Patriotismus bedeutet Rassismus

 

Von Tomasz Żuradzki

 

Für Patriotismus gibt es keine moralische Grundlage - er ist ein überflüssiges Relikt aus der Vergangenheit, das Zeiten entstammt, als Stammeshorden Kriege um Land, Nahrungsmittel und Frauen führten. Am Mittwoch defilierten Hunderte von Menschen vor meinem Fenster, die zum Vernichten anderer Menschen ausgebildet wurden. Es fuhren Dutzende Fahrzeuge vorbei, die dafür konstruiert wurden, um am effektivsten andere Fahrzeuge zu zerstören und deren Fahrer zu eliminieren. Es überflogen uns etliche Flugzeuge, die zum Kampf gegen andere Flugzeuge und zum Abwurf von todbringenden Bomben bestimmt sind. Dieses Schauspiel zog Massen an: Väter machten aufgeregt Fotos, Mütter versuchten zumindestens wenigstens für einen Augenblick ihre Sprösslinge auf den Rand eines echten Kampfwagens zu setzen - Tötungsmaschinen, die innerhalb weniger Sekunden Dutzende unsere Feinde vernichten können.

 

Gewaltfaszination

Sprechen wir es ohne Umschweife aus: Die Faszination von Militärischem ist ein trauriges Relikt unserer Evolution und der Stammesvergangenheit. Blutige Abrechnungen zwischen um Land, Nahrungsmittel und Frauen konkurrierenden Gruppen sind nicht nur für den Homo Sapiens typisch, die Mehrheit der Primaten ist ebenso brutal wie die Menschen, und die Gewalt richtet sich vor allem gegen die Mitglieder anderer Gruppen. Ja, gerade von den Affen erbten wir diese Eigenschaften, die auch heute noch dank der von den Rechten glorifizierenden Stammes- oder Volksegoismen Früchte tragen.

Diese rechte Faszination für Gewalt, einem ohne Zweifel im Menschen innewohnendes Tierelement, versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Das umso mehr, wo sie doch vollständig im Widerspruch zur gleichzeitig erklärten Bedeutung der christlichen Ethik steht, die bestrebt ist, den Menschen von der übrigen Natur durch einen maximal möglichen Trennungsstrich abzugrenzen, und die Gewalt selbst mit aller Schärfe - gerade auch gegenüber den Feinden - verurteilt.

Obwohl ich diese urwüchsige Erregung, die Vernichtungsmaschinen bei der Mehrheit der Menschen auslösen (mit Scham muss ich bekennen: hauptsächlich bei Männern), verstehen kann, so kann ich nicht begreifen, weshalb sie durch den Staat nicht nur toleriert, sondern sogar noch gefördert wird. Es ist doch so, dass die Massenextase der Warschauer angesichts einiger Vernichtungsmaschinen oder die besondere Wertschätzung, mit denen sie Soldaten behandeln, - Menschen, die freiwillig andere vernichten wollen - ein deutliches Beispiel für die Kultivierung von mörderischen Neigungen ist. Das ist so, als ob man kollektiv eine bluttriefende Säge bewundern würde, mit der irgendein missratener Mörder sein Opfer gevierteilt hatte und als wenn man sie in einem speziellen Schaukasten durch das Zentrum der Hauptstadt auf Kosten des Staates und zur Belustigung des Pöbels fahren würde.

Ich weiß nicht, ob irgendeine Maschine, das auf der Aleje Ujazdowskie gezeigt wurde, tatsächlich zur Vernichtung von Menschen benutzt worden ist. Aber wenn auf einer der Kanonen ein Schild zu sehen gewesen wäre: „Hiermit vernichteten unsere adretten Burschen Tausend Talibankämpfer“, habe ich keinen Zweifel daran, dass gerade diese sich einer besonderen Wertschätzung bei den Vorrübergehenden erfreut hätte. Musterhafte patriotische Väter hätten ihre Söhne daran posieren lassen, und Mütter - ebenfalls glühende Patriotinnen - würden die Aufmerksamkeit ihrer Töchter auf die schmucken Soldaten lenken, die eigenhändig die Wunderdinge abgefeuert hätten, die unsere Feinde in Stücke gerissen und ihre Eingeweide herausquellen lassen hätten.

Die Moral des nationalen Egoismus

Die Parade war ein Schauspiel, könnte nun jemand antworten. Und ein Spiel ist, wie ein Spiel nun mal ist, gedankenlos. Es ermöglicht die Flucht vor Reflektion und Verantwortung. Wenn wir jedoch die Mittwoch-Parade von einem moralischen Gesichtspunkt betrachten (und nicht aus dem Gesichtswinkel eines von der Soldatenansammlung faszinierten Fünfjährigen), muss sie doch als etwas besonders ekelhaftes erscheinen, vorausgesetzt natürlich, dass wir Moralität nicht mit den Verhaltensregeln gleichsetzen, die am Besten dem Überleben unserer Gene nützen.

Von einem neutralen Standpunkt aus gesehen, das für moralisches Denken charakteristisch ist, sind patriotische Erregungen und die Höherbewertung der Fürsorgepflicht für eine bestimmte Menschengruppe gegenüber einer anderen nur deshalb, weil sie gerade auf einem falschen Stück Boden lebt, gleichbedeutend mit Rassismus. Die verschiedene Behandlung von Menschen wegen ihrer Hautfarbe unterscheidet sich in Nichts von der Unterscheidung nach dem Ort ihrer Besiedlung. Das, was nach moralischer Bewertung zählt, ist die objektive Situation in der Welt, und nicht das Ergebnis aus diesem oder jenem partikularen Gesichtspunkt. Deshalb bedeuten die Grenzen von Staaten nicht die Grenzen unserer moralischen Pflichten, und das Leben jedes Menschen muss für uns denselben Wert besitzen - ohne Rücksicht darauf, ob dieser Mensch schwarz oder weiß ist oder auf dieser oder jener Seite der Oder lebt. Es gibt keine moralische Rechtfertigung für einen Patriotismus - er ist ein überflüssiges Relikt der Vergangenheit, ein Überbleibsel längst vergangener Lebensweisen. Die Höherstellung der Bürgerinteressen des Staates, in dem wir zufällig leben, über die Interessen der übrigen Menschheit ist ein bedeutendes moralisches Vergehen.

Peter Singer, Ethiker aus Princeton, lenkte die Aufmerksamkeit in dem neulich auf Polnisch herausgegebenen Buch „Die eine Welt“ darauf, dass in Zeiten, in die wir hineingeboren wurden, Patriotismus auch zu katastrofalen Folgen führen kann - u.a. durch Klimawandel,  Globalisierung oder terroristische Bedrohungen.

Singer schreibt, dass wir in einer Welt leben, in der wir nur eine Atmosfäre, nur eine Ökonomie, ein Recht haben und eine Gemeinschaft bilden. Der Effekt der Erderwärmung, die durch die Emission von Kohlendioxid in den Ländern des Westens hervorgerufen wurde, kann zu katastrofalen Überschwemmungen in Bangladesch führen, wodurch Tausende Menschen sterben. Ähnlich ist es mit der Wirtschaft: die Unterstützung der Landwirtschaft durch die Europäische Union kann in den Ländern Afrikas den Tod von Tausenden Menschen durch eigentlich leicht zu heilende Krankheiten nach sich ziehen. Sie würden nicht so leicht sterben, wenn ihre Länder Geld für den Kauf der Medikamente hätten. Aber sie haben kein Geld, denn das einzige Produkt, das sie nach Europa exportieren könnten, sind Lebensmittel, vor denen wir uns getragen von patriotischen Anwandlungen verteidigen zur Förderung von dem, was "unser" ist. Patriotismus ist also nicht immer  - wie es auf den ersten Blick aussieht - eine verpflichtende und lobenswerte Haltung, die wir pflegen und kritiklos unseren Kindern vermitteln müssen. Zeitweise unterscheidet er sich in Nichts von der krassesten Form eines nationalen Egoismus und Rassismus. Der typische Patriot ist der, der nicht im Stande ist, auch nur geringe Unbequemlichkeiten für seine Gemeinschaft zu akzeptieren, um irgendein Leben in entfernten Ländern zu retten.

Die, die behaupten, dass vom moralischen Standpunkt aus Patriotismus eine notwendige Haltung ist, müssen meinen, dass sich der Wert eines Menschen mit seiner Nationalität ändert. Wenn ich Pole bin, muss ich einen Deutschen nicht schätzen. Afrikaner dagegen können sterben wie die Fliegen, das berührt mich nicht, denn sie leben weit weg und sind nicht von meinem Volksstamm. Diese Haltung widerspricht jedoch der These, dass Moral und Gerechtigkeit nicht nationalen Unterschieden zum Opfer fallen dürfen, die eine Widerspiegelung zufälliger Stammessysteme von vor Hunderten und Tausenden von Jahren sind. Kann die Tatsache, dass vor einigen tausend Jahren der eine Stamm sich an den Fluss ansiedelte, der andere in den Bergen heute Einfluss darauf haben, wessen Leben mehr Wert hat als das andere - das der am Fluss oder in den Bergen Lebenden oder umgekehrt?

Die Teilung der Welt in Nationalstaaten ist zufällig und eine kurze Episode in der Menschheitsgeschichte. Sie existiert nicht länger als etwa 150 Jahre. Das moderne Modell eines Patriotismus, zu dem sich die polnischen Führer bekennen, entstand Ende des 19. Jahrhunderts, als die Massen auf der Bühne der Politik zu erscheinen begannen und sich bewusst wurden, dass sie Polen sind, und nicht einfach die „Hiesigen“. Einige der damals entstehenden Parteien (auf polnischem Boden war das vor allem die Nationale-Demokratie) beschloss die niedrigsten Instinkte des ungebildeten Volkes auszunutzen - seinen Hass auf alles, was anders und Fremd ist. In diesem Sinne ist der moderne Patriotismus ein Zwillingsbruder des modernen Antisemitismus. (...)   

 

Tomasz  Żuradzki, Patriotyzm jest jak rasizm, aus: Gazeta Wyborcza vom 16.8.2009; Übersetzung: Wulf Schade, Bochum

Tomasz  Żuradzki ist Philosoph und Politikwissenschaftler, Absolvent der Krakauer Universität und der London School of Economics.