Demokratie“, straff angeführt von den Kaczyński-Leuten, zudem geschickt geöffnet ins rechtsradikale, auch antisemitische Spektrum, um hier „einzugemeinden“ oder zu neutralisieren; die andere der liberalen Opposition, die dann aber erst einmal zeigen müsste, wie weit ins linke Spektrum hinein zu binden sie imstande sein wird. Es liegt auf der Hand, dass Kaczyński sich bei einer solch zugespitzten Wahlschlacht die allergrößten Chancen ausrechnet.
Kaczyńskis langfristige Ziel ist die Verfassungsmehrheit von zwei Dritteln der Abgeordnetensitze. Die geltende Verfassung ist ihm ein Dorn im Auge – sie gilt ihm als Ausdruck der abgelehnten liberalen Demokratie, zudem sei sie gegen die Interessen Polens und die seiner Bürger gerichtet, weil kein ausreichender Schutz gegen die liberalen Zumutungen der EU-Mitgliedschaft geboten werde. In den zurückliegenden drei Jahren hat er mittels der Parlamentsmehrheit in Form einzelner Gesetzespakete mehrere Verfassungsgrundsätze de facto ausgehebelt – ungeachtet aller nationalen und auch internationalen Proteste. Im Lande verbreitet er das Märchen, nur so erreiche Polen jenen Platz, der ihm während des Zweiten Weltkriegs und danach streitig gemacht worden sei – durch die Okkupationen, durch den Verrat des Westens und schließlich durch das heimtückische Werk einheimischer Kommunisten. In der eigenen Anhängerschaft wird diese einfache Erzählung geglaubt, die obendrein den Vorzug hat, fast organisch auch rechtsradikale Geschichtsmythen aufnehmen zu können.
Einer der führenden nationalkonservativen Propagandisten brachte es auf den Nenner: Die polnischen Werte seien entscheidend und dürften nicht verwässert werden – weder durch europäische noch durch deutsche Werte. Das werde erst seit 2015 durchgesetzt, so dass sich jetzt zeige, welch angesehener Staat Polen sei und wie respektvoll mit ihm auf der internationalen Bühne inzwischen umgegangen werde.
Welch eigenartige Wege das nationalkonservative Wirken für die polnischen Werte einschlagen kann, zeigt eines der vielen Gesetzesvorhaben, mit denen das Kaczyński-Lager schwanger geht. In einer Neufassung des Familiengesetzes soll das Leben eines Kindes definiert werden ab dem Moment der Befruchtung. Bislang geht die Verfassung in Polen davon aus, das ein Menschenleben mit der Geburt beginnt.

(Dieser Beitrag von Jan Opal, Gniezno, entstammt der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „POLEN und wir