Polen und wir - Heft 50 - Juli 1999

Polen als Partner begreifen

Tagung "Polen und wir" an der Ev. Akademie Bad Boll

Von Hans Kumpf

Nach sechs Jahren luden die Evangelische Akademie, die Landeszentrale für politische Bildung sowie die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland wieder zu einer gemeinsamen Tagung nach Bad Boll ein. Lautete 1993 das Thema noch "Verbindendes und Trennendes zwischen Polen und Deutschen" so informierte und diskutierte man jetzt am Fuße der Schwäbischen Alb über "Polen und wir" - so nennt sich übrigens auch die Quartalszeitschrift der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, die bereits bei ihrer Gründung im Jahre 1950 sich vehement für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und für eine wirkliche Aussöhnung einsetzte.

Der Vorsitzender Dr. Christoph Koch erinnerte erneut daran, daß seines Erachtens nach Beschlüssen des Bundesverfassungsgericht und auch des Bonner Parlaments die Grenzen zwischen Polen und Deutschland doch nicht endgültig anerkannt seien. Er forderte den Bundestag auf, "den Anspruch auf teilidentische Identität des vereinten Deutschland mit dem Deutschen Reich" für obsolet zu erklären. Der frühere Innenminister Frieder Birzele, nun Landtagsvizepräsident in Stuttgart und baden-württembergischer Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, betonte, daß Karlsruhe seinen alten Spruch revidieren und "kraft neuer Erkenntnis" zu einem anderen Urteil gelangen könne. Bonns Botschafter in Warschau, Johannes Bauch, wehrte sich in Bad Boll ganz heftig - und ganz ohne diplomatische Schmeichelei - dagegen, daß da noch eine "Leiche im Keller" liegen würde. Aus ganzem Herzen setzte sich Bauch für die deutsch-polnische Freundschaft ein und würdigte die historischen Bemühungen der CDU-Politiker Volker Rühe und Helmut Kohl.

Derzeit sei das bilaterale Verhältnis wieder schlechter geworden, bemängelten übereinstimmend die beiden prominenten Journalisten Klaus Bachmann und Adam Krzeminski. Enttäuschung auch bei Krzysztof Miszczak (Gesandter Polens in der Kölner Botschaft), der der Regierung Schröder vorwarf, den EU-Beitritt seines Landes zu verzögern. Zu mehr Gelassenheit rief SPD-MdB Markus Meckel auf. Der einstige Wende-DDR-Außenminister betonte, es gebe auch zwischen Wessies und Ossies noch viele Divergenzen. Meckel wurde an die Evangelische Akademie besonders in seiner Funktion als Vorsitzender der "Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e.V.", dem Dachverband von ab 1970 tätigen Regionalgruppierungen, eingeladen und willkommen geheißen.

Kein Zweifel bestand bei sämtlichen Referenten und Diskussionsteilnehmern, daß im bilateralen Verhältnis zwischen Polen und Deutschen noch viel aufzuarbeiten sei und man sich immer noch der Vergangenheit stellen müsse. Sehr nachdrücklich für eine internationale Verständigung plädierte die eloquente Ethnologie-Professorin Dorota Simonides, die im polnischen Senat die Wojewodschaft Opole/Oppeln vertritt und in der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Demokratie, Menschenrechte und humanitäre Fragen ist.

Vielfach gelobt wurden die intensiven Wirtschaftskontakte zwischen den beiden Republiken - die habe auch für menschliche Annäherungen gesorgt. Nicht in der Ökonomie, sondern auch in kommunalen und schulischen Verbindungen solle man Polen als (gleichberechtigten) Partner begreifen - und keinesfalls als bloßen Hilfsempfänger oder gar Konkurrenten. Dies unterstrichen zudem etliche Pädagogen im Plenum.

Auf die seit der Oder-Flut im Sommer 1997 bewerkstelligten Kooperationen im grenznahen Raum verwies Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel. Große polnische Rückhaltebecken hätten sein Bundesland vor Schlimmerem bewahrt; die aus Westdeutschland herbeigeschafften leistungsstarken Wasserpumpen habe man sich in der Not brüderlich geteilt.

Daß es in der Evangelischen Akademie doch nicht zu einer extra-scharfen Kontroverse kam, lag in der kurzfristigen Absage von Erika Steinbach (CDU). Die 1943 in Westpreußen geborene neue Präsidentin des Bundes der Vertriebenen entfachte in Polen und bei Polen immer wieder Ängste. Befürchtet werden dort - privat angemeldete - Eigentumsansprüche aus Deutschland. Zum Zankapfel geriet hier primär die Bundestagsentschließung 13/10845 vom 29.5.1998, auf welche der Seym fünf Wochen später in heftiger Form reagierte. Die in Bad Boll einträglich versammelten Parlamentarier beider Länder stimmten überein, zukünftig derartige Auseinandersetzungen, die den Versöhnungsprozeß konterkarieren, nicht aufflammen zu lassen.

Harmonie schließlich am Kulturabend. Für ein ursprünglich eingeplantes Klezmer-Ensemble aus Krakau sprang der 1980 in Tübingen geborene David Orlowsky mit seinem Trio ein. Der Klarinettist entpuppte sich als virtuoser Gefolgsmann von Giora Feidman - schluchzte, seufzte, hauchte und jubilierte in den höchsten und tiefsten Tönen und demonstrierte so, wie Musik weltweit verbinden kann. Die idyllische und entspannte Atmosphäre in Bad Boll trug das ihrige zum Gelingen des dreitägigen Symposiums bei. Polit-Prominenz, Diplomaten, Wissenschaftler, Journalisten und ganz "normale" Tagungsteilnehmer saßen da im Speisesaal und im "Café Heuss", wo in den fünfziger Jahren der erste Bundespräsident geruhsam sein Viertele schlotzte, beieinander, kommunizierten - und entwickelten Ideen für eine gedeihliche Zukunft. Schwarz auf weiß nachzulesen sind die Referate und Diskussionsbeiträge in einem Protokollband, den die Akademie erstellen wird. Lieferbar voraussichtlich ab Sommer 1999.