Polen und wir - Heft 50, Juli 1999

Sto lat, profesorze!

Zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. hc Hellmut Ridder

Von Friedrich Leidinger

Seinen 80. Geburtstag begeht am 18. Juli 1999 der emeritierte Professor für Öffentliches Recht und die Wissenschaft von der Politik der Universität Gießen, Doktor der Jurisprudenz und Ehrendoktor der Universität Lódz Helmut Ridder. Von 1977 bis 1972 war er der Erste Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der BRD e.V.

Der Westfale Ridder - er wurde im münsterländischen Ahaus geboren - gehört zu einer Generation, die den Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht vom Atlantik bis an den Kaukasus trug, die auch zu hunderttausenden auf den Schlachtfeldern verbluteten. Der Katholik war - nicht zuletzt auch Dank der eindeutigen Haltung seines Elternhauses - immun gegen jede Versuchung, opportunistischer Anpassung an die herrschenden Verhältisse; sein Gwissen führt ihn kurz vor Kriegsende in das bereits von amerikanischen Truppen besetzte Österreich. Nach der bedingungslosen Kapitulation des Großdeutschen Reiches kehrte er zurück. Er kam in ein Land, in dem der 8. Mai schon bald vergessen und verleugnet wurde, ein Land, dessen Menschen die Chance der von den Siegermächten verordneten Befreiung vom Nationalsozialismus in der Mehrheit nicht nutzen wollten. Seine unerschütterliche Überzeugung von der Notwendigkeit, eine demokratische Kultur in der deutschen Gesellschaft zu begründen und wachsen zu lassen, sein Glaube an Freiheit und soziale Gerechtigkeit, sein aufgeklärter Verstand und seine kraftvolle und zugleich sensible Rethorik gaben ihm die Rolle eines Jakobiners in der öffentlichen Kritik der gesellschaftlichen Zustände im restaurativen Adenauerstaat.

Helmut Ridder wandte sich den Rechtswissenschaften zu. Sicher spielte dabei seine Traumatisierung durch das Erleben der völligen Pervertierung des Rechts und seiner Institutionen im nationalsozialistischen Deutschland aber auch der Folgenlosigkeit dieser Pervertierung für die verantwortlichen juristischen Funktionseliten des Dritten Reiches im Nachkriegsdeutschland eine wichtige Rolle. Vor allem aber durchschaute er schon früh die Lüge vor dem "Übermaß an Demokratie", welches das Ende der Weimarer Republik verursacht hätte, als perfide Schutzbehauptung, die die Beschneidung und Zurückdrängung demokratischer Rechte in der Bundesrepublik seit ihrer Gründung legitimieren sollte. Ridder - der sich keiner politischen Partei anschloss - provozierte das politische Establishment mit seiner These, die Trennungslinie, die den Kontinent Europa zwischen ost und West spaltet, verlaufe nicht an der Elbe, sondernam Rhein, es sei die Scheide zwische einer auf der Grundlage der Tugenden der Französischen Revolution verfassten Zivilgesellschaft, wie man ihr mit allen Vor- und Nachteilen in England, USA oder Frankreich begegnen könne, und einer gesellschafrtlichen Veranstaltung, die den "Staat" als Inkarnation des über allen Parteien stehenden Monarchen auf den Götzenaltar ihrer Ängste vor den Gefahren der Freiheit gehoben hat.