15 Jahre
Radtour der guten Nachbarschaft
Von
Rückblick: 1992 gehen zwei Männer spazieren, ausnahmsweise zu Fuß. Der
eine Jörg Lüderitz, jenseits der Oder geboren, erforscht seine alte Heimat mit
dem Rad, publiziert darüber und kennt, wie eine polnische Zeitung schrieb, die Ziemia Lubuska (polnischer Teil
des Lebuser Landes) bald besser als die Polen selbst. Der andere, Werner
Stenzel, Radsportler, arbeitete mehrere Jahre in Warschau und war 1990
Mitbegründer der Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen. Die Idee zur
Radtour der guten Nachbarschaft wurde während des Spaziergangs geboren - und
gemeinsam mit polnischen Partnern in die Tat umgesetzt. Deutscher Trägerverein
ist von Anfang an die Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen e.V., ihr
zuverlässiger Partner die Abteilung Gorzów/Wlkp. des LZS (Ludowe Zespoły Sportowe).
Nachdem der Vorstand der
Gesellschaft mit Jugendlichen beider Länder bereits erfolgreich Workcamps im berühmten Pückler-Park in Bad Muskau/Łegnica organisiert
hatte, startete 1993 die erste deutsch-polnische Radtour der guten
Nachbarschaft, die „Ökologie 93“. 12 polnische und 43 deutschen Teilnehmer
radelten eine Woche durch die Ziemia Lubuska, mit Etappenorten wie Gorzów,
Sulęcin, Kostrzyn, Słubice, Lubniewice. Mit
dabei waren übrigens auch Radsportlegende Täve Schur
- und, in Gestalt eines Regionalredakteurs, Polens führende Tageszeitung GAZETA
WYBORCZA. Das NEUE DEUTSCHLAND sah damals sogar „Ein Hauch von Friedensfahrt“
wehen. In den Jahren darauf sicherte sich das Ereignis seine Fangemeinde und
einen festen Platz im jährlichen Radtourenkalender. Es folgten
Streckenführungen nach Wrocław, Toruń oder
Gdańsk. „Mit dem Drahtesel in einer Woche zwölfmal
über die Grenze“ titelte die MÄRKISCHE ODERZEITUNG im Jahr 2000 in Anspielung
auf den Streckenverlauf links und rechts von Oder und Neiße. Prominentester Teilnehmer
damals war Lech Piasecki vom Fahrradklub Orlęta Gorzów,
Friedensfahrtsieger 1985 und mehrfacher Weltmeister. Für die Organisatoren
schloss gute Nachbarschaft immer die Idee der Friedensfahrt (Cours de la Paix) ein. So kann
das Friedensfahrtmuseum in Kleinmühlingen unter anderen auf Spenden von
Teilnehmern an den Radtouren der guten Nachbarschaft zurückgreifen. Und an der
Eröffnung am 24.11.2007 werden auch Sportfreunde der Partnerorganisation LZS
teilnehmen.
2002 verabschiedete im Berliner
Friedrichshain eine Vertreterin des Senats von Berlin das bunte Starterfeld
nach Warschau. Und 2004 schließlich folgte die Strecke der geschichtsträchtigen
Weichsel in der Mitte Polens. Weitere Touren führten ins Lebuser Land, ins
Riesengebirge oder an die Ostsee, die letzte (2007) von Kostrzyn
über Poznań, Wrocław, Jelenia
Góra nach Zgorzelec. Camps
(die Polen sagen dazu Rajd gwiażdzisty/d.h.
Sternfahrt mit einem festen Quartier) fanden in Kaschubien,
in den Bieszczady (äußerster Südosten Polens) und in
den Masuren statt. Der inzwischen zahlreichen kommerziellen ‘Konkurrenz’
begegnen die ehrenamtlichen Organisatoren mit immer neuen Ideen und reichlich
Idealismus.
So verschieden die Räder, so
unterschiedlich die Motive der Teilnehmer. Manchem ist es egal, wo er radelt:
Ob in Polen, Afrika oder Grönland - Hauptsache die Straße ist gut und der Weg
bekannt, damit man nicht soviel anhalten muss. Es gibt Rennfahrer,
Kulturmenschen, Polen-Liebhaber, am Gruppenerlebnis Interessierte, stille
Mitfahrer; es gibt die Aktiven, die ständig in Bewegung und am Organisieren
sind, die Erzähler und die Witzbolde, angenehmerweise selten in Reinkultur - so
wie im „richtigen“ Leben. Etappenlängen zwischen 60 und 100 km (ab und zu auch
darüber) garantieren neben dem Bewältigen der Strecke auch Zeit zum Baden oder
zum Erkunden der Städte und Dörfer unterwegs. Unterwegs-Gespräche gestalten
sich je nach Kondition: Steigt das Tempo, geht das interessanteste Gespräch,
bei dem einen eher - bei dem anderen später, vom Fluss in ein Tröpfeln über.
Zu Beginn ordnen sich
„Leistungs-“ Gruppen: Gruppe 1 - die „Rennfahrer“ (zu der 1993 natürlich auch Täve Schur zählte, Stundenmittel von 30 km/h!), bis zur
Gruppe 5 (es gab auch schon mal 7). Dort finden sich eher Radspaziergänger
zusammen. So gehen die einen allmorgendlich an den „Start“ und die anderen
fahren einfach „los“. Da die Etappenziele festgelegt sind, stört bei der
Ankunft ein zeitlicher Abstand von einer bis zwei Stunden zwischen den ersten
und den letzten niemanden. Geführt werden die Gruppen von polnischen Piloten.
Das sind so eine Art Gruppenleiter. Schön, dass sich der Pilot in der Strecke
auch mal irrt. Da organisierte Radfahrer ein gewisses Mindestmaß an Disziplin
auszeichnet, wendet dann der ganze Tross auf der Straße. So können sich die Vorderen
und die Letzten des Feldes auch mal in die Augen schauen, ohne dass sich
Erstere den Hals verrenken müssen.
Die Teilnehmerzahlen schwankten
zwischen 50 und 60. Nicht nur „Ossis“, auch viele aus westlichen Bundesländern,
zählen inzwischen zum Stamm. Frauen stellen eine wachsende Minderheit unter den
Teilnehmern dar und auf jeder Tour tauchen neue Gesichter beiderlei Geschlechts
auf. Während bei der Etappentour die meisten Polen zum Organisationsstab
gehören, hält sich in den Camps die Anzahl deutscher und polnischer Teilnehmer
die Waage.
In Print-
oder elektronischen Medien findet die Veranstaltung immer weniger Platz. Zu
unspektakulär, nichts Besonderes. Wo doch sonst jeder auffällige Individualist,
der sich nur ungewöhnlich genug auf den Weg macht, wenigstens mit einer
Nachricht beklatscht wird. Die Radtouren der guten Nachbarschaft begannen, als
noch die meisten Reisen gen Westen führten. Auf politischer Ebene vollzogen
sich in dieser Zeit große Veränderungen. Die Teilnehmer erlebten Polen in einer
Zeit, als noch mit 50 000 Złoty-Scheinen bezahlt wurde, bis heute, wo das
Nachbarland zur Europäischen Union gehört und die Grenzkontrollen aufgehoben
werden.
Die politischen Verwerfungen der
Kaczynski-Ära beeinflussten den Geist der Touren nicht. Gerade 2007 schrieben
Brandenburgs Ministerpräsident Mathias Platzek und
der polnische Botschafter in Deutschland Marek Prawda das Geleitwort zur Tour.
Der Botschafter nannte dabei die Touren in das Nachbarland Erkundung der
„nächsten Ferne“.
Für die nächste Zukunft strebt die Gesellschaft für gute Nachbarschaft an, die Teilnehmerzahl zu stabilisieren und neue Mitglieder zu gewinnen. Entscheidende Voraussetzung dafür wird der weitere erfolgreiche Generationswechsel in der Organisation sein, der auch zu neuen Ideen führt. Die Hilfe für sozial schwache Teilnehmer bleibt dabei immer ein Anliegen der Organisatoren. Nicht zuletzt steht die Gewinnung starker Partner als Sponsoren und die weitere Popularisierung der Tour in Deutschland auf dem Plan.