Wie weiter?

 

Von Holger Politt

 

Das Kaczyński-System ist zu Ende. Jarosław Kaczyński hat als Ministerpräsident im Parlament die Mehrheit verloren, nachdem er Anfang August seinen bisherigen kleineren Koalitionspartnern die Tür gewiesen hat. Sollte er im Ergebnis vorgezogener Neuwahlen erneut nach dem wichtigsten Regierungsamt greifen wollen, fände er keine neue Mehrheit. Die Zeit des derzeit starken Mannes Polens geht ihrem Ende entgegen. Das Ansinnen, Polens höchste Staatsämter aus einer Familie heraus auszuüben, ist vorbei. Künftig werden Staatspräsident und Ministerpräsident wieder zu der in der Verfassung angelegten Machtteilung und damit gegenseitigen Machtbegrenzung zurückkehren. Das Kaczyński-Experiment wirft zudem ein etwas anderes Licht auf die zurückliegenden Jahre der polnischen Republik.

 

Sowohl Lech Wałęsas so genannter „Krieg an der Spitze“ als auch die Zerwürfnisse zwischen Aleksander Kwaśniewski und Leszek Miller erscheinen aus der Perspektive der letzten Monate geradezu als Segen. Zwar hatten sich alle Beobachter des politischen Systems Polens daran gewöhnt, eher die Nachteile im durchaus komplizierten Spiel zwischen dem direkt gewählten Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten herauszustreichen, aber sie alle dürften nun eines Besseren belehrt sein. Die vergangenen zwei Jahre sind ein trefflicher Beweis dafür, dass im geltenden politischen System des Landes alle noch so kleinkariert erscheinenden Fehden zwischen den beiden jeweils wichtigsten politischen Persönlichkeiten des Landes akzeptabler sind, als die nicht zu überbietende Einmütigkeit der letzten 14 Monate. Machtbegrenzung ist der Lebenssaft für Polens Demokratie. Künftig ein wichtiges Argument gegen diejenigen, die mit dem Verlangen nach überschaubareren politischen Verhältnissen den Zugang zum Parlament „qualifizieren“, also das Mehrheitswahlrecht einführen wollen. Wenn Jarosław Kaczyński nunmehr durch den Verweis auf die gescheiterte Koalition mit zwei kleineren Partnern für die Notwendigkeit solcher gravierender Eingriffe in das demokratische System streitet, sollten eigentlich alle anderen gewarnt sein.

Ein aufschlussreiches Indiz von einer PiS-Kundgebung vor Jahresfrist. Um die Unterstützung für die Zwillinge plakativ auszudrücken, wurden unter die Manifestanten Transparente verteilt, auf denen zu lesen war, der Wille der Nation müsse respektiert werden. Die Wahlergebnisse vom Herbst 2005 wurden dieserart mit einem Willen der Nation gleichgesetzt, der durch die Tätigkeit der politischen Opposition in Parlament oder über die Medien in Frage gestellt werde. Diese Anleihen an die Tradition und das Selbstverständnis der Adelsdemokraten in der polnisch-litauischen Rzeczpospolita sind nicht zufällig und geben womöglich einen wichtigen Fingerzeig, um künftig den Platz der Kaczyński-Regierung genauer einordnen zu können. In den letzten Monaten mehren sich Einschätzungen, wonach diese Regierung mit ihrem Hang zu autoritär-etatistischen Vorstellungen sehr an die Zeit der Volksrepublik erinnere. Gemeint sind dabei vor allem gewisse Parallelen zur Gomułka-Zeit (1956-1970), als mitunter versucht wurde, das nach 1945 etablierte System der Volksdemokratie in Abgrenzung zur westlichen parlamentarischen Demokratie stärker vor der eigenen Demokratietradition zu spiegeln.

Vor zwei Jahren erfand Jarosław Kaczyński die Losung von einer Vierten Republik, mit der dem Land die ihm an sich und von jeher zukommende Größe und dementsprechende Rolle in Europa zurückgegeben werden sollte. Damit erreichte er bei den beiden zeitlich kurz aufeinander folgenden Wahlen zum Parlament und des Staatspräsidenten knappe Erfolge. Ihm gelang, mit dieser Losung insbesondere bei jenen Menschen einen deutlichen Vorsprung herauszuholen, die sich nicht als Gewinner der so genannten Transformationszeit sehen konnten. Daraus münzte er ein richtiges, wahrhaftes, aufrechtes - ein „solidarisches“ Polen. Obwohl von den einstigen Visionen nicht mehr viel übrig geblieben ist, stilisiert er die kommenden Parlamentswahlen zu einem Referendum über das künftige Polen. „Grundsätze verpflichten“ - ruft er seinen Treuen zu. PiS wird in den Wahlkämpfen allein die Partei des Jarosław Kaczyński sein.

Seine wichtigsten Kontrahenten - PO und LiD - könnten als rechts- bzw. linksliberal bezeichnet werden. Beide Gruppierungen haben ihre Hochburgen vor allem in den Großstädten und im Westen des Landes. Die PO geht mit Donald Tusk, der 2005 knapp gegen Lech Kaczyński unterlag, als Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten ins Rennen. Um die eigenen Ambitionen zu unterstreichen und um sich vor allem als Sachwalter der politischen Rechten in Szene zu setzen, wird die Auseinandersetzung fokussiert auf den jetzigen Sejm, der sich vollständig kompromittiert habe, und auf die ehemalige Koalitionsregierung der PiS mit ‘Samoobrona’ und LPR. Im Zweifelsfalle soll immer die Option einer künftigen Koalition mit PiS offen gehalten werden. Es sei daran erinnert, dass auch PO vor zwei Jahren laut und vernehmlich für Änderungen des bestehenden demokratischen Systems eingetreten ist. Andererseits sind angesichts des zunehmenden öffentlichen Druckes auch in den Reihen der PO Bestrebungen erkennbar, sich stärker von Jarosław Kaczyński abzugrenzen.

LiD - der Zusammenschluss mehrerer sozialdemokratischer Parteien (darunter die SLD) mit den Freidemokraten, geht mit Aleksander Kwaśniewski als wichtigstem Mann ins Rennen. Zwar ist er offiziell lediglich Chef eines programmatischen Beirats, aber er wird mangels Alternativen den wichtigsten Part im Wahlkampf spielen müssen. Bisher sieht er sich vor allem als Verteidiger der so genannten Dritten Republik, also der Vor-Kaczyński-Zeit, aber er wird sich moderat zu öffnen versuchen für jene, die aus sozialen Gründen eine andere Sicht auf die Zeit bis 2005 haben. Ob ihm dieser Spagat gelingt, bleibt abzuwarten.

Chancen auf Einzug in das Parlament haben darüber hinaus noch die bauernpolitische PSL, die national-katholische LPR und die ‘Samoobrona’. Die beiden letztgenannten Gruppierungen, die bis zum August Regierungsparteien waren, wollen zusammen als LiS (Liga und Samoobrona) antreten.