Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und
Republik
Hellmut von Gerlach – vom Junker zum
Bürger
Von Wulf Schade
Unter diesem Titel fand am 1. und 2. Juni eine Tagung an der Freien
Universität Berlin, Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften statt.
Die elf Referenten und eine Referentin kamen aus Polen, Italien und
Deutschland, die sich teilweise bereits des längeren, teilweise aber erst in
Vorbereitung auf die Tagung mit Helmut von Gerlach beschäftigt hatten. Alle
aber waren sie Fachleute für seine Zeit. Referenten waren die Wissenschaftler
Mario Keßler (Potsdam),
Auf der Tagung, deren
Mitveranstalter die Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD, die Deutsche
Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen
(DFG/VK), die Internationale Liga für Menschenrechte, die Deutsche
Journalistinnen und Journalisten-Union, die Zweiwochenzeitschrift „Ossietzky“ sowie die
Deutsch-Polnische Akademische Gesellschaft e.V., WeltTrends
e.V. und die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft waren, wurde eine
Zeit unter völlig anderen Aspekten, als man es bisher gewohnt war, in den
Mittelpunkt gerückt. Zwar waren wohl den meisten Teilnehmerinnen und
Teilnehmern Personen wie Carl von Ossietzky und Kurt
Tucholsky bereits ein Begriff, weniger aber schon die des Tagungsthemas Helmut
von Gerlach oder auch Friedrich Wilhelm Foerster, Ludwig
Quidde und Josef Pollak, um
nur einige zu nennen.
Die selbst gestellte Aufgabe der
Tagung war es, eine dieser Personen, Helmut von Gerlach, in seiner Zeit, v.a. aber sein Handeln vor dem Vergessen zu bewahren, denn
er steht für etwas, was heute wieder brandaktuell ist: für Verständigung
zwischen den Völkern, für gegenseitiges Kennenlernen
und Ächtung kriegerischer Maßnahmen. Die Notwendigkeit, darüber zu sprechen und
zu forschen, bewies die Tagung: Sie zeigte die großen Forschungslücken
bezüglich der Lebensläufe der Personen wie auch ihrer Aktivitäten. Natürlich
ist das letztlich keine wirkliche Überraschung, denn das offizielle Deutschland
baut auf andere Traditionen. Lieber gibt man einer Straße den Namen des
konservativen Nationalisten Heinrich von Treitschke als den eines Pazifisten
wie Friedrich Wilhelm Foerster oder eben Helmut von
Gerlach.
So bestand denn die Tagung zuerst
einmal in einer Skizzierung des Forschungsstandes. Es stellte sich heraus, dass
es über die Person Helmut von Gerlach hauptsächlich, wie es ein Teilnehmer
nannte, nur „Ego-Dokumente“ gibt, d.h. Selbstzeugnisse über seinen Werdegang.
Natürlich ist solch eine Tatsache in der Forschung stark zu berücksichtigen, v.a. wenn es um das Warum des Wandels seiner Person vom
Deutsch-Nationalen und Antisemiten zu einem Pazifisten und Weltbürger geht. Für
die Erforschung seiner Wirkung als Person, die aktiv für die Aussöhnung mit
Frankreich und Polen eintrat, ist sie nicht so entscheidend. Und hier zeigte
sich dann auch ein zweites Verdienst dieser Tagung. Es wurde herausgearbeitet,
dass sich Helmut von Gerlach in ganz entscheidenden Situationen dem
engstirnigen, herrschenden Nationalismus widersetzte und aktiv für die
Aussöhnung mit Frankreich, aber noch gewichtiger, weil noch ‚außenseiterhafter’ für die mit Polen eintrat. War letzteres
auch später wieder, wie in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1945 in
Westdeutschland, schwer und mit Ächtung bedacht, so bedeutete das in der
Weimarer Republik Lebensgefahr, die sich in mehrfachen Todesdrohungen von
Seiten der politischen Rechten gegen Hellmut von Gerlach und einem Attentatsversuch
gegen ihn äußerte. Aber - und das herausgearbeitet zu haben, ist ein drittes
Verdienst der Tagung - Hellmut von Gerlach stand mit seiner mutigen Haltung
nicht allein. Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, die
bekannteren Personen wie auch Friedrich Wilhelm Foerster,
Ludwig Quidde, Josef Pollak
und andere heute fast der Vergessenheit anheimgefallene
Personen gingen mit ihm und er mit ihnen diesen Weg. Konsequente Ablehnung
jeglichen Angriffskrieges, Gebietsverzicht gegenüber Frankreich und Polen um
des Friedens Willen, gegen nationalistisches Denken - das waren damals zentrale
Losungen der durch diese Personen maßgeblich beeinflussten deutschen
Friedensbewegung. Um diese Losungen auch in der Praxis umzusetzen, versuchten
sie Kontakte mit pazifistischen Gruppen in Frankreich und Polen zu knüpfen, was
dann auch gelang. Vor allem darüber, dass es auch Kontakte und Zusammenarbeit
mit polnischen pazifistischen Gruppen gab, darüber war fast niemandem der
Teilnehmenden vor der Tagung etwas bekannt. Wenn auch im bescheidenen Maße,
konnten damals einige gemeinsame Aktionen unternommen werden. Hier liegt denn
auch das vierte Verdienst der Tagung, auch darin, dass festgestellt werden
musste, dass diesbezüglich der Forschungsstand nahe der Grenze Null ist.
Abgerundet wurde der erste Tag
durch eine Einladung des polnischen Botschafters zu einem Empfang in die
Botschaftsräume. Bei einem hervorragenden Imbiss konnte sich jeder der etwa 30
Teilnehmenden mit dem Botschafter, Herrn Prawda, und seinen Mitarbeitern
zwanglos unterhalten.
Die Tagungsreferate sollen in Buchform erscheinen.