Die Kinder von
Zamość
Prof. Dr. Roland Köhler
Es gibt eine reiche Fachliteratur
über die deutsche Okkupation Polens von 1939 bis 1945, überwiegend in
polnischer Sprache. Schon deshalb, aus dieser sprachlichen Not heraus, ist sie
- sogar scheinbar einleuchtend - aus dem öffentlichen Diskurs in Deutschland
weithin ausgespart. Ins Deutsche übersetzte polnische Arbeiten waren meist
solche verpasste Gelegenheiten tatsachenbestimmten öffentlichen
Miteinander-Diskutierens. So war es zum Beispiel seinerzeit mit der deutschen
Übersetzung (1994) der überaus spannenden Dokumentensammlung von Czesław Madajczyk über den
„Generalplan Ost“. Auch gewichtigen Arbeiten deutscher Autoren - wie Dietrich Eichholtz, Werner Röhr, Wolfgang Wippermann oder Ullrich
Herbert etwa, um ein paar Namen zu nennen - ging es so.
2003 legte Henryk
Kajtel im Auftrag des Vereins „Die Kinder von Zamość“ einen schmalen Sammelband von
Erinnerungsarbeiten über das Nazi-Umsiedlungslager in Zamość
vor. Er schließt auch in der polnischen Literatur über den Besatzungsterror
eine Lücke und gestattet den meisten deutschen Lesern zum ersten Mal einen
Blick in die versuchsweise vorgezogene Praxis der Schaffung des deutschen
Ostimperiums, in Großaufnahme sozusagen. Er beleuchtet nicht nur den
Besatzungsterror in einer relativ kleinen und für uns recht entlegenen
polnischen Region in Südostpolen. Wir erleben anhand einer knappen historischen
Ablaufdarstellung und an genau erzählten Erlebnisberichten das Grundmuster der
nationalsozialistischen Aussiedlung der polnischen Bevölkerung und ihrer Lagerhaft sowie der Neubesiedlung dieses Stück „Ostraumes“
durch die deutschen „Heim-ins-Reich“-Vertriebenen,
ukrainische Kollaborateure unter dem Dirigat der Himmler-Truppen
und der Wehrmacht. Dies ist ein Bericht über die Verwirklichung deutscher
„Volkstumspolitik“, wie sie hier in einer Art „Sonderlaboratorium“ praktisch
erprobt wurde und zur Kolonialisierung nicht nur Polens, sondern des ganzen
„Ostraumes“ vorgesehen war. Henryk Kajtel hat als der verantwortlich zeichnende Autor des
Buches nicht nur die grundlegenden Archivrecherchen durchgeführt, er war selbst
als Kind Insasse des „UWZ-Lagers Zamość“
und schildert in einem Bericht die Vertreibung seiner Familie und der Bewohner
seines Heimatdorfes sowie das unglaubliche Lagerelend und den Terror der
deutschen Besatzer.
Aus den Berichten wird das System
der Segregation der Lagerinsassen nach Rasseprinzipien und Arbeitsfähigkeit
transparent, die über den Abtransport in die Zwangsarbeit, in das KZ Majdanek, in die Vernichtungslager oder, der Alten und der
Kinder, in „Rentendörfer“ entschieden.
Kurze soziologische Studien über die Entstehung, die Lage und
Organisation des Lagers sowie Befunde über die Lebensbedingungen und die
medizinische Situation, über Krankheiten und die Sterblichkeit der Häftlinge
fundieren die Erlebnisberichte. Am Ende des Buches berichtet ein Psychologe,
mit welchen gesundheitlichen Folgen der Aussiedlung und der Lagerhaft
die Überlebenden noch viele Jahre zu tun hatten.
Das Buch liegt jetzt in der
Arbeitsübersetzung des Rezensenten vor. Ich hoffe, dass sich ein kompetenter
deutscher Verlag seiner Publizierung annimmt.
Henryk Kajtel, Das Hitlersche Umsiedlungslager in Zamość. Bilgoraj: Vorstand des Vereins „Kinder von Zamość“, 2003 (Arbeitsübersetzung), 139 S.