Ein Jude als katholischer Priester

 

Der polnische Pfarrer Romuald Jakub Weksler-Waszkinel entdeckt seine jüdischen Wurzeln

 

Jan und Katarzyna Opielka

 

Sein Name ist im Laufe seines Lebens länger geworden. Doch Romuald Jakub Weksler-Waszkinel hat dafür einen triftigen Grund. Der heute 66-jährige Pole erhielt 1966, mit 24 Jahren, als Romuald Waszkinel seine Weihen als katholischer Priester. Zwölf Jahre später aber erfuhr er von seiner Mutter, dass die polnischen Eltern, bei denen er aufgewachsen war, nicht seine leiblichen waren. Sie hatten den Jungen vor dem sicheren Tod im Holocaust bewahrt.

 

Waszkinels leibliche Eltern - die Juden Batia und Jakub Weksler, deren Namen der Priester erst 1992 herausfand und dann annahm - gaben ihren zweiten Sohn Romuald 1943 in die Obhut von Emilia und Piotr Waszkinel. „Retten Sie dieses jüdische Baby im Namen des Juden Jesus, an den Sie glauben“, soll Batia Weksler die beiden angefleht haben. Mehr noch: „Wenn der Kleine groß wird, werden Sie erleben, dass er Priester wird“, prophezeite die Mutter des Jungen, die aus Stare Święciany in der Nähe von Vilnius, (damals Polen, heute Litauen) stammte. Sie wurde in den Gaskammern von Sobibor ermordet, genau wie Romualds älterer Bruder Samuel. Der Vater kam wahrscheinlich auf dem Todesmarsch aus dem Lager Stutthof ums Leben. 

„Ich fühlte mich wie ein Mensch, der aus einem fliegenden Flugzeug in ein völlig unbekanntes Terrain geworfen wird“, sagt Weksler-Waszkinel über den Moment, in dem er von seiner jüdischen Herkunft erfuhr. Er, der von seinen jüdischen Wurzeln bereits zuvor eine vage Ahnung hatte, habe ab diesem Moment der Offenbarung seine polnische Mutter nur noch mehr geliebt. Seine Pflegeeltern hätten ihn wie ihren eigenen Sohn erzogen, erinnert er sich, mit viel Liebe. Nie jedoch hätten sie ihn zum Katholizismus gedrängt. „Meine Eltern sagten mir nie, dass oder wie ich beten soll“, sagt Weksler-Waszkinel. Er habe sich aber während der katholischen Messen, zwischen den beiden sitzend, als Kind besonders wohl und geborgen gefühlt. „Sie haben mich auch nie belogen. Als ich einmal als Kind vor dem Spiegel stand und freudig zu Mama sagte, dass ich Papa doch ähnlich bin, erwiderte sie nichts darauf“, erinnert sich der Priester, der als Doktor der Philosophie bis vor einem Jahr an der Lubliner Katholischen Universität lehrte. Dies rechnet er ihr besonders hoch an, weil er als Kind von anderen Kindern oft als „kleiner Jude“ und als uneheliches Kind beschimpft worden war.

Besonders für den Pflegevater aber war es ein Schock, als er vom 17-jährigen Romuald erfuhr, dieser habe sich ins Priesterseminar eingeschrieben. Vier Tage nach dieser Entscheidung starb Piotr Waszkinel an Herzversagen. Der junge Romuald aber blieb bei seinem Entschluss. „Es war eigentlich Zufall, dass ich diesen Weg wählte. Ein Priester fragte uns nach dem Abitur, was wir denn werden wollten. Da sagte ich einfach, ich wolle Priester werden - und war selbst überrascht, und zugleich erschrocken darüber“, sagt er. Heute sieht Weksler-Waszkinel, um seine Herkunft wissend, seinen Weg als die Erfüllung der Prophezeiung seiner leiblichen Mutter. 

Nach 14 Jahren Suche erfuhr der Priester 1992 mit Hilfe einer polnischen Ordensschwester endlich die Namen seiner leiblichen Eltern. Seine polnischen Pflegeeltern, die 1995 posthum als Gerechte unter den Völkern geehrt wurden, kannten diese aus Sicherheitsgründen nicht, denn auf Hilfe für jüdische Kinder stand im nationalsozialistisch besetzten Polen die Todesstrafe. Im gleichen Jahr traf der Priester bei seiner ersten Reise nach Israel den Bruder und die Schwester seines Vaters Jakub. Romuald Waszkinel ergänzte auch offiziell seinen Namen: um den Vornamen seines Vaters Jakub und den Nachnamen seiner leiblichen Eltern.

Seine jüdischen Verwandten rieten ihm, den Katholizismus abzulegen. Doch er blieb bei seiner Entscheidung. Weksler-Waszkinel versucht, im Sinne des II. Vatikanischen Konzils und der Lehren Papst Johannes Pauls II., den christlich-jüdischen Dialog zu leben. Er traf sich mit dem Sohn des NS-Verbrechers Martin Bormann, dem Theologen Martin Bormann Junior. 2006 nahm er an einem Treffen mit Papst Benedikt XVI. im ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau teil - auf Einladung der Jüdischen Konfessionsgemeinde Polens und als Teil ihrer jüdischen Delegation.

Ein Wunsch aber ist ihm erst kürzlich erfüllt worden. Romuald Jakub Weksler-Waszkinel darf zwar nicht die Alija, das Rückkehrrecht nach Israel in Anspruch nehmen. Denn er ist, obgleich jüdisch geboren, katholischer Priester. Doch der Staat Israel hat nach langem Hin und Her und dank großer Unterstützung für Weksler-Waszkinel durch Israelis und Polen im Juni beschlossen, dem Priester ein zweijähriges Visum zu erteilen. Zwar kritisiert etwa der Oberrabbiner der Republik Polen, Michael Schudrich, dass Weksler-Waszkinel das Rückkehrrecht eigentlich nicht verweigert werden dürfe, da er nicht freiwillig zu einem anderen Glauben übergetreten sei. Doch der 66-jährige Priester kann sich ein Leben ohne Polen ohnehin nicht dauerhaft vorstellen. Mit dem Land, sagt er, fühle er sich vor allem „psychisch verbunden“.

Im Herbst geht es also für zwei Jahre nach Israel. Dort will Weksler-Waszkinel Hebräisch lernen und die jüdische Kultur entdecken. Dies alles auf eine besondere Art und Weise, wie er sagt. „Ich möchte mit der größten Liebe und Neugierde meine Wurzeln in Israel suchen - wie ein Kind, das sich an seine Eltern, an die Vorfahren anschmiegt.“