Die Reise an einen historischen Ort der Geschichte

 

Von Karl Forster

 

Es war ein Zentrum Europas, die Region Galizien in der Österreichisch-Ungarischen K-und-K-Monarchie. Als „Königreich von Galizien und Lodomerien“ findet man es in den Geschichtsbüchern. Aber vor allem war es ein Zentrum europäischen interkulturellen Lebens. Polen, Ukrainer, Lemken und Bojken, Deutsche, Juden, aber auch Armenier und Griechen lebten hier. Ja, LEBTEN! Denn von der multikulturellen Region ist nicht mehr viel geblieben, nach dem Terror des Naziregimes. Nicht nur Juden - sie waren in vielen Orten die größte Bevölkerungsgruppe - wurden ermordet, verschleppt.

 

Doch Galizien und seine Geschichte ist im Bewusstsein auch deutscher Antifaschisten oft nur ein Randthema. Um das zu ändern, stand die Gedenkstättenfahrt der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) mit Unterstützung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland unter dem Titel „Holocaust in Galizien“. Ein Inhaltlicher Zentralpunkt der Reise war der Besuch der neu gestalteten Gedenkstätte des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec. Heute im Südosten Polens, direkt an der ukrainischen Grenze gelegen, wurden hier über 600.000 Menschen ermordet. Und das in den wenigen Monaten zwischen Anfang 1942 und April 1943.

Das Lager in Bełżec bestand aus einer nur etwa 265 x 275 Meter großen Fläche, die in zwei Bereiche unterteilt war. Der erste Teil enthielt Verwaltungsgebäude, Unterkunftsbaracken, eine Eisenbahnrampe und ein Gleis, das in das Lager hineinführte. Im zweiten Lagerkomplex befanden sich drei Gaskammern, mehrere Leichengruben und Scheiterhaufen sowie Unterkünfte für die wenigen dort arbeitenden Juden. Anders als in Auschwitz oder Majdanek, Buchenwald oder Sachsenhausen gab es hier keinen Lagerbereich, in dem Häftlinge für längere oder kürzere Zeit untergebracht wurden. Wer hierher kam, starb sofort am gleichen Tag - zeitweise über 1500 Menschen am Tag.

Wie in den anderen Lagern der „Aktion Reinhard“, der Mordaktion an den mittel-osteuropäischen Juden, wurde noch von der SS das Lager ab 1943 aufgelöst und die Spuren beseitigt. Das Gelände wurde umgepflügt, Ackerland darauf angelegt.

1964 errichtete man auf dem Gelände ein Denkmal und brachte Informationstafeln an. Im Jahre 2004 wurde dann eine beeindruckende Gedenkstätte errichtet, die die Topografie des Lagers und der Vernichtungsmaschinerie aufzeigt, dort wo bislang nur planierte Erde zu sehen war. Die eindringliche Art der Darstellung, verbunden mit einem kleinen Museum, war für die Teilnehmer der Studienreise einer der beeindruckendsten Momente der einwöchigen Fahrt.

Zuvor führte die Reise in den Ort, aus dem ein großer Teil der in Bełżec ermordeten Menschen kam: Lviv. Das ist der heutige, ukrainische Name der Stadt, die zuvor russisch Lwow genannt, vor dem Krieg polnisch Lwów (sprich: Lwuv) geheißen hat, deren zahlreiche Deutsche Einwohner die Stadt Lemberg (von Löwenberg) nannten.

Lviv war sicher für die Teilnehmer eine besondere Entdeckung. Die Stadt, eigentlich eine ideale Verschmelzung von Osteuropäischer Architektur mit deutschen, österreichischen und italienischen Einflüssen, zeigt noch viel von ihrem alten Charme, ist jedoch in weiten Teilen stark verfallen. Besonders die katastrophalen Straßen korrespondieren in seltsamer Weise mit den neuen modernen Geschäftsfassaden internationaler Konzerne, die sich hier in der „heimlichen Hauptstadt“ der Ukraine niedergelassen haben.

Doch für die Teilnehmer der Studienreise gab es noch andere Eindrücke der Stadt. Der 85jährige Boris Dorfman führte die Gruppe fast fünf Stunden lang durch seine Stadt und erzählte in einer Mischung aus Deutsch und Jiddisch, seiner Muttersprache. Er führte die Gruppe durch die jüdischen, armenischen und deutschen Viertel der Altstadt, zeigte die Plätze der Vernichtung, des Terrors, aber auch das noch immer existierende jüdische Leben heute.

Im Gedenken an die KZ-Opfer

Vor und nach Lemberg und Bełżec war Rzeszów Station der Studienreise. Auch in dieser heute rein polnischen Stadt lebten einst ein Drittel Juden. Und die Zeit der Zugehörigkeit zu Österreich (bis 1918) hinterließ auch zahlreiche Spuren deutscher Sprachkultur. Auf der Hinreise fand hier in Rzeszów eine ausführliche Einführung in das Thema, u.a. mit einem Vortrag über die Geschichte Galiziens statt. Gemeinsam mit der Polnisch-Deutschen Gesellschaft Rzeszów und dem Verein ehemaliger polnischer KZ-Häftlinge gedachte die Studiengruppe am Ehrenmal der KZ-Opfer am Rzeszówer Friedhof den Opfer des Faschismus. Die heutige Realität Polens stand bei einem Abendgespräch mit dem ehemaligen Politiker des Landes (Vize-Finanzminister) im Mittelpunkt. Der frühere Politiker des Linksbündnisses wollte mit der aktuellen Politik seines Landes nichts mehr zu tun haben und hat sich als ökologischer Rinderzüchter im Bieszczady-Gebirge eine neue Existenz aufgebaut.

Nach der Rückkehr aus Lemberg führte die Polnisch-Deutsche Gesellschaft Rzeszów die Teilnehmer der Studienreise in das benachbarte Łańcut. Neben der jüdischen Geschichte stand hier die Kollaboration des ehemaligen Großgrundbesitzers der Familie Potocki mit den deutschen Nazis im Mittelpunkt der Führung durch sein ehemaliges Schloss das heute ein Museum ist. Nicht weit davon entfernt führte die Wodka- und Likörfabrik mit ihrem kleinen Spirituosen-Museum und einer Probierstube in die Gegenwart Polens. Den Besuch in die Region beendete ein Lagerfeuer, bei dem sich die Studienreise-Teilnehmer und die Polnischen Gastgeber in kleinen Gesprächsrunden näher kamen.

Deutsch-Polnische Geschichte in Kraków

Doch vor der Rückfahrt stand noch ein weiteres Zentrum Galiziens auf dem Reiseplan: Kraków (Krakau). Viel zu kurz war die Zeit, um die vermutlich schönste Stadt Polens wirklich kennenzulernen. Ein Großteil der Zeit verwendete man für die Besichtigung des jüdischen Viertels Kazimierz mit seinen zahlreichen wiederhergestellten Synagogen und für den alten Friedhof, aber auch das Aufleben dieses Bezirkes mit vielen Kneipen und Cafes war interessant. So blieb wirklich nur wenig Zeit für die Schönheiten der Stadt wie die Burg (Wawel), auf der nach den polnischen Königen während der Nazi-Besatzung General-Gouverneur Hans Frank residierte, aber auch die Marienkirche mit dem berühmten Veit-Stoß-Altar oder die alt-ehrwürdige Jagellonen-Universität. Auf Schritt und Tritt begegnet einem in Krakau auch die deutsch-polnische Geschichte in all ihren Ausprägungen. Für die letzte Nacht in Polen hatten die Organisatoren noch eine kleine Überraschung. Ein wunderschönes kleines Hotel in einer ehemaligen Stadtvilla, heute zugleich ein soziales Projekt. Träger des Hotels ist ein Verein der Angehörigen der Patienten psychiatrischer Kliniken und alle Mitarbeiter sind ehemalige Psychiatrie-Patienten. Die Herzlichkeit des Personals und der hervorragende Standard des Hotels unterstrichen den großen Eindruck, den diese Studienreise insgesamt bei allen Teilnehmern hinterlassen hat.