Meilensteine
für eine gedeihliche Zukunft Europas
Von Daniela Fuchs
Unter diesem Motto wurden am 19. Dezember 2006 unter der Schirmherrschaft der Rosa Luxemburg Stiftung in Warschau zwei Dokumentenbände mit dem Titel "Polen - Deutschland" vorgestellt, deren Herausgabe die Stiftung auch finanziell unterstützt hat. Sie enthalten Materialien über Ereignisse, die für die deutsch-polnischen Beziehungen von enormer Wichtigkeit waren. Der eine Band widmet sich dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der BRD und Polen, der die Grenze an Oder und Lausitzer Neiße bestätigte und ihre Unverletzlichkeit bekräftigte. Der andere Band beleuchtet vor allem die Rolle, die Polen im Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in den Jahren 1989-90 spielte. Der Artikel „Polens Wege“ von Holger Politt beschäftigt sich näher mit der deutsch-polnischen Grenzfrage auf der Grundlage der beiden Dokumentenbücher.
Den ersten Band über den
Grenzvertrag vom Dezember 1970 präsentierten zwei politische Urgesteine der
vergangenen Volksrepublik Polen, Ministerpräsident Mieczys³aw Rakowski und das
Politbüromitglied des ZK der PVAP und Historiker Andrzej Werblan.
Beide rückten eine Person in das Visier, die ihrer Meinung der eigentliche
Autor des Vertrages auf polnischer Seite war, Władysław Gomułka, der damalige Parteichef der PVAP. Für Gomułka, er war von 1945 bis 1948 Minister für die wiedergewonnenen Gebiete, waren die neuen Westgebiete nicht
nur Kompensation für verlorenes Territorium im Osten, sondern sie boten
gleichzeitig eine Chance für eine Modernisierung des Landes. Zugleich war er
von tiefem Misstrauen erfüllt. Gomu³ka glaubte weder den Deutschen, dass sie
sich mit dem Gebietsverlust abfinden würden, noch an eine dauerhafte
Unterstützung für diese Lösung durch die Sowjetunion. Er intervenierte,
teilweise erfolglos, bei Stalin gegen sowjetische Demontage und Reparation.
Gleichfalls beunruhigten Gomułka Äußerungen einiger
SED Funktionäre im Herbst 1946, die eine Grenzänderung
befürworteten. Er forderte ergebnislos sogar ein Zusatzprotokoll zum
polnisch-sowjetischen Vertrag vom April 1945, indem die Sowjetunion ihre
unveränderte Haltung zur polnischen Westgrenze selbst bei einer deutschen
Vereinigung abgeben sollte.
Ein Meilenstein für die
Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze war für Gomułka
das Abkommen von Görlitz 1950 mit der DDR. Mieczys³aw Rakowski, der Gomułka als seinen strengen politischen Ziehvater
bezeichnete, berichtete, dass er den eher sachlichen Gomułka
selten so entspannt und fröhlich gesehen habe wie nach der Unterzeichnung
dieses Abkommens.
Gomułka
ging immer davon aus, dass sich perspektivisch die beiden deutschen Staaten
vereinigen werden. Er fürchtete, dies könnte vor einer internationalen und
gesamtdeutschen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze geschehen und diese in Frage
stellen. Chancen, die Grenzfrage zu regeln, sah er deshalb in der neuen Ostpolitik
Willy Brandts.
Der Band enthält zum Teil
unveröffentlichte Dokumente aus Privatarchiven, die in der Stiftung Archiv der
Historischen Dokumentation der VR Polen gesammelt wurden. Sie werfen nicht nur
ein Bild hinter die Kulissen der Verhandlungen zum Vertrag von 1970, sondern
sie, so erläuterte Andrzej Werblan, bieten auch einen
Einblick in die Gedankenwelt und Bedingungen der polnischen Teilnehmer unter
denen sie agierten.
Der zweite Band enthält
diplomatische Gespräche des damaligen Staatsratsvorsitzenden und ab Juli 1989
Präsidenten Polens Wojciech Jaruzelski, die er mit Politikern aus der DDR und
der BRD in den Jahren 1988 bis 1990 führte. Sie spiegeln eine turbulente Zeit
wider. Mauerfall und deutsche Einheit ließen in Polen alte Ängste in Bezug auf
die Unantastbarkeit der Westgrenze aufkommen. Für Jaruzelski gab es in dieser
Frage kein aber. Warten auf einen Abschluss des schon "mystischen"
Friedensvertrages kam für Polen nicht in Frage. Dieser Band dokumentiert die
Gespräche des polnischen Präsidenten mit
E. Krenz, H. Modrow und M. Meckel sowie H.-D.
Genscher, J. Rau, O. Lafontaine, H. Kohl und R. v. Weizsäcker. Leider konnte
aus gesundheitlichen Gründen der 83-jährige General an der Veranstaltung nicht
teilnehmen. Zugegen war einer seiner damaligen Gesprächspartner, der ehemalige
Ministerpräsident der DDR Hans Modrow. Der Band enthält ein Gespräch beider,
das sie am 16. Februar 1990, einen Monat vor den Wahlen in der DDR in Warschau
führten. Jaruzelski dankte u. a. Modrow besonders für seine Unterstützung, dass
Polen in angemessener Weise an den 2 + 4 Gesprächen beteiligt werden sollte.
Letztendlich sanktionierte das 2+4 Abkommen die Grenze an Oder und Neiße als
endgültig und unaufhebbar. Auch für diesen Band stellte die Stiftung Archiv der
Historischen Dokumentation der VR Polen die Dokumente zur Verfügung. Es ist für
die objektive Geschichtsschreibung von größtem Wert, dass die einmaligen
Quellen aus der Volksrepublik nicht im national-konservativen Polen verloren
gehen.
Die beiden Bände sind auf
Polnisch herausgegeben und stellen den Beginn einer kleineren Reihe bisher
unveröffentlichter diplomatischer Dokumente zu ausgewählten Problemen der
deutsch-polnischen Beziehungen in der Zeit der Volksrepublik Polen dar. Die
Materialien stammen aus dem Warschauer Privatarchiv „Historische Dokumentation
der Volksrepublik Polen“.
Band I: Uk³ad grudniowy
1970 [das Dezemberabkommen 1970]. Warszawa 2006. 138
Seiten.
In dem Band sind u. a.
dokumentiert: Gespräche im Vorfeld der Vertragsverhandlungen (z. B. Rakowski-Bahr November 1969), die Instruktion zu den Verhandlungen
mit der BRD aus dem Dezember 1969, Noten des polnischen Verhandlungsleiters,
das Gesprächsprotokoll zwischen Gomułka und
Brandt im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung.
Band II: Rozmowy diplomatyczne Wojciecha Jaruzelskiego 1988-1990 [Diplomatische Gespräche Wojchiech Jaruzelskis 1988-1990]. Warszawa 2006. 132 Seiten.