Auf der Verliererstrasse
Von Holger Politt
Polens Ministerpräsident und Präsidentenbruder ist mit seinem Vorhaben,
das Land in eine moralische Revolution hineinzuführen, gescheitert. Zum Glück
für das Land. Sein taktisches und strategisches Geschick reichten nicht, die
polnische Gesellschaft auf neue politisch-moralische Grundlagen zu stellen.
Eine relativ robuste Demokratie, die Zugehörigkeit zur Europäischen Union und
die herrschende Wirtschaftsordnung erwiesen sich als zu hohe Hürden. Jarosław
Kaczyński bleibt, mithilfe der von ihm zusammen gezimmerten Koalition aus PiS, Samoobrona und LPR dem
Zwillingsbruder im höchsten Staatsamte noch zwei Jahre Flankenschutz zu geben
oder ihn überhaupt zu stützen.
Auf einen erneuten Wahlsieg bei
Parlamentswahlen braucht er nicht mehr zu spekulieren. Im Gegenteil. Er muss
mittlerweile befürchten, dass PiS unter seiner Führung
ganz wie die so ungleichen Vorgänger AWS und SLD mit Ablauf der Legislatur aus
dem Zentrum des politischen Geschehens an den Rand gedrückt wird. Die noch
immer stabilen Umfragewerte mögen darüber noch eine Weile hinwegtäuschen, doch
der PiS-Chef hat die absolute Hoheit über das
rechts-konservative politische Lager verloren. Die günstige Ausgangsposition
vom Herbst 2006, als nach den Regional- und Kommunalwahlen PiS
unter Führung des Ministerpräsidenten dieses Lager unumschränkt zu bestimmen
schien, konnte nicht gehalten werden. Nachdem das Pulver im aufreibenden
„Moral-Krieg“ gegen den Rest der Gesellschaft verschossen wurde, zeigt die
Fassade der eigenen Festung Risse. Es wird sichtbar, dass Jarosław Kaczyński
nie anders als aus einer Minderheitsposition heraus regiert hat. Da er die
Regierungskoalition immer nur instrumental verstanden und keine Gelegenheit
ausgelassen hat, die Partner zu entkräften, wird die Koalition auch in den
kommenden Monaten nichts weiter sein als eine Zählgemeinschaft. Seine so
ungleichen Gegner aus den anderen Lagern sehen sich Mitte 2007 unverhofft in
einer günstigen Situation: Sie könnten die politische Agenda wieder bestimmen.
Ein nicht zu unterschätzender Faustpfand.
Vor Jahresfrist stand in POLEN
und wir, dass der PiS-Chef mit seinem Vorhaben einer
„moralischen Revolution“ scheitern werde, wenn er selbst das Amt des
Ministerpräsidenten übernimmt. Doch der sich ankündigende Niedergang des
Präsidentenbruders ist nicht zu verwechseln mit einem etwaigen Scheitern der
politischen Formation, die er anführt. In deren Reihen gibt es genügend Kräfte,
die von der Möglichkeit, Polen aus rechts-konservativer Position heraus zu
regieren, restlos überzeugt sind. Sie werden es künftig nur ohne die
Eitelkeiten und Obsessionen des jetzigen Vorsitzenden zu tun versuchen. Dem
Luxus etwa, ein bereits eingerenktes Bündnis aus Rechtskonservativen und
Rechtsliberalen für eine offene Feldschlacht zu opfern, um die Umfragewerte
beider Gruppierungen nach der Logik der Fernesehduelle hoch zu peitschen und
über den Weg vorgezogener Neuwahlen die geltenden Verfassungsgrundlagen über
den Haufen zu werfen, werden sie sich kein zweites Mal hingeben. Die Grenzen
der erhofften rechtskonservativen Hegemonie sind in den zurückliegenden Monaten
allzu deutlich geworden. Die Nachfolger Kaczyńskis werden sich als
gelehrigere Schüler der westlichen Demokratie erweisen und den harten Regeln
des parlamentarischen Spiels nicht mehr die Stirn zeigen. Sie werden nicht mehr
alles auf eine Karte zu setzen versuchen. Der Traum von zwei dominierenden
politischen Blöcken aus der rechten Hälfte ist vorerst vorbei. Jarosław
Kaczyński hat, hierin ganz anders als sein historisches Vorbild Józef Piłsudski, keine Hintertür. Er wird nun schweren
Herzens in der verbleibenden Zeit bis zu den nächsten Wahlen fleißige
Regierungsarbeit leisten müssen auf der Grundlage einer ihm insgeheim suspekten
Verfassung, zu deren Verteidigung Aleksander Kwaśniewski und Lech Wałęsa
kürzlich gemeinsam aufriefen.
Wie weit die Rechtskonservativen künftig ohne Kaczyński und ohne lockende soziale Rhetorik kommen werden, hängt von dem Zuschnitt der anderen politischen Kräfte ab. Die rechtsliberale PO sieht sich weiterhin bestätigt, genau am richtigen Platze zu sein, dort, wo es der rechtskonservativen Konkurrenz so richtig wehtun soll - bei den neoliberal verstandenen Wirtschaftsinteressen. Interessanter dagegen sind die Entwicklungen auf der linken Seite, bei der SLD beispielsweise, die nach einem Ausweg aus ihrer Krise sucht. Das Pendel schlägt augenblicklich in Richtung Mitte aus, denn das Vorhaben LiD, also der angepeilte Zusammenschluss der sich modern fühlenden Sozialdemokraten mit den Frei- oder Liberaldemokraten, wird noch gesteigert durch das Engagements Kwaśniewskis, der bereits von einem künftigen Bündnis aus LiD und PO träumt, bei dem er sich selbst ab 2009 als Ministerpräsident sehen könnte. Da nun aber Regierungszeiten mit der PO für die gebeutelte SLD-Truppe nicht auf der Tagesordnung stehen, wird ein guter Teil der Partei und des Umfelds - so wie es in Oppositionszeiten nicht unüblich ist - nach links gerissen, wo die kommenden Monate manche Überraschung parat haben werden. Ein etwas genauerer Blick wird sich dann lohnen.