Liebe Leserin, lieber Leser!
Wenn Sie diese Ausgabe von POLEN und wir in Ihren Händen halten, ist die
Entscheidung in Polen über vorgezogene Wahlen zum Sejm so oder so gefallen.
Seit Beginn der Regierungszeit von PiS vor zwei
Jahren haben wir in unserer Zeitschrift die Entwicklung der politischen Kräfte
in Polen regelmäßig nachgezeichnet. Polen ist heute ein innenpolitisch zutiefst
gespaltenes Land - allerdings betrifft das nur bedingt das alltägliche Leben,
das „der Menschen auf der Straße“. Aber weil diese Spaltung langfristig auch auf
deren tägliches Leben wie auch auf die
internationalen Beziehungen Auswirkungen haben wird, ist es notwendig, die
Auseinandersetzungen auf der politischen Ebene zu verstehen. In dieser Ausgabe
von POLEN und wir sind deshalb
ausführliche Beiträge zur wirtschaftlichen und innenpolitischen Situation wie
auch eine längere Dokumentation, die die Spaltung der ‘politischen Klasse’ in
Polen widerspiegelt, zu lesen.
Der Beitrag zum
deutsch-polnischen Verhältnis ergänzt diesen Teil, obwohl er eigentlich einen
anderen Schwerpunkt hat: Er relativiert den von deutscher Seite gebrauchten
Vorwurf, das Polen der Kaczyński-Brüder trage allein oder hauptsächlich
die Verantwortung für das derzeitige schlechte polnisch-deutsche Verhältnis.
Dass dem nicht so ist, dass es langfristig wirkende Ursachen auf deutscher
Seite gibt, zeigen die Artikel über das Kulturkonzept des Bundes der
Vertriebenen wie auch die verschiedenen Buchbesprechungen.
Die beiden Beiträge über das
polnische Rockfestival und den polnischen Fan-Club von Energie Cottbus lassen
erahnen, dass außerhalb des offiziellen politischen Polen auch ein anderes,
sehr aktives Polen existiert. Dessen Leben gestalten Menschen, die sich nicht
einfach instrumentalisieren lassen - übrigens gilt Ähnliches auch für Deutschland.
Ihr scheinbar unpolitisches Handeln ist in Wirklichkeit enorm politisch: Durch selbstorganisiertes, vorbehaltloses Begegnen schaffen sie
gute Möglichkeiten, sich kennen zu lernen, Vorurteile gegeneinander zu
überwinden und gemeinsames Handeln gegen die Widrigkeiten des alltäglichen
Lebens zu organisieren. So kann denen der Boden entzogen werden, die mit tumbem
nationalem Geschwätz ihre Interessen auf höchster Ebene organisieren wollen.
Ähnliche scheinbar unpolitische wie auch direkt politische Initiativen müssen
in unserer Arbeit eine größere Bedeutung bekommen. Darüber sollten wir in der
nächsten Zeit auch in POLEN und wir
diskutieren. Wir warten auf Ihre Beiträge.
Mit vielen Grüßen aus Bochum
Ihr Wulf Schade