Dokumentation I.

 

Das Ende von Kiszczaks und Michniks Polen

 

Maciej Rybiński klagt die Väter der III. Republik an

 

Am Sonntag den 7. Januar 2007 endete die III. Republik Polens. Damit endete auch das postkommunistische Polen, dessen Gerüst durch den Runden Tisch erbaut worden war. (…) In dieser Scheindemokratie waren vorenthaltene Informationen sowie die scheinbar demokratischen Wahlen die wichtigsten Unterdrückungsinstrumente der Bürger durch die Machthaber: Informationen zu Themen der nicht weit zurückliegenden Vergangenheit über unsere Bischöfe, Politiker, Richter... Menschen, die über kompromittierende Informationen verfügten, konnten auf unsere Repräsentanten einen größeren Einfluss ausüben als wir, die wir sie wählten oder die wir sie als unsere geistigen Autoritäten ansahen - wenn sie sich z.B. in der Hierarchie der polnischen Kirche befanden. (…)

In Polen bestand ein ungeschriebenes Gesetz der Gleichheit von Kommunisten und Antikommunisten, der Gleichbehandlung von Opfern und Henkern, von Verrätern und Unbeugsamen. (…)

Wir haben 17 Jahre der Lüge hinter uns (…). Der versprengte Rest der polnischen Intelligenz, die in Katyn erschossen, im Warschauer Aufstand niedergeschlagen, als Rauch aus den Konzentrationslagern verweht und in den Kellern des [volksrepublikanischen - d. Red.] Geheim- sowie Militärischen Abwehrdienstes gequält worden sind, fand nach 1989 für die einfachste und endgültige Operation zur freiheitlichen Demokratie - zur „Wahrheit“ nicht genügend eigene Kraft. Wer sich dem geheimen Einverständnis und dem Einvernehmen mit der Lüge verweigerte, war mit dem Stigma, Feind des gesellschaftlichen Friedens, des zivilisatorischen Fortschritts und der Kultur zu sein, behaftet.

Seit der letzten Woche gibt es keine Rückkehr zu dieser Situation. Polen befindet sich am Vortag der Revolution. Nicht einer Revolution der Galgen, des Blutes, der Vergeltung, unschuldiger Opfer, rasender Todesschwadronen, wie es uns eingeredet wurde, sondern einer moralischen Revolution, die auf der Offenlegung der Wahrheit, der Rückkehr zur eigentlichen Hierarchie der Werte und zur wahrhaftigen Bedeutung des Wortes beruht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das aus dieser Revolution hervorgehende Polen muss nicht die IV. Republik sein, aber sie wird sicher nicht mehr die Volksrepublik-Polen-Plus sein. Bemühen wir uns und glauben wir daran, dass es einfach eine Republik sein wird, die ein rechtmäßiges Kind unserer tausendjährigen Geschichte ist.

Die Jugend schaut auf unsere Generation, auf die Generation ihrer Eltern und Großeltern, als überlebende Zeugen der Volksrepublik, die die letzten 17 Jahre mitgestalteten. Sie schauen auf uns und fragen immer lauter: Wie konnte es passieren, dass unsere nahe Vergangenheit, dieses immer noch wirksame Fragment der Geschichte Polens so tief vor uns verborgen werden konnte; dass die historische Wahrheit bis zu einem solchen Grade verdrängt werden konnte, dass beim Lichten eines kleinen Stückes des geheimen Wissens heute ein Höllenfeuer eröffnet wird. (…).

Ich fürchte, dass die jungen Leute nichts, aber auch gar nichts (…) verstehen. Sie brauchen aber eine wahrhafte und ehrliche Antwort. Um diese zu erteilen sind im Gegensatz zur Lustration keine Gesetze notwendig, auch keine wissenschaftlichen Institute und keine Unterschrift des Präsidenten. Selbstreflexionen, Ehrlichkeit und die Benennung der persönlichen Verantwortung für das Entstehen der kranken und entstellten moralischen Atmosphäre, sind erforderlich. (…)

Ich habe nicht länger die Absicht, wenn Polen ein normales Land werden soll, mich den Ausflüchten des Haupthandelnden bei der Konstruktion des Lügengebäudes, dem Ersten Redakteur der Gazeta Wyborcza Adam Michnik, anzupassen. Er ist  der Autor des im Gefängnis geschriebenen und im Untergrund während der Zeit der Volksrepublik herausgegebenen Buches "Über die Geschichte der Ehre in Polen". In der freien Republik erkannte er seine Schinder als Ehrenbürger an. Leider nicht nur seine. Auch unsere Peiniger. Er erkannte sie als Ehrenbürger an, denn er beschloss, mit ihnen die Macht in der III. Republik zu teilen.

Nachdem Kiszczaks Leute einen Teil der Archive vernichteten und diesen dabei für den eigenen Gebrauch kopierten, verbot gerade Michnik all denen den Mund, die sich der Wahrheit über die Vergangenheit ihrer politischen und geistlichen Autoritäten vergewissern wollten. Er hämmerte in die Köpfe der Polen einige Lügen über die Lustration: Die ‚Akten’ seien unwichtig. Materialien, die die wichtigsten Autoritäten des neuen Polen vernichten und kompromittieren  könnten, existierten überhaupt nicht. Oder auch: Die Vergangenheit habe in keiner Weise auf die politische und ethische Auswahl zeitgenössischer polnischer Eliten Einfluss.

Er wiederholte die Thesen, obwohl er wusste, dass sie falsch sind. Er wiederholte sie, weil er auf diese Weise an der Machtausübung der III. Republik teilhaben konnte. Aber all die Dogmen der fanatischen und versteckten Wahrheit, sind durch eine Entscheidung umgestoßen worden. Durch die Entscheidung von Benedykt XVI im Zusammenhang mit der Approbation von Wielgus. Die Wahrheit über die Vergangenheit hat die falschen Autoritäten entlarvt und von ihrem Sockel gestoßen.

Das Fundament des postkommunistischen Polen in den letzten 17 Jahren bildeten freche Lügen. (…)

Diejenigen, die zur allgemeinen Amnesie aufriefen, jonglierten selbst mit dem Wissen in den ‚Akten', die ihnen das Herrschen ermöglichte. (…) Diese ‚Akten' dienten als Werkzeuge des Zwangs zum Gehorsam aller, deren Lebensläufe oder Teile davon dort enthalten waren. Die Nützlichkeit des Spiels mit den ‚Akten’ konnte nur durch eine ewige Geheimhaltung ihres Inhalts garantiert werden. Der Ausschluss dieser Gruppe Eingeweihter führte dazu, dass bei der Auswahl der Politiker wieder der normale, selektive und demokratische Verlauf durch Wahlen, die Einschätzung der Bürger sowie die Verantwortlichkeit der Gesellschaft funktionierte.

Was haben wir die 17 Jahre hindurch getan? Wir haben gelitten. Wir stöhnten - ich denke an die Hunderte, vielleicht auch Tausende von Artikeln über die Unmöglichkeit, die Ungehörigkeit und Unmoral der Lustration. Wir lernten in Unfreiheit, betäubt durch Psychopharmaka und unter der Phobie einer Gruppe von Irren, dem so genannten Gazeta Wyborcza-Milieu, zu leben. Dessen Leiter bildete sich ein, dass Entkommunisierung und Lustration den schlimmsten obskuren und geisteskranken Kräften des rückschrittlichen Katholizismus den Weg öffnet, Polen zu beherrschen. Durchleuchtung bedeutet Hölle, Scheiterhaufen, Hexenjagd - das war der einfache Manichäismus Adam Michniks. Entweder Europa und Fortschritt oder das Kirchenportal und ‚Akten’.

Denn die Macht, die mit Hilfe der ‚Akten', errichtet wurde, mit Hilfe der allgemeinen Amnesie, der Angst vor der Vergangenheit war nur ein Mittel für das ideologische Ziel. Michnik erträumte ein freies Polen als ideell homogene Gesellschaft, ohne Teilung, ohne Ferment, vor allem ohne historische Bewertung. Auf dem Wege zu diesem Ideal ging er mit jedem, der ihn als Erzpriester anerkannte und mit ihm seinen Glauben teilte zusammen. Das war vor allem der ehemalige Partei- und Sicherheitsapparat. Für sie war der ideologische Fanatismus die Lebensversicherung. Natürlich nicht auf das Leben, denn 1989 wollte kein Pole Galgen aufbauen. Der Fanatismus Michniks gegen die Durchleuchtung war für die ehemaligen Sicherheitsleute und die Apparatschiks eine Police, um für sich die Macht und das Eigentum zu sichern. Das gab ihnen die Garantie, die Elite der III. Republik zu bleiben.

Eine Religion erfordert mindesten zum Schein irgendwelche ethischen Konstruktionen. Michnik hat sie geschaffen: In der Silvesternummer der ‘GW’ von 2000 veröffentlichte er einen Beitrag, der sich auf zwei Grundsätze stützte. Erstens stellte er fest, dass Wahrheit relativ ist, zweitens, dass der menschliche Fortschritt ausschließlich nach den deklarierten Motiven, niemals nach den Folgen bewertet werden darf. Es ist klar, dass, wenn Zuträgerschaft und Verrat nur relativ sind und ehrliche Intentionen tragische Ergebnisse entschuldigen, die Durchleuchtung keinen Sinn hat, insbesondere keinen moralischen.

Eine Religion benötigt auch Dogmen. In dem berühmten Artikel von Michnik und Włodzimierz Cimosiewicz stellten die Autoren einige Dogmen vor, mit deren Hilfe für alle Zeiten die Ereignisse in der VRP beschrieben werden sollten: Im Namen des gesellschaftlichen Friedens und der Liebe zum Nächsten hört man auf, das Korn von der Spreu, den Verräter vom Helden zu unterscheiden, alles bleibt diffus. Und da der ehrenhafte Appell nicht die erhofften Ergebnisse brachte, nahm Michnik die Hilfe von General Kiszczak in Anspruch, der sich zu diesem Thema auskannte. Er veröffentlichte im April 2001 auf 14 Druckseiten in der Gazeta Wyborcza den neuesten Kodex der Geschichte Polens.

Die wichtigsten Paragraphen besagen: Die Ausrichtung der Heimatarmee war keine realistische Möglichkeit für Polen - zu den Kommunisten gab es keine Alternative; es gibt Momente, da die Machthaber auch auf Arbeiter schießen müssen, um die gesellschaftliche Ordnung zu sichern; während der Zwischenkriegszeit gab es mehr politische Gefangene als in der Volksrepublik; die Durchleuchtung würde die ehrlichen Menschen beleidigen. (…)

In dieser Zeit war das Erzpriestertum Michniks bereits heilig. Da er die Religion, die Dogmen und ethischen Normen eines Erzpriesters verkörperte, attackierte seine Antidurchleuchtungskirche ohne Erbarmen jeden, der sich erlaubte den Kanon des neuen Glaubens in Frage zu stellen: Den Glauben an eine bessere Zukunft ohne Archive, ohne Durchleuchtung und ohne Geschichte. Wer gegen die Kollektivierung des Denkens opponierte und vor allem gegen deren hässlichste Spielart, der Verbindung der Kollektivierung mit dem Egozentrismus, wurde wegen Ketzertums verdammt und vernichtet.Durch die aktuelle Affäre um den Erzbischof Wielgus sah die gesamte Generation, die durch die Gazeta Wyborcza erzogen worden war, dass die für sie durch Czesław Kiszczak und Adam Michnik erbaute Welt, eine Lüge war. Sie öffnete uns nicht für die westliche Demokratie, sondern isolierte uns von ihr. Heute fragt die ganze Welt Polen, angefangen bei den linken Journalisten der ‘Libération’ bis zu den konservativen Publizisten des ‘Corriere de la Sera’: Wie war es möglich, dass im Land der ‘Solidarność’ und Johannes Paul II, jemand um jeden Preis einen Agenten des SB als moralische Autorität, als würdigen Menschen befand, um der polnischen Kirche vorzustehen. Das sind nicht Fragen an uns, das sind Fragen an Adam Michnik und Czesław Kiszczak. Mögen sie darauf antworten. Denn sie schützen die Ehre und Position solcher Menschen in der polnischen Kirche, Politik und Kultur. Sie schützten die Agenten des Sicherheitsdienstes, indem sie deren ‘Akten’ vernichteten, (…) und Fragen über ihre Vergangenheit verboten. (...)

Die Theorie gegen die Lustration, die in der Kirche Finsternis mit Fortschritt verband, und dessen Ergebnis die politischen und wirtschaftlichen Affären der letzten Jahre sowie Legionen düsterer Kreaturen auf den hohen Positionen in der Administration und Wirtschaft waren, liegt in den letzten Zügen, falls sie nicht bereits am Ende ist. Nichts kann sie retten. Das ist das Beste, was uns geschehen konnte, denn von der Wahrheit, von der Selbsterkenntnis, von der Kenntnis der Geschichte sind wir und unsere ganze Zukunft abhängig. m

 

(aus: Koniec Polski Kiszczaka i Michnika, Maciej Rybiński oskarża ojców III RP, Dziennik vom 10.1.2007; Übersetzung: Renate Weiß, Berlin; Kürzungen durch die Redaktion.)