Das Heimweh des Walerjan
Wróbel
Von Christiane Thoms
Diese Geschichte ist keine erfundene. In den 1980er Jahren
arbeitete der Jurist und Rechtshistoriker C. U. Schminck-Gustavus
die Geschichte des Walerjan Wróbel
auf und veröffentlichte die Ergebnisse seiner Nachforschungen in dem Buch „Das
Heimweh des Walerjan Wróbel“,
erschienen beim Donat-Verlag. Auf dieser historischen Dokumentation beruht auch
der Spielfilm des Regisseurs Rolf Schübel.
Walerjan Wróbel
wurde am 2. April 1925 in dem polnischen Dorf Falków
geboren. Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen wurde bei einem
Bombenangriff im September 1939 auch das
Haus seiner Eltern zerstört. Viele Polen sind in dieser Zeit zur Arbeit ins
Deutsche Reich verschleppt worden. Walerjan kam 1941
auf einen Bauernhof bei Bremen.
Der schmächtige Junge musste harte Arbeit leisten. Krank vor
Schufterei, Heimweh und Kontaktarmut versuchte der Sechszehnjährige zu fliehen,
wurde aber gefasst und zurück auf den Hof gebracht. Wenige Tage später legte er
in der Scheune Feuer, weil er hoffte, dass man ihn dann zur Strafe entlassen
und nach Hause schicken würde. Die Bäuerin entdeckte das Feuer und Walerjan half sogar bei den Löscharbeiten. Obwohl durch die
Brandstiftung kein Schaden angerichtet wurde, zeigte die Bäuerin den Jungen bei
der Polizei an.
Nach der Vernehmung durch die Gestapo am 2. Mai 1941 wurde Walerjan in Haft genommen. Ein Amtsarzt bescheinigte, Walerjan sei „ostischen Typs“ und einer Einweisung ins KZ
Neuengamme stehe „nichts im Wege“. Es folgten neun Monate härteste Arbeit für
den Jungen, Kampf ums Überleben, aber auch Erfahrungen von Solidarität??
In einem Sondergerichtsverfahren wurde er trotz seiner
Minderjährigkeit zur Tatzeit als „Volksschädling“ wegen Brandstiftung am 8.
Juli 1942 zum Tode verurteilt und am 25. August 1942 in Hamburg mit dem
Fallbeil hingerichtet.
Volksschädling oder
nicht?
Der Anwalt Heinrich Hannover ließ 1987 den Prozess neu
aufrollen und erwirkte, dass das nationalsozialistische Urteil aufgehoben
wurde. Um exemplarisch an das Schicksal der vielen in Bremen eingesetzten
Zwangsarbeiter zu erinnern, gründete sich zu diesem Zeitpunkt auch der „Verein Walerjan Wróbel“.
Die Richter wendeten Gesetze an, die auch nach
Nazi-Maßstäben fragwürdig waren, wie Heinrich Hannover herausstellte: Die
Volksschädlingsverordnung galt scheinbar nicht für Walerjan
Wróbel. Ein Volksschädling könne nur einer aus dem
eigenen Volk sein, hatte sogar Ober-Nazirichter Roland Freisler
festgestellt.
War den Richtern bewusst, dass sie die Gesetze willkürlich
auslegten? Dieselben Juristen, die Wróbel mit dem
Urteil in den Tod schicken wollten, reichten ein Gnadengesuch für den Polen
ein. Ein solches Verfahren war damals gängige Praxis. Hannover ist allerdings
kein Fall bekannt, in dem der Präsident des Volksgerichtshofes einen zum Tode
Verurteilten begnadigt hätte. Freislers zynische
Begründung: Die Richter hätten ja bereits in ihrem Urteil Milde walten lassen
können.
Wróbel ist kein Einzelschicksal,
sagte Hannover. „An seinem Beispiel zeigt sich, wie willfährig die deutsche
Justiz nicht nur die nationalsozialistischen Gesetze befolgte, sondern sie
besonders eilfertig mitgestaltete.“ (bik, Verdener Nachrichten)
Was passierte mit den Juristen, die Walerjan
Wróbel 1942 zum Tode verurteilten? Das fragen heute
deutsche Jugendliche, die am Landgericht in Bremen über den Fall Wróbel und über den Schuldkomplex debattieren.
Viele wurden nach Kriegsende versetzt und als Mitläufer
eingestuft. Den Saal 231 des Bremer Langerichts
bezeichnet der Landgerichtspräsident Goslasowski als
das „architektonische schlechte Gewissen“ der Bremer Justiz.
Dieses genau recherchierte Lehrstück von Schminck-Gustavus
ist scheinbar immer noch als Zeitdokument unverzichtbar, um Gedächtnis- und
Aufklärungsarbeit zur nationalsozialistischen Terrorjustiz und zum ungesühnten
Justizmord zu leisten.
Empfehlung: Der Spielfilm „Das Heimweh des Walerjan Wróbel“ BRD 1991, 94
Min., in Farbe, geeignet ab 12 Jahren, wurde 1991 mit dem Bundesfilmpreis und
1993 mit dem Goldenen Spatz ausgezeichnet und ist auch über Medienverleihstellen
für Schulen erhältlich.
Christoph U. Schminck-Gustavus,
Das Heimweh des Walerjan Wróbel,
Donat-Verlag, Bremen 2007, 168 Seiten, ISBN978-3-938375-35-1
Einweihung des
Walerjan Wróbel Wegs
in Bremen
Am 25. August 2007 wurde eine Gedenktafel am Sperrwerk in Bremen Lesum, in dessen Nähe Walerjan Wróbel bei seinem vergeblichen Fluchtversuch im April 1941
gestellt worden war, enthüllt.