Das Tusk-Museum

 

Von Krzysztof Pilawski

 

Donald Tusk unterschrieb am 1. September 2009 in Gdańsk den Gründungsakt für die Errichtung des Museums des Zweiten Weltkriegs. Damit soll nicht nur das durch Lech Kaczyński errichtete Museum des Warschauer Aufstands entthront, sondern aus Gdańsk, der Hochburg der Bürgerplattform (PO), die Hauptstadt der polnischen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhundert gemacht werden.

 

Laut ideologischer Sendung des neuen Zentrums habe der Zweite Weltkrieg am 1. September 1939 in Danzig begonnen und wurde am 4. Juni 1989 zusammen mit dem Untergang des Kommunismus beendet, der durch die in Gdańsk zur Welt gekommene „Solidarność“ niedergerungen worden sei. Die regierende PO nutzte die in dieses Jahr fallenden runden Jahrestage des Beginns des Zweiten Weltkriegs und des Systemwechsels zur Ausweitung des zeitlichen Rahmens des Krieges. Das wurde in der im Juni 2008 durch Tusk herausgegebenen Verfügung „in Sachen Schaffung eines Organisationskomitees zur Vorbereitung der Feierlichkeiten für den 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs und des 20. Jahrestags der Erringung der Freiheit und des Untergangs des Kommunismus in Mitteleuropa“ herausgestrichen. Zur Popularisierung beider Jahrestage wurde ein gemeinsames Logo genutzt, auf dem neben den Umrissen Polens die Aufschrift „Es begann in Polen“ sowie die Jahreszahlen 1939-1989 gezeigt werden. Die Verbindung der Jahre 1939 und 1989 war das wichtigste Element im Bühnenbild, als im Januar dieses Jahres im Großen Theater in Warschau das Jubiläumsjahr feierlich eröffnet wurde. Die Jahreszahlen werden auch ins Auge fallen, wenn das ins Leben gerufene zukünftige Museum des Zweiten Weltkriegs im Oktober eine wissenschaftliche Konferenz durchführen wird, die unter dem Titel steht: „Ausbruch und Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs 1939-1989“.

Anfang Mai 2008 legte Wojciech Duda, der als Berater des Ministerpräsidenten vorgestellt wurde, in der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ das Credo der Gedenktage und des neu zu schaffenden Museums vor: „23. August 1939 - Hitler und Stalin unterschreiben das Übereinkommen über die Aufteilung der Interessensphären auf polnischem Gebiet. 1. September 1939 - die Deutschen überfallen Polen. 17. September 1939 - die Russen. 1945 gerät Polen unter die totalitäre Herrschaft der UdSSR. Der Vorhang wird erst 1989 geöffnet. In einem bestimmten Sinne endete der Zweite Weltkrieg für uns erst 1989.“

Wojciech Duda ist ein Altersgenosse und Freund des Ministerpräsidenten aus Studententagen. Zusammen riefen sie die Untergrundzeitung „Przegląd Polityczny“ ins Leben, um die herum sich der Lebenskreis der mit Gdańsk verbundenen Liberalen ausbreitete. Die Redaktion sitzt auch heute noch im gleichen Gebäude, in dem der Ministerpräsident in Gdańsk sein Abgeordnetenbüro unterhält. Nach dem Wahlsieg der PO bekam Chefredakteur Duda einen weiteren Posten, er wurde zum wichtigsten Berater des Ministerpräsidenten. In dieser Funktion begann er sich mit dem Bau des Museums zu befassen.

Es gelang ihm, Tusk von der Idee zu überzeugen, den Krieg ein halbes Jahrhundert andauern zu lassen. „Wir streiten häufig um den Sinn verschiedener Ereignisse aus unserer Geschichte, doch der Sinn und das Wesen der Symbole dürfen nicht zum Gegenstand des Streits werden. Symbole wie die Verteidigung der Westerplatte und viele Jahre später das faktische Ende des 2. Weltkriegs, gleichfalls hier in Gdańsk, in der stürmischen Solidarność-Zeit“. Polens Ministerpräsident trat hier in doppelter Rolle in Erscheinung - in der des Historikers und des Politikers, der anderen seine eigene Vision aufzudrängen versucht. Er vermengte dabei die kontroverse These, dass der Zweite Weltkrieg erst dank der „Solidarność“ beendet werden konnte, mit der allgemeinen Wertschätzung für die Verteidigung der Westerplatte.

Im Oktober 1966 wurde auf der Westerplatte das Denkmal der Verteidiger der Küste eingeweiht, welches unter der [rechtsnationalistischen - d. Red.]PiS-Regierung übrigens als Relikt der kommunistischen Propaganda abgetragen werden sollte. Im Juni 1974 wurde das Wärterhaus Nr. 1 zum Traditionskabinett. 1980 wurde es dem Historischen Museum der Stadt Gdańsk angegliedert.

Nach dem Systemwechsel blieben alle Pläne, auf der Westerplatte ein Museum und ein neues Denkmal zu errichten, für lange Zeit ungebraucht liegen. Erst im September 2003 erließ Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski eine Verfügung, mit der das Gelände der Westerplatte zum „Geschichtsdenkmal“ erklärt wurde. Das Gelände wurde genau beschrieben, der Verfügung wurde eine Karte beigefügt. Das Dokument sollte den „einmaligen historischen, räumlichen, materiellen und immateriellen Wert fördern, mit dem der Heroismus und die Tapferkeit des polnischen Soldaten in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, des größten Kriegs im 20. Jahrhundert, symbolisch gewürdigt“ werde.

In den letzten Tagen der PiS-Regierung fasste Kazimierz Ujazdowski, der Minister für Kultur und Nationalerbe, den Beschluss, auf dem Gebiet der Westerplatte ein Museum zu errichten, welches Teil des Museums der Geschichte Polens werden sollte. Dieses Projekt wurde durch die PO übernommen. Anfang 2008 überschrieb Tusk seinem engen Mitarbeiter Sławomir Nowak die Funktion eines Beauftragten für den Bau eines Museums auf dem Gelände der Westerplatte. Das Muster erinnert an die Situation um das Museum des Warschauer Aufstands, für die der damalige Stadtpräsident Warschaus, Lech Kaczyński, seine enge Vertraute El¿bieta Jakubiak einsetzte. Am 1. September 2008 wurde der Beschluss zur Errichtung eines Museums auf der Westerplatte durch das Kultusministerium verabschiedet, Beauftragter blieb Nowak, der seinerseits als künftigen Direktor des Museums den 29-jährigen Maciej Krupa ins Spiel brachte, einen PO-Stadtrat aus Gdańsk. Auch hier gibt es eine Parallele zum Museum des Warschauer Aufstands, denn dort wurde ebenfalls ein junger Stadtrat zum Direktor berufen. Jan Oldowski ist wie Krupa kein Historiker, was als Vorzug ausgegeben wird.

Als Krupa wegen anderer Vorwürfe letztendlich aus dem Rennen genommen werden musste, wurde das Gesamtkonzept im November 2008 schnell geändert. Statt eines Museums der Westerplatte sollte von nun an überhaupt ein Museum des Zweiten Weltkriegs entstehen. Da Paweł Machcewicz, ein Berufshistoriker, bereits seit September 2008 zum Bevollmächtigten eines solchen Museumsbaus berufen war, verlor Nowak seinen Grund unter den Füßen. Direktor des Museumsprojekts wurde Machcewicz.

Zuvor leitete Machcewicz bis 2006 den Bildungsbereich des IPN [Institut für Nationales Gedenken - d. Red.], 2007 kandidierte er als PO-Vertreter für das Kollegium des IPN, fiel bei der Wahl allerdings durch. Auch wenn Machcewicz die Lustration und die Bestrafung der VRP-Führung [VRP=Volskrepublik Polen - d. Red.] befürwortet, gehört er damit noch lange nicht zum Lager der Radikalen im IPN-Umfeld. In scharfen Tönen verurteilte er die Geschichtspolitik der IV. Republik, verwies auf die Schwächen im Konzept des Museums des Warschauer Aufstands, verteidigte Lech Wałęsa nach haltlosen Angriffen zweier junger IPN-Historiker. Die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ druckt regelmäßig seine Texte. Das Ver-trauen dort erwarb er sich mit einer zweibändigen, dem Streit um Jedwabne gewidmeten Dokumentation.

Im November 2007 veröffentlichte die „Gazeta Wyborcza“ einen umfassenden Text von Machciewicz mit dem Titel „Museum statt Drahtverhaue“, in dem der Autor schrieb: „Polens Premier sollte einen Vorschlag machen, der sich als Gegengewicht zum deutschen Projekt des Gedenkens an die Vertreibungen versteht. Donald Tusk könnte im Verlaufe seiner Antrittsbe-suche in den europäischen Hauptstädten die Errichtung eines Museums des Zweiten Weltkriegs in Warschau vorschlagen, eines Projektes mit internationalem Charakter. (...) In einem solchen Museum, das es bis jetzt noch nicht gibt, wäre Raum, die gesamte Erfahrung des Krieges vorzustellen, darunter auch die aus der Sicht jener Nationen, die nicht nur den deutschen, sondern auch den sowjetischen Totalitarismus zu spüren bekamen.“

Einige Wochen später verkündete Donald Tusk auf den Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Idee, in Gdańsk ein Museum des Zweiten Weltkriegs zu bauen, welches die Gesamtgeschichte des Krieges zeigen und in diesen Kontext die Frage der Vertreibungen stellen solle. Die Reaktion der Deutschen auf den Vorschlag fiel verhalten aus. Tusk konnte nicht mit einer gemeinsamen Initiative rechnen, die eine Alternative zum „Zentrum gegen Vertreibung“ gewesen wäre. Dennoch blieb die Idee eines großen Museums mit dem „internationalen“ Blick auf den Zweiten Weltkrieg am Leben.

Als am 1. September 2008 die Anordnung zum Bau eines Museums der Westerplatte unterschrieben wurde, verfügte Tusk, dass diese Einrichtung Teil des zukünftigen Museums des Zweiten Weltkriegs werde und zusammen mit dem „Europäischen Solidaritäts-Zentrum“ eine „logische Gesamtheit der Widerspiegelung der wichtigsten polnischen Erfahrungen“ werden solle. Genau an diesem Tag wurde Machcewicz durch den Regierungschef zum Bevollmächtigten für das Museum des Zweiten Weltkriegs ernannt. Die Arbeiten für das Museum nahmen an Tempo zu. Bereits am 6. Oktober 2008 stellte Machcewicz im Amt des Regierungschefs die Grundkonzeption des Museums vor. Der Ort der Vorstellung unterstrich bereits die politische Bedeutung des Vorhabens. Wenig später wurde Machcewicz zum Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs ernannt.

Laut konzeptioneller Idee sollen die Westerplatte, sodann der künftige Hauptsitz des Museums in der Nähe der Polnischen Post sowie das „Europäische Solidaritäts-Zentrum“ (vor und in der früheren Lenin-Werft) die vom Premier geforderte logische Einheit bilden. Begünstigt werden soll das durch die besondere Berücksichtigung der beiden Totalitarismen - des Nazismus und des Kommunismus.

Die Ausstellung auf der Westerplatte solle verdeutlichen, dass Polen sich als erstes Land Hitler entgegenstellte, die Ausstellung im Hauptsitz hingegen die deutschen und sowjetischen Repressionen zeigen, die als Folge des Ribbentrop-Molotow-Paktes verstanden werden. Auch wenn die Ideengestalter unterstreichen, dass „das Museum den entscheidenden Beitrag der Sowjetunion an der Bezwingung des Dritten Reiches“ zeigen müsse, so endet in ihrer Sicht der Zweite Weltkrieg nicht 1945: „Dort, wo die Erzählung des Zweiten Weltkriegs endet, wird der Faden durch das Europäische Solidaritäts-Zentrum aufgenommen. Beide Einrichtungen haben sich gegenseitig zu vervollständigen und die programmatischen Konzepte sollten zumindest in den Grundzügen einheitlich ausgearbeitet sein“.

Die Verbindung beider Einrichtungen soll folglich die Überzeugung stärken, dass der Zweite Weltkrieg in Danzig begann und ein halbes Jahrhundert später durch die in Gdańsk entstandene „Solidarność“-Bewegung endgültig beendet wurde. Im August dieses Jahres bemerkte Machcewicz in der „Gazeta Wyborcza“, dass in den zurückliegenden zwanzig Jahren eine neue Sicht auf den Zweiten Weltkrieg Raum gegriffen habe, die frei sei von kommunistischer Indoktrinierung. Freilich bliebe dann die Frage im Raum, ob der künftige museale und Erinnerungskomplex in Gdańsk seinerseits frei sein werde von anders ausgerichteter Indoktrinierung, denn bereits jetzt droht das entstehende Museum des Zweiten Weltkriegs ein genauso treffliches Beispiel für die strittige Nähe von Politik und Geschichte zu werden, wie das bereits bestehende Museum des Warschauer Aufstands.

 

(Übersetzung aus der linksliberalen Wochenzeitung „Przegląd“, Nr. 34/2009 von Holger Politt)