Studienfahrt
nach Südostpolen mit deutsch-polnischem Workshop
Erinnerungspolitik in der Schule -
Geschichte für die Zukunft
Von Susanne Kramer-Drużycka
Im Herbst 2009 begab sich eine kleine Gruppe deutscher Lehrkräfte auf
eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte mehrtägige Gedenkstättenfahrt
nach Südostpolen - die Zielorte hießen Lublin, Majdanek, Sobibór, Włodawa, Izbica, Bełżec, Zamość.
Dabei stand einerseits die Fortsetzung ihrer historisch-didaktische Spurensuche
vor Ort im Vordergrund - diesmal auf dem Gebiet der heutigen Lubliner Wojewodschaft, andererseits
sollten durch einen Erfahrungsaustausch mit polnischen Lehrkräften aus jener
Region neue Impulse für die eigene Arbeit gesetzt werden, um damit künftig
neue, wirkungsvolle und jugendspezifische Methoden in der
Gedenkstättenpädagogik bzw. in der Holocaust-Education
zu entwickeln.
Wer sich mit diesen Themen
auseinandersetzt, fährt meistens an den bekanntermaßen stellvertretend für den
Holocaust stehenden Ort: nach Auschwitz bzw. Auschwitz-Birkenau. Zu den weniger
bekannten, jedoch nicht weniger wichtigen Gedenkstätten im heutigen Ostpolen gehören
das Staatliche Museum Majdanek mit seiner Außenstelle
in Be³¿ec sowie das Regionalmuseum W³odawa mit seiner Außenstelle in Sobibór. Zur Bedeutung dieser Orte: Die von den
Nationalsozialisten geplante, systematische Ermordung von etwa 2 Mio. jüdischen
Menschen im Rahmen der „Aktion Reinhard“ erfolgte innerhalb weniger Monate in
den als reine Vernichtungslager angelegten Lagern von Treblinka (nordöstlich
von Warschau), Sobibór und Bełżec
(südöstlich von Lublin, wo sich der Sitz des
Hauptquartiers der „Aktion Reinhard“ befand), die sich allesamt unmittelbar an
Bahnlinien befanden, und mit deren Bau man bereits seit dem 1. November 1941
begonnen hatte. Der Besuch der heutigen Gedenkstätten an jenen Orten, die
keinesfalls in Vergessenheit geraten dürfen, berührt tief.
Doch noch weniger bekannt sind
die anderen auf der Reiseroute der deutschen Lehrkräfte gelegenen Orte: Zum
Beispiel das Regionalmuseum von Włodawa. Es hat
seinen Sitz in einem aus drei erhaltenen Gebäuden bestehenden, einzigartigen Synagogenkomplex.
Dort hatte im Oktober die Ausstellung „Z popiołów
Sobiboru - Aus der Asche von Sobibór“
Premiere: Eine besucherorientierte und interaktiv gestaltete Ausstellung, die
auf kleinstem Raum nachvollziehbar und anschaulich den Leidensweg jüdischer
Bürger angefangen von ersten Diskriminierungen über Verfolgungen bis hin zur Ghettoisierung und Deportation darstellt. Das Bild von
einem typischen Versteck hinter einer manipulierten Schranktür bleibt
sicherlich in der Erinnerung des Besuchers haften. Diese in den Niederlanden
konzipierte Wanderausstellung wird im November höchstwahrscheinlich nach
München kommen, um dort aktuell als zusätzliche Informationsquelle den Prozess
gegen Iwan Demjanjuk, einen der Täter im Lager von Sobibór zu begleiten.
Ein anderes Beispiel ist die
Kleinstadt Izbica, in der die Nationalsozialisten ein
Durchgangsghetto ohne Umzäunung eingerichtet hatten, das für viele Juden aus
dem Lubliner Distrikt sowie aus ganz Europa zur
Zwischenstation auf ihrem Leidensweg in die Hölle von Sobibór
wurde. Hier machte die jüdische Bevölkerung vor dem Zweiten Weltkrieg 92% aus,
zu überleben gelang lediglich 14 Personen. Auf dem jüdischen Friedhof von Izbica gibt es drei Gedenkorte - dort hatte es Erschießungen
von Juden aus dem Ort gegeben. Auch die Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland hat dort einen Gedenkstein aufstellen lassen, auf dem Friedhof
eines einstigen Schtetls, das stellvertretend für so
viele jüdische Gemeinden im Generalgouvernement steht, die quasi völlig
ausgelöscht wurden.
Ein zentraler Programmpunkt war
das Zusammentreffen mit über die polnische Lehrergewerkschaft ZNP (Związek Nauczycielstwa
Polskiego) vermittelten Lehrkräften für die Fächer Geschichte und Politik aus
weiterführenden Schulen in Lublin, die sich ebenfalls
ausgezeichnet in der Gedenkstättenpädagogik und Holocaust-Erziehung auskennen
und regelmäßig entsprechende Bildungsprojekte umsetzen - ob in nationalen,
deutsch-polnischen oder polnisch-israelischen Schülergruppen.
Die beiderseitige Absicht, sich
an jenem Abend besser kennen zu lernen sowie voneinander lernen zu wollen, trug
zu einer von Beginn an herzlich offenen Atmosphäre
bei. In das Thema führte der Historiker Krzysztof Styczyński
(Mitglied der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission) mit seinem Kurzreferat
„Die Rolle des Holocaust im Geschichtsunterricht in Polen“ ein, anschließend
wurden seine Ausführungen durch die anderen Lubliner
Kolleginnen und Kollegen ergänzt, indem diese ihre Best-Practise-Beispiele
für Schulprojekte konkret vorstellten. Auf beiden Seiten wurde bedauert, dass
für diese schwierige Thematik gemäß geltenden Lehrplänen für den
Geschichtsunterricht in Polen und in Deutschland eigentlich nicht genügend Raum
gelassen werde. In die Tiefe gehen könne man lediglich im Rahmen außerunterrichtlicher, sprich zusätzlicher Aktivitäten
(Gedenkstättenfahrten, Exkursionen, Zeitzeugengespräche).
Derart engagierte Lehrkräfte in
der Lubliner Region arbeiten eng mit der von Wies³aw Wysok geleiteten Bildungsabteilung des Staatlichen Museums Majdanek zusammen, da man hier schülergerechte Konzepte
erarbeitet hat, durch die die Jugendlichen unter professioneller Anleitung zur
selbstständigen Forschungsarbeit in Kleingruppen ermutigt und motiviert werden.
So lassen sich Teilbereiche der Geschichte (KZ Majdanek,
Geschichte Lublins u. a.) exemplarisch im Detail
erschließen und durch Schüler und Schülerinnen den anderen Mitschülern präsentieren:
Die Beleuchtung von Einzelschicksalen aus dem Heimatort, Lageralltag, Frauen/Kinder
im Lager, Opfer und Täter - wer waren sie?, Kunst als
Widerstandsform im Lager, usw. Zudem wird es bald keine Zeitzeugen mehr geben,
so dass man jedwede Zusammenkünfte und Gespräche mit Überlebenden unbedingt
festhalten und dokumentieren sollte, um diese auch kommenden
Schülergenerationen zugänglich zu machen.
Schließlich war die Diskussion in Kleingruppen eröffnet. Der daraufhin folgende, intensive Erfahrungsaustausch begrenzte sich jedoch nicht mehr nur auf die Gedenkstättenthematik, sondern weitete sich auch auf andere Bereiche aus: die schwierige Lebenssituation von Lehrkräften in Polen, Tendenzen im Bildungswesen beiderseits der Oder, Veränderung hinsichtlich des Vorbildungsniveaus von Schülerinnen und Schülern in beiden Ländern. Die deutschen und polnischen Lehrkräfte waren unter sich und stellten doch recht viele Gemeinsamkeiten fest. Ebenso sind Planungen weitergehender Maßnahmen auf den Weg gebracht, eventuell kommt es sogar zu einer Schulpartnerschaft mit regelmäßigem Schüleraustausch zu einem der Lubliner Lyzeen. Mit diesem Abend als einem zukunftsweisenden Programmhighlight ging eine erfolgreich-intensive und anstrengende Studienfahrt zu Ende.