Zum Tod von Witold Leder
Ein polnischer Kommunist
Im April 2007 starb in Warschau im Alter von 94 Jahren Witold Leder. Der Mai 1945 sah ihn, den jungen Offizier der Polnischen Armee, an der Seite der Roten Armee als Befreier in Berlin. Deutschlands Hauptstadt kannte er aus den ersten Schuljahren, da sein Vater, Władysław Feinstein-Leder, von 1921-1924 in Berlin in leitender Funktion für die Rote Gewerkschaftsinternationale (Profintern) arbeitete. Nach der Ausweisung aus Deutschland zog die Familie Leder nach Moskau, wo der Vater bald in den diplomatischen Dienst der UdSSR wechselte. Italien, Großbritannien und Frankreich waren seine Stationen. Seit 1933 arbeitete er - ein Weggefährte Rosa Luxemburgs - im sowjetischen Apparat und fiel 1937/38 den Stalinschen Säuberungen zum Opfer.
Seine beiden Söhne Witold und
Stefan kamen 1913 in Paris bzw. 1920 in Warschau auf die Welt. Władysław
Feinstein-Leder teilte das Schicksal vieler polnischer Revolutionäre, die als
Sozialdemokraten durch die zaristische Polizei verfolgt, nach dem Ende des
Ersten Weltkriegs nunmehr als frischgebackene Kommunisten zu den ersten
politisch Verfolgten des wiederer-standenen Polen
wurden. Ihnen blieb oftmals nur die Wahl zwischen Kerker und Emigration. Das
vermeintliche Vaterland der Werktätigen, wie sich die Sowjetunion gerne selbst
sah, wurde ihnen in den meisten Fällen zu einer tödlichen Falle.
Als Luftwaffeningenieur und Arzt
stellten sich die Leder-Brüder im Großen Vaterländischen Krieg an die Seite der
Roten Armee, wurden zu Offizieren der Polnischen Armee. Nach der Beendigung des
Krieges kehrten sie in ihre zerstörte Heimat zurück, widmeten ihre Kraft dem
Wiederaufbau des Landes auf sozialistischen Grundlagen. Witold Leder wurde
unter Wacław Komar
Generalsstabsoffizier in exponierter Stelle. Schnell holte ihn seine
schreckliche Vergangenheit ein. Unter dem Vorwand, noch immer ein Sowjetbürger
zu sein, wurde er Ende der 1940er Jahre nach Moskau beordert und nur durch den
Einsatz Zygmunt Modzelewskis und Władysław Gomułkas vor dem wahrscheinlichen Tode gerettet. Im
März 1952 wurde Witold Leder in Polen zusammen mit mehreren Hundert
Stabsoffizieren verhaftet und saß bis Dezember 1954 hinter Gittern. Nach Gomułkas Rückkehr an die höchsten Machthebel im Herbst
1956 eröffnete sich für Witold Leder die Perspektive publizistischer und
redaktioneller Arbeit in der führenden theoretischen Zeitung der PVAP. Die
fürchterlichen antizionistischen Verwerfungen des Jahres 1968 erzwangen den
allmählichen Abschied aus der aktiven politischen Arbeit. Später wurde er einer
der Mitbegründer des Verbandes Polnischer Übersetzer. Das Deutsche beherrschte
er wie ein Muttersprachler - kein Wunder: die Sprache Heines und Goethes war
die Sprache seiner Mutter. Bis in die letzten Lebensjahre hinein zählte er zu
den besten Simultandolmetschern seines Landes. Russisch, Französisch, Englisch
und Italienisch beherrschte er gleichfalls exzellent.
Kurz nach dem Krieg lernte Witold
Leder seine spätere Frau Ewa kennen, deren Familie dem Ghetto von Łódź zum Opfer fiel.
Im Jahre 2002 stellten er und
sein Bruder Stefan mit Unterstützung deutscher Freunde unter dem
programmatischen Titel „Unbeirrbar rot“ Zeugen und Zeugnisse der Familie Leder
zusammen (s.a. die ausführliche Besprechung in POLEN
und wir 2/2003, S. 21-22). Nach dem Tod des jüngeren Bruders im Herbst 2003
machte sich Witold Leder an die Vorbereitung und Erarbeitung der polnischen
Ausgabe des Buches, welche im Herbst 2005 in Warschau unter Mitwirkung Karol Modzelewskis und Michał Komars
der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Auf der Trauerfeier für Witold Leder
erinnerte Karol Modzelewski in
beeindruckend-schlichten Worten an seinen väterlichen Freund. h.p.
Unbeirrbar
rot. Zeugen und Zeugnisse einer Familie. Eineinhalb Jahrhunderte Familiensaga.
Erzählt und ausgewählt von Stefan und Witold Leder. Berlin 2002; Stefan i
Witold Lederowie. Czerwona nić. Ze wspomnień i prac rodziny
Lederów. Warszawa 2005