Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik

Hellmut von Gerlach – vom Junker zum Bürger

 

Von Wulf Schade

 

Unter diesem Titel fand am 1. und 2. Juni eine Tagung an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften statt. Die elf Referenten und eine Referentin kamen aus Polen, Italien und Deutschland, die sich teilweise bereits des längeren, teilweise aber erst in Vorbereitung auf die Tagung mit Helmut von Gerlach beschäftigt hatten. Alle aber waren sie Fachleute für seine Zeit. Referenten waren die Wissenschaftler Mario Keßler (Potsdam), Christoph Koch (Berlin), Wolfgang Wippermann (Berlin), Krzysztof Rzepa (Poznań), Przemysław Hauser (Poznań), Karl Heinrich Pohl (Kiel), Karl Holl (Bremen), Ludwig Elm (Jena), Hans-Jürgen Bömelburg (Lüneburg) und Susanna Böhme-Kuby (Venedig/Udine) sowie  der Journalist Eckart Spoo (Berlin) und der Verleger Helmut Donat (Bremen), zwei Personen, die sich aufgrund ihrer beruflichen und politischen Aktivitäten bereits seit Jahrzehnten mit dem Pazifismus dieser Zeit oder auch mit Hellmut von Gerlach im Besonderen auseinandergesetzt hatten. Die etwa 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus verschiedenen Städten Deutschlands. Auch einige Studentinnen und Studenten der Freien Universität nahmen teil. Gefördert wurde die Tagung aus Mitteln der Bundeszentrale für politische Bildung. Prof. Dr. Gesine Schwan, Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit und Präsidentin der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder hatte die Schirmherrschaft übernommen.

 

Auf der Tagung, deren Mitveranstalter die Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD, die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG/VK), die Internationale Liga für Menschenrechte, die Deutsche Journalistinnen und Journalisten-Union, die Zweiwochenzeitschrift „Ossietzky“ sowie die  Deutsch-Polnische Akademische Gesellschaft e.V., WeltTrends e.V. und die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft waren, wurde eine Zeit unter völlig anderen Aspekten, als man es bisher gewohnt war, in den Mittelpunkt gerückt. Zwar waren wohl den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern Personen wie Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky bereits ein Begriff, weniger aber schon die des Tagungsthemas Helmut von Gerlach oder auch Friedrich Wilhelm Foerster, Ludwig Quidde und Josef Pollak, um nur einige zu nennen. 

Die selbst gestellte Aufgabe der Tagung war es, eine dieser Personen, Helmut von Gerlach, in seiner Zeit, v.a. aber sein Handeln vor dem Vergessen zu bewahren, denn er steht für etwas, was heute wieder brandaktuell ist: für Verständigung zwischen den Völkern, für gegenseitiges Kennenlernen und Ächtung kriegerischer Maßnahmen. Die Notwendigkeit, darüber zu sprechen und zu forschen, bewies die Tagung: Sie zeigte die großen Forschungslücken bezüglich der Lebensläufe der Personen wie auch ihrer Aktivitäten. Natürlich ist das letztlich keine wirkliche Überraschung, denn das offizielle Deutschland baut auf andere Traditionen. Lieber gibt man einer Straße den Namen des konservativen Nationalisten Heinrich von Treitschke als den eines Pazifisten wie Friedrich Wilhelm Foerster oder eben Helmut von Gerlach.

So bestand denn die Tagung zuerst einmal in einer Skizzierung des Forschungsstandes. Es stellte sich heraus, dass es über die Person Helmut von Gerlach hauptsächlich, wie es ein Teilnehmer nannte, nur „Ego-Dokumente“ gibt, d.h. Selbstzeugnisse über seinen Werdegang. Natürlich ist solch eine Tatsache in der Forschung stark zu berücksichtigen, v.a. wenn es um das Warum des Wandels seiner Person vom Deutsch-Nationalen und Antisemiten zu einem Pazifisten und Weltbürger geht. Für die Erforschung seiner Wirkung als Person, die aktiv für die Aussöhnung mit Frankreich und Polen eintrat, ist sie nicht so entscheidend. Und hier zeigte sich dann auch ein zweites Verdienst dieser Tagung. Es wurde herausgearbeitet, dass sich Helmut von Gerlach in ganz entscheidenden Situationen dem engstirnigen, herrschenden Nationalismus widersetzte und aktiv für die Aussöhnung mit Frankreich, aber noch gewichtiger, weil noch ‚außenseiterhafter’ für die mit Polen eintrat. War letzteres auch später wieder, wie in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1945 in Westdeutschland, schwer und mit Ächtung bedacht, so bedeutete das in der Weimarer Republik Lebensgefahr, die sich in mehrfachen Todesdrohungen von Seiten der politischen Rechten gegen Hellmut von Gerlach und einem Attentatsversuch gegen ihn äußerte. Aber - und das herausgearbeitet zu haben, ist ein drittes Verdienst der Tagung - Hellmut von Gerlach stand mit seiner mutigen Haltung nicht allein. Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, die bekannteren Personen wie auch Friedrich Wilhelm Foerster, Ludwig Quidde, Josef Pollak und andere heute fast der Vergessenheit anheimgefallene Personen gingen mit ihm und er mit ihnen diesen Weg. Konsequente Ablehnung jeglichen Angriffskrieges, Gebietsverzicht gegenüber Frankreich und Polen um des Friedens Willen, gegen nationalistisches Denken - das waren damals zentrale Losungen der durch diese Personen maßgeblich beeinflussten deutschen Friedensbewegung. Um diese Losungen auch in der Praxis umzusetzen, versuchten sie Kontakte mit pazifistischen Gruppen in Frankreich und Polen zu knüpfen, was dann auch gelang. Vor allem darüber, dass es auch Kontakte und Zusammenarbeit mit polnischen pazifistischen Gruppen gab, darüber war fast niemandem der Teilnehmenden vor der Tagung etwas bekannt. Wenn auch im bescheidenen Maße, konnten damals einige gemeinsame Aktionen unternommen werden. Hier liegt denn auch das vierte Verdienst der Tagung, auch darin, dass festgestellt werden musste, dass diesbezüglich der Forschungsstand nahe der Grenze Null ist.

Abgerundet wurde der erste Tag durch eine Einladung des polnischen Botschafters zu einem Empfang in die Botschaftsräume. Bei einem hervorragenden Imbiss konnte sich jeder der etwa 30 Teilnehmenden mit dem Botschafter, Herrn Prawda, und seinen Mitarbeitern zwanglos unterhalten.

Die Tagungsreferate sollen in Buchform erscheinen.