"Eine
alte Frau brütet"
Von Christiane Thoms
Die 1999 von Prof. Münzberg und Janina Szarek gegründete
deutsch-polnische Studiobühne „Teatr Studio“ in Berlin entdeckt den polnischen
Lyriker, Dramatiker und Erzähler Tadeusz Różewicz wieder und bringt ihn
auf die Bühne. Zahlreiche Übersetzungen in viele Sprachen haben Różewicz
weltberühmt gemacht. Als Träger vieler nationaler und internationaler Preise
gilt er in vielen Ländern als Dichter mit großer moralischer Autorität. Sein
avantgardistisches und groteskes Endzeitdrama
„Eine alte Frau brütet“ überlässt es der Frau, einen hoffnungsvollen
Ausgang aus der apokalyptischen Sackgasse zu finden.
Als aufmerksamer Beobachter der
gegenwärtigen Erscheinungsformen menschlicher Grausamkeit wagte der 1921
geborene Różewicz schon 1968 mit seinem Drama „Eine alte Frau brütet“ den
Versuch, den weltweit operierenden Kapitalstrukturen und den absehbaren gesellschaftlichen
Verhängnissen entgegenzusteuern. Różewicz schrieb das Stück in einer Zeit,
als weltweit gegen den Vietnamkrieg protestiert wurde, als die
Studentenbewegung gegen kapitalistische Bereicherungsgier und Borniertheit auf
die Straßen gingen.
Subtile und albtraumartige Bilder
vom Müllplatz der Geschichte leben in der Gegenwart weiter. Aus genau dieser
zeitlos und hoffnungslos scheinenden Zeitmaschinerie taucht eine alte
unersättliche Frau auf, aus der das Leben sickert.
Die Regisseurin und Dramaturgin
Janina Szarek spielt von einer Besessenheit befallen diese im Mutter-Mythos
schaukelnde Alte und lässt in ihrem warmen Bauch die Menschheit pulsieren.
Große weiße Poeme, Schlagsahnebabys sollen in ihrem Schoße reifen, der eine
prächtige Landschaft zeigt. Den wie eine Kriegstrommel gespannten Bauch sollte
man international schützen lassen, fordert die in Zeitfetzen gehüllte Alte mit
lasziver Stimme.
In der pathosarmen Poesie
entdeckt man schmerzliche Wahrheiten: Kriege, Müllschlamm,
Stacheldraht-Barrieren, atomare und biologische Zerstörungen, Hungerkatastrophen,
Klimawandel, Gleichgültigkeit. Die Herausforderungen des menschlichen
Schicksals und die Situation der Nation als Bühnenkulisse definieren den
allgegenwärtigen Geisteszustand als ethische Leere.
Suche nach Rettung
Das Brüten als fundamentale
Tätigkeit hängt als Hoffnungsträgerin in der Schaukel und zeigt dem Publikum,
wie vergeblich diese Rettungsaktion ist. Auch Gott hat scheinbar seinen
Standort gewechselt; er wohnt jetzt im Kottlett, in der Zwiebelsuppe, in der
brütenden Frau. Die Jungs, die vorher noch die Frau im Bahnhofscafe bedient
haben, spielen jetzt Krieg und in den Metropolen trinkt man inzwischen
Klosettwasser; es ist kein Zucker und kein klares Wasser mehr vorhanden.
„Różewicz setzt auf eine
empörte, protestierende, letztlich tragische weibliche Figur, die gegen die
Destruktivität der Männer und deren bisher ungebrochenen Macht- und
Narzismuswahn vergeblich operiert“, so der Schriftsteller und Dramaturg Prof. Olav Münzberg.
In den Werken von Różewicz
sind die ProtagonistInnen auf der Suche nach einer uralten Lebensordnung, die
das nicht mehr aufzuhaltende und von Traurigkeit geprägte Schicksal der
Menschheit doch noch zu retten versucht.
Suche nach neuen poetischen Ausdrucksformen
Różewicz, der Vorläufer der
Avantgarde in Poesie und Drama, ist zwar sehr stark in der romantischen
Tradition verwurzelt, hat aber eine Aufsehen erregende neue Bewegung in der
polnischen Literatur ausgebrütet. Die Unruhe, das Chaos und die übrig
gebliebenen Worte auf der Bühne, die als Müllhalde mal ein Bahnhofscafe und mal
ein Strandcafe zeigt, signalisiert eine neue Art der szenischen Sprache. Der
Fokus ist dabei auf die existentielle Mühsal als Kampf mit dem Nichts
gerichtet.
Różewicz auf der Suche nach
neuen poetischen Ausdrucksformen strebt zu einer asketischen Schlichtheit.
Diese Kürze seiner Sprache als Metapher menschlichen Lebens beschreibt er als
einen Zustand „zwischen dem Akt des Geborenwerdens und dem Akt des Sterbens“. Diese Poesie ist der Raum dessen, was nicht
mehr in Worte zu fassen ist.
Różewicz kämpfte 1943 im
polnischen Widerstand der Untergrundarmee gegen Nazi-Deutschland und ging als
Überlebender, der nicht mehr leben wollte, da heraus. So sind seine Zeugisse
sowie seine Literatur als Zeugenstand ein Akt solidarischer Verpflichtung den
Opfern gegenüber, damit die Wahrheit über sie gesagt werde, frei von heroischen
und sentimentalen Mythen. Różewicz erinnert sich, „dass er nur noch leben
konnte, indem er das Dichten tötete - mit der Dichtung selbst“. In seiner
„nackten Poesie“, die sich gegen jede Verschnörkelung richtet, liegt auch das
Geheimnis seines Weltruhmes begründet, der ihm mit seinem 1947 geschriebenen
Gedichtband „Unruhe“ das erste Mal zuteil wurde. Nach dem Motto: „Alles hat sich
verändert und niemand sieht es“ skizziert uns Różewicz beispielsweise in
der Erzählung „Entblößung“ (1968) eine melancholische Parabel der Gegenwart.
Różewicz ist ein Wanderer
und Grenzgänger zwischen den Welten in Ost und West. Die Rezeption seiner Texte
war in Ost- und Westdeutschland immens. Im Osten passte seine Lyrik zur
zeitgenössischen Verbannung expressionistischer Traditionen, im Westen
begeisterte er die Gruppe 47 mit seiner kargen Sprache.
Der Dramatiker Różewicz
wendet sich seit den sechziger Jahren verstärkt zeitbezogenen Themen zu. Dabei
wird ihm so manches Mal zu Recht vorgehalten, dass sich seine Moralität auf
Kosten historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge durchsetze und er
Konflikte auf existentielle Fragen reduziere. Dass seine Werke dennoch für die
polnische Literatur von großer Bedeutung sind, „verdankt er der Tatsache, dass
er befreiend in Worte fasste, was während der Okkupation tausendfach wortlos
erlebt und erlitten worden war“, so Prof. Olschowsky. Der Motor dafür ist sein
Verantwortungsbewusstsein und die Ernsthaftigkeit, mit der er nach dem Menschen
von gestern und heute fragt. Die aus dem Müll aufzuckenden Arme lassen uns all
die Toten und die gerade am Zeitgeist Erstickten erahnen.
Berlin hat ein solches Theater gebraucht
Der Ort, an dem „eine alte Frau brütet“ könnte in jeder Stadt beispielsweise unter deutschem oder polnischen Himmel zu sehen sein. Nachdem es in Polen und im internationalen Ausland bisher über zwanzig unterschiedliche Aufführungen gab, ist das schöne „Teatr Studio“ ein sehr geeigneter Ort, an dem diese zwei Kulturen zu Wort kommen können, um nach den Schwierigkeiten der Vergangenheit einen gemeinsamen Weg zu gehen. Die Brisanz und Allgemeingültigkeit einer apokalyptischen Sackgasse berührt nicht nur eine Nation. Hier auf den Brettern der deutsch-polnischen Bühne rückt man der brütenden Frau als Symbol- und Hoffnungsträgerin ganz nah unter den Rock. Sie soll die rettende Kraft gebären. Die lustige und gefährliche Alte voll von Mythos balanciert und brütet auf dem Müllhaufen, der bei Różewicz Symbol der zivilisatorischen Katastrophe und dennoch des schöpferischen Chaos ist. Am Puls der Zeit sitzend, lassen einen die Alte und die Jungen, die Toten und Lebenden unerschrocken an der Tragik der Unfruchtbarkeit teilhaben, denn eine Neugeburt gibt es nicht. Man selbst trägt diese Besessenheit der nüchternen Poesie mit dem Rythmus des Lebens eine ganze Weile mit nach Hause. Kann sein, dass es uns die Sinne schärft.
Das deutsch-polnische Studiotheater „Teatr Studio“ ist zu finden:
Salzufer 13/14, 10587 Berlin
Tel. Nr.: 030-3242341
"Teatr
Studio am Salzufer" - deutsch-polnische Studiobühne - als Teil der
Internationalen
Theater Werkstatt (ITW) Berlin e.V.
Die Internationale Theater Werkstatt (ITW) Berlin e.V. ist eine
kulturelle Einrichtung, die seit Mai 1999 existiert. Sie wurde von
internationalen, überwiegend polnischen und deutschen Künstlern und
Intellektuellen gegründet. Die Leitung der ITW haben Janina Szarek
(Polen/Berlin) und Prof. Dr. Olav Münzberg (Deutschland/Berlin). Bei der ITW
handelt es sich um eine Einrichtung, die der multikulturellen Struktur und dem
multikulturellen Bedürfnis des heutigen Berlin Rechnung trägt und darin ihre
Wurzel hat. Das Hauptziel der ITW besteht in der Idee, eine internationale,
gleichzeitig deutsch-polnische Bühne in Berlin umzusetzen. Eine erfolgreiche
Inszenierung gab es mit dem Stück „Im kleinen Landhaus“ von Stanis³aw Ignacy
Witkiewicz.
Eine deutsch-polnische Bühne in Berlin ist eine Spiel- und
Ausbildungsstätte, wo sich deutsche und insbesondere polnische Kultur begegnen
und näher kommen können. Sie ist ein Ort für einen menschlichen,
gesellschaftlichen und kulturpolitischen Dialog zwischen deutschen und vor allem
polnischen Theaterleuten im heutigen europäischen Kontext, ein Ort, um Brüche
zwischen zwei Kulturen und Mentalitäten zu reflektieren. Sie ist ein Versuch,
nach den Schwierigkeiten der Vergangenheit einen Weg zu sich und miteinander zu
finden. Das „Teatr Studio“ bedeutet hierbei eine Sonderform des polnischen
Theaters, wo der Mensch und die Darstellung des Schauspielers im Mittelpunkt
stehen und wo das Publikum näher an das Geschehen rückt. Eine Form, die
unkonventioneller, provokanter, suchender, ursprünglicher und wahrhaftiger
ist...
Nach der erfolgreichen Inszenierung des Stückes „Im kleinen Landhaus“
von Stanisław Ignacy Witkiewicz unter der Regie von Janina Szarek möchte
das „Teatr Studio“ die deutsch-polnische Bühne in Berlin stabilisieren und ihr
einen kontinuierlichen Status verschaffen. Das Theater plant, jährlich drei
Stücke - hauptsächlich von polnischen Autoren - zu inszenieren, ein festes
internationales Ensemble aufzubauen, Regisseure aus Polen für die
Zusammenarbeit punktuell für Projekte und Theaterwerkstätten einzuladen und
interessante Inszenierungen aus Polen nach Berlin zu holen.
Die Leiterin des Theaters, Janina Szarek, ist polnische Schauspielerin
und Regisseurin und lebt seit 1981 in Berlin. Sie arbeitete in Polen, Berlin
und London, während ihres Studiums am weltberühmten Krakauer STU Theater.
Anschließend wurde sie am Teatr Współczesny und Teatr Polski in Wroc³aw
engagiert. Szarek arbeitete mit Jerzy Grotowski und Peter Brook in Verbindung
mit den Brook-Grotowski-Werkstätten in Wroc³aw zusammen, wie auch mit den
bedeutenden polnischen Regisseuren Henryk Tomaszewski, Jerzy Grzegorzewski und
Krystian Lupa. Sie erhielt Preise der polnischen Theaterkritik.
Nachdem Szarek in Berlin seit 1981 Rollen an der Berliner Volksbühne
als auch im deutschen Film und Fernsehen annahm, arbeitete sie als Pädagogin
und Regisseurin im eigenen Schauspielstudio als auch u.a. an der Hochschule für
Schauspielkunst Ernst Busch, der Filmhochschule Konrad Wolf und an der Freien
Universität Berlin.
Neben Janina Szarek leitet Prof. Olav Münzberg, freiberuflicher
Schriftsteller und Dramaturg, das Teatr Studio. Er arbeitet seit 1991 an der Universität
der Künste (UdK) Berlin, früher Hochschule der Künste, als Honorarprofessor für
Kunst- und Kulturwissenschaft. Seine Promotion hat er im Bereich der Ästhetik
(1972) abgelegt. Prof. Münzberg lebt seit 1962 in Berlin-West und war von 1974
- 1990 bei der Kulturzeitschrift "Ästhetik und Kommunikation"
Redakteur; später von 1996 - 2000 von „WIR“, einer zweisprachigen polnisch-deutschen
Literaturzeitschrift. Er hatte mehrere Verbandsvorsitze inne: 1985-1990 Vorsitzender der Neuen Gesellschaft
für Literatur (NGL); 1989-1991 Vorsitzender des Verbandes deutscher
Schriftsteller (VS)-Berlin (West); März 1991-April 1993 Vorsitzender des
1.Gesamtberliner VS; 1997-99 Vorsitzender von „WIR“-Verein zur Förderung der
deutsch-polnischen Literatur e.V. Seit 1999 ist er Vorsitzender der
Internationalen Theaterwerkstatt (ITW) Berlin e.V.