Polen und wir - Heft 50 - Juli 1999

'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft'

Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft

Vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte

Endlich liegt ein Konzept auf dem Tisch. Es trägt den wohltönenden Namen "Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft - 'Erinnerung, Verantwortung und Zukunft'". Diese Stiftung wurde am 10.06.1999 in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert. Ausgelöst durch Schadenersatzklagen der Überlebenden in den Vereinigten Staaten und zunehmend auch in Deutschland hatten sich führende Industrieunternehmen bereits vor der Wahl der neuen Bundesregierung an den designierten Bundeskanzler, Gerhard Schröder, gewandt. Der übertrug die Aufgabe flugs seinem Mann für Wirtschaftsinteressen, Bodo Hombach, nicht ohne zu betonen, dass es der Bundesregierung darum gehe, die deutsche Wirtschaft vor unangemessenen Forderungen zu schützen.

Auf gut Deutsch, es wird gar nichts gestiftet, bevor nicht klar ist, dass keine Ansprüche existieren. ‚Rechtssicherheit' das war das beliebteste Wort der zurückliegenden Monate. Da wundert es nicht, dass auch der Sprecher der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft, Dr. Manfred Genz von Daimler-Chrysler, den Ausgangspunkt der eigenen Überlegungen wie folgt beschreibt: "Die deutschen Unternehmen gehen einhellig und in Übereinstimmung mit der Deutschen Bundesregierung davon aus, dass es keine Rechtsansprüche gegen sie ..... wegen der staatlich veranlassten Zwangsarbeit gibt."

Aktuelle Situation

Obwohl die Koalitionsfraktion der neuen Bundesregierung die Einrichtung einer Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" unter Beteiligung der deutschen Industrie fest vereinbart haben, sind die Planungen hierfür bisher nicht begonnen worden.

Statt dessen hat man unter Leitung von Kanzleramtsminister Bodo Hombach das Thema fast ausschließlich unter dem Aspekt des Schutzes von Wirtschaftsinteressen behandelt. Mit weitreichenden Konsequenzen:

· Die Ergebnisse der von Herrn Hombach hinzugezogenen Expertenkommission wurden nicht in politisches Handeln umgesetzt, vielmehr von Industrie und Ministerienvertretern so zusammengestrichen, dass Opferinteressen hierin nicht mehr vorzufinden waren.

· Eine Beteiligung der Überlebenden und ihrer Organisationen wurde kategorisch verweigert.

· Auf Anregungen der Verfolgtenverbände wurde hinhaltend bis arrogant zurückweisend reagiert.

Ergebnis dieser Politik ist das am 10.6.1999 von 16 führenden Industrieunternehmen vorgelegte Konzept für eine Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".

Das Konzept ist inhaltlich voller Lücken:

· Nach über neun Monaten der Vorbereitung beteiligen sich lediglich 16 Unternehmen an der Stiftungsinitiative.

· Noch immer ist nicht bekannt, mit welcher Summe die Stiftung ausgestattet werden soll und an welche Auszahlung an Überlebende gedacht ist.

· Nur wer länger als sechs Monate Zwangsarbeit in einem Unternehmen leisten musste, ist antragsberechtigt. Die Stiftung will nur "bedürftige Überlebende" als Antragsteller akzeptieren.

· Die Weigerung der Industrie und der Bundesregierung, die Überlebenden als gleichberechtigte Verhandlungspartner zu akzeptieren, hat dazu geführt, dass sie in der Konzeption der Industriestiftung nur noch als Objekte von Fürsorglichkeit, nicht länger als leidende Subjekte mit Schadenersatzansprüchen existieren. Obwohl nach Auffassung der Industrie rechtliche Schadenersatzansprüche gar nicht existieren, sollen die Überlebenden jedoch - bevor überhaupt eine Stiftung eingerichtet wird - auf alle Schadenersatzansprüche verzichten.

· Die Zahlungen an die Überlebenden sollen sich nicht an der Schwere des zugefügten Unrechtes, sondern vielmehr an deren heutiger Rentenhöhe orientieren.

Blanker Zynismus

Da werden über 10 Millionen Menschen versklavt, verlieren Gesundheit, Jahre ihres Lebens und oft genug das Leben selber, aber einen Rechtsanspruch auf Lohnnachzahlung, Schmerzensgeld, Schadenersatz - all das - so die Juristen in den deutschen Vorstandsetagen, ergibt sich daraus nicht. Die von der Zwangsarbeit profitierenden Firmen verweigern die Übernahme der Verantwortung für ihre Untaten. Statt dessen gefallen sie sich in der Rolle des Gönners und drängen die Überlebenden in die Rolle des verarmten Bittstellers. Während die Überlebenden nicht wissen, wie sie z.B. in der Ukraine das lebensnotwendige Insulin zu Weltmarktpreisen bezahlen sollen, philosophieren die Gönner über die unterschiedliche Kaufkraft der Deutschen Mark in Westeuropa und den Ländern hinter dem eisernen Vorhang. Jede zweite Mark soll dabei erst gar nicht für Zahlungen an die Überlebenden, sondern für sogenannte Zukunftsprojekte dasein. Bedenkt man, dass insgesamt von 2-3 Milliarden Mark für die Zukunftsstiftung gesprochen wird, dass heute noch ca. 600.000 in der Industrie eingesetzte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter leben, so ahnt man, dass nur demütigende Minimalzahlungen für die einzelnen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter herauskommen können.

Als Kriterium für die Höhe der Zahlung will man ausgerechnet auf die Rentenhöhe der Überlebenden zurückgreifen. Die hat nun mit der ehemaligen Zwangsarbeit und den möglicherweise vorhandenen Gesundheitsschäden gar nichts, dafür aber mit der Nachkriegsgeschichte dieser Überlebenden hinter dem eisernen Vorhang alles zu tun.

Forderungen

Es ist trügerisch und unzumutbar, dass die Überlebenden erneut selektiert und katalogisiert werden. Die Bundesregierung ist aufgefordert, endlich die Beteiligung der Industrie an einer einheitlichen Bundesstiftung sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass diese ihre Leistungen ausschließlich orientiert am Verfolgungsschicksal und nicht nach Einkommen selektiert. Beim Aushandlungsprozess dieser Bundesstiftung sind die Überlebenden und ihre Verbände als gleichberechtigte Verhandlungspartner zu beteiligen.

(Bearbeitet von Wulf Schade)

 

Stichwort: Gierige Anwälte

Ein totgeglaubtes Stereotyp wird wiederbelebt: Das des geldgierigen jüdischen Anwalts. Fast in keiner Zeitschrift fehlt der Hinweis auf die angeblich exorbitanten Erfolgshonorare der an den Verfahren beteiligten amerikanischen Anwälte.

Zeit für einige klare Worte: Dass die Überlebenden die Richter anrufen müssen, ist keineswegs eine Erfindung der beteiligten Anwälte, sondern bittere Notwendigkeit angesichts der über fünfzig Jahre dauernden Weigerung der deutschen Industrie zu Ihrer Verantwortung zu stehen. Wohl keiner der Überlebenden reißt sich darum sein Schicksal vor Gericht auszubreiten. Viele beklagen sich, dass die Notwendigkeit alles neu zu beweisen alte Wunden aufreißt, retraumatisiert.

Die Anwälte gehen dabei ein großes ökonomisches Risiko ein. In der Regel sind die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen in Mittel- und Osteuropa so arm, dass eine Prozeßführung lediglich dann erfolgen kann, wenn zuvor ein Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt wird. Hierzu ist jedoch die Einreichung einer kompletten Klageschrift notwendig. Alle diese Leistungen, oft genug auch die historische Recherche, leisten die Beteiligten meist selbst. Ob sie jemals die damit verbundenen Kosten hereinholen werden, ist völlig offen.

Vollends zynisch wird die Kritik an den Anwälten, wenn ihnen die Verantwortung für die Dauer der Klageverfahren und damit für den möglichen Tod einiger Kläger zugeschoben wird. Die Dauer der Klageverfahren liegt allemal an der Weigerung der beklagten Industriefirmen ihre Schadenersatzverpflichtung anzuerkennen. Wer spricht eigentlich von den Honoraren, die die Industriefirmen heute schon aufbringen, um internationale Anwaltskanzleien mit der Abwehr aller Ansprüche und führende pensionierte Richter der Bundesrepublik mit der Erstellung von Gutachten zu beauftragen? Alle diese Kanzleien haben längst ihre Vorschüsse erhalten und brauchen sich nicht eine Minute Sorgen zu machen auf ihren Kosten sitzen zu bleiben.