Polnische Piroggen statt Fish&Chips

 

Seit der EU-Osterweiterung kamen 360.000 Polen zum Arbeiten nach Großbritannien

 

Michael Katerla, London

 

London (n-ost) - Als die Europäische Union im Mai 2004 um zehn Staaten erweitert wurde, öffneten nur Großbritannien, Irland und Schweden ihren Arbeitsmarkt für Zuwanderer aus Osteuropa. Seitdem sind offiziellen Angaben zufolge mehr als eine halbe Millionen Osteuropäer nach Großbritannien eingewandert. Allein an Polen vergab das britische Home Office (Innenministerium) 360.000 Arbeitsgenehmigungen. Nicht berücksichtigt sind hierbei selbstständige Unternehmer, die keine Arbeitserlaubnis benötigen, wie zum Beispiel der oft zitierte polnische Klempner. Hinzu kommen Schwarzarbeiter, die sich nicht um Dokumente bemühten. Experten schätzen die wirkliche Anzahl von Polen in Großbritannien daher auf über 700.000. Das Home Office ging vor der EU-Erweiterung von einem Zuzug von 13. 000 Osteuropäern pro Jahr aus.

 

Die meisten Polen zieht es in die britische Hauptstadt. In London hat sich seit der EU- Erweiterung eine prosperierende polnische Infrastruktur gebildet. Für die Zuwanderer gibt es zwei polnische Radiosender, eine Tageszeitung und drei wöchentlich erscheinende Magazine. Es gibt Single-Partys für Polen, polnische Kulturzentren und Gottesdienste auf Polnisch. Neben dem im Osten gelegenen Stadtteil Hammersmith, der bereits seit Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts durch polnische Immigration geprägt ist, sind es vor allem die im Süden Londons gelegenen Viertel Ballham und Tooting, in denen heute große polnische Gemeinden leben.

In Tooting, einem Viertel, das in der Vergangenheit vor allem für seinen hohen pakistanischstämmigen Bevölkerungsanteil bekannt war, eröffnet ein polnisches Geschäft nach dem anderen. Aber längst gibt es polnische Spezialitäten auch in den Läden der asiatischen Immigranten.

Ein pakistanischer Friseur hat seine Angebote ins Polnische übersetzt. Ein indisches Restaurant bietet neben dem englischen Ale auch polnische Biersorten an. Ein paar Geschäfte weiter wird auf einer Leuchtanzeige neben Lebensmitteln aus Indien und Jamaika für polnische Produkte geworben. Der Besitzer Babu Sine aus Sri Lanka erzählt, dass immer wieder nach Pierogi (Teigtaschen) und polnischen Fleischspezialitäten gefragt wurde. Kurzerhand habe er sich daher entschlossen, sein Sortiment zu erweitern. So steht neben indischen Currysaucen nun polnische Sülze, schlesische Würste liegen im Gefrierfach neben indischen Samosas.

Ein paar Häuser neben Babu Sines Lebensmittelgeschäft befindet sich das Polskie Centrum, das für viele polnische Immigranten eine erste Anlaufstation ist. Die 36-jährige Ewa Manno ist schon seit neun Jahren in Großbritannien und hat im Jahr 2002 das Polskie Centrum gegründet. Seitdem habe sich viel geändert, sagt sie. „In den Jahren 2002 und 2003 hatten wir nicht sehr viel zu tun. Es war sehr kompliziert für Polen überhaupt eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis. Mit der EU-Osterweiterung im Mai 2004 ist es dann regelrecht explodiert. Innerhalb weniger Wochen hatten wir zehnmal so viele Kunden und seitdem werden es immer mehr.“

Über achtzig Prozent der polnischen Zuwanderer sind zwischen 18 und 32 Jahre alt und oft sehr gut ausgebildet. Allerdings sprechen die meisten von ihnen nur sehr schlecht Englisch. Ewa Manno kennt viele Fälle von Akademikern, die anfangs als Bedienung in einem Café oder als Maurer arbeiten. „Wenn sie die Sprache dann aber beherrschen, bekommen sie auch die Chance auf einen besser bezahlten Bürojob.“ Allerdings weiß Ewa Manno auch von einer Zunahme an Ressentiments und Beschimpfungen zu berichten. „Die Beziehungen zwischen Briten und Polen waren vor zwei Jahren besser. Für wenig Geld haben Polen sehr gute Arbeit auf dem Bau oder in Fabriken geleistet. Jetzt wollen einige von ihnen bessere Jobs und etwas mehr Geld. Die Briten realisieren, dass der Zustrom anhält und viele auch bleiben wollen. Das schürt bei einigen Angst.“

Das Thema Immigration ist in der britischen Gesellschaft ein Dauerbrenner. Während die regierende Labour Party die Zuwanderung als Erfolg feiert, werfen ihr Oppositionsparteien vor, die Kontrolle über die Immigration verloren zu haben. Die Regierung unter Tony Blair verweist auf den Beitrag der Zuwanderer zum Wirtschaftswachstum. Allerdings führte sie anlässlich der im Januar dieses Jahres erfolgten EU-Erweiterung für die Bürger der neuen Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien Zulassungsbeschränkungen ein.

Ginge es nach Alex Christie, dem Direktor der Recruitment Agentur energi, sollten möglichst noch mehr Polen nach Großbritannien einwandern. „London und der Rest des Landes braucht gut ausgebildete Arbeiter. Die Polen sind bestens qualifiziert, jung und belastbar. Und sie arbeiten für weniger Geld.“ Christies Agentur ist eine von über zwanzig Firmen auf der britisch-polnischen Jobmesse im Londoner Stadtteil Hammersmith, einer Messe die speziell für die polnischen Zuwanderer organisiert wird. Die großen britischen Lebensmittelhändler Tesco und Waitrose sind hier ebenso vertreten wie BP und die British Telecom. Gesucht werden Lkw-Fahrer und Fabrikarbeiter, aber auch Krankenschwestern und Manager. Mehr als 2.000 Menschen drängen sich an einem Samstag durch die Gänge des Rathausgebäudes, in dem die Messe stattfindet.

Die 23-jährige Monika Gorska ist vor neun Monaten nach London gekommen. Momentan arbeitet sie für eine Marketingfirma. Wenn sie genug Geld gespart hat, möchte sie eine Wohnung kaufen - in London. Nach Polen will sie so schnell nicht zurück. „Solange die Kaczynski Brüder noch an der Macht sind, bleibe ich auf jeden Fall hier in England. Die leben doch in der Vergangenheit und schauen immer nur zurück und nie nach vorne. Die Regierung sollte endlich mal die wirtschaftliche Situation verbessern.“

Zwar ist die polnische Wirtschaft auch dank üppiger EU-Gelder im Jahr 2006 um fast sechs Prozent gewachsen, allerdings liegt die Arbeitslosigkeit immer noch bei fünfzehn Prozent, der höchste Wert in der EU. Bei den unter 25-jährigen beträgt die Erwerbslosenquote sogar über 25 Prozent. Auch das ist Negativrekord.

Ruth Saunders, die als Personalvermittlerin bei der Supermarktkette Waitrose arbeitet, ist auf der Suche nach Verkäufern und Lagerarbeitern. „Die meisten Briten wollen solche Jobs einfach nicht mehr machen. In einigen unserer Filialen beträgt der Anteil polnischer Arbeiter über vierzig Prozent.“ Die meisten seien glücklich, für den gesetzlichen Mindestlohn von 5,30 Pfund pro Stunde zu arbeiten. Das entspricht einem Stundenlohn von 7,73 Euro. Das Vierfache dessen, was man in Polen für einen vergleichbaren Job bekommt.

Viele polnische Arbeiter bekommen aber noch nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn ausgezahlt. Trish Raftery ist Londoner Regionalleiterin der Gewerkschaft TUC (Trades Union Congress). Sie gibt zu bedenken, dass Mindestlöhne oft nicht eingehalten werden. „Uns sind Fälle bekannt, wo Polen für zwei oder drei Pfund pro Stunde gearbeitet haben. Viele melden sich nicht offiziell an, da sie überhaupt nicht wissen, dass sie das tun müssen.“ Den britischen Boulevardmedien wirft Raftery Stimmungsmache gegen osteuropäische Einwanderer vor. „Die reißerischen Überschriften in Boulevardzeitungen wie Sun und Daily Star, die Polen würden den Briten die Jobs wegnehmen, sind einfach falsch. Die Polen füllen hier Lücken im Arbeitsmarkt. Wir brauchen sie. Und die meisten Leute wissen das auch.“

Wie viele Polen langfristig in Großbritannien bleiben wollen, weiß niemand. Das Home Office geht in seinen Schätzungen davon aus, dass mehr als die Hälfte der polnischen Einwanderer nach weniger als zwei Jahren wieder ausreisen.

Einer der zurück will, ist der 22-jährige Andrzej Stasko. Seit vier Wochen ist er im Land und verteilt Flyer für eine Umzugsfirma vor dem Rathaus in Hammersmith. „Hier geht es doch nur ums Geld. Das ist das Einzige was die Leute interessiert. Als Mensch, zähle ich hier überhaupt nichts“, klagt er. Sobald er genug verdient habe, werde er sich eine Wohnung kaufen - in Krosno, rund zweihundert Kilometer östlich von Krakau.