Unsere Arbeit geht weiter

 

Von Christoph Koch, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. (Auszug seines Referats auf der Jubiläums-Hauptversammlung)

 

[Einleitend spricht Christoph Koch über das aktuelle politische Klima, in dem die deutsch-polnische Zusammenarbeit praktiziert wird.]

(.....) In dieser [nur an der Oberfläche scheinbar problemlosen] Atmosphäre über die Arbeit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen, ist kein leichtes Unterfangen. Der vornehmliche Gegenstand dieser Arbeit sind nicht die marktgängigen Wunschbilder einer deutsch-polnischen Zukunft, (...) sondern das weit höhere Ansprüche stellende Bemühen um die verlässliche Begründung dieser Zukunft auf ein den objektiven Erfordernissen Rechnung tragendes Fundament, das um alle Relikte bereinigt ist, die aus einer anderen Zielen verpflichteten Vergangenheit der Normalisierung des beiderseitigen Verhältnisses entgegenstehen. (...)

Das verantwortliche Ziel deutsch-polnischer Nachbarschaft kann allein eine Zukunft sein, die Polen das größtmögliche Maß an politischer, wirtschaftlicher und kultureller Selbstbestimmung gewährt. Die Schaffung der tragfähigen Grundlage einer solchen Zukunft, die allen Verwerfungen der deutsch-polnischen Geschichte Rechnung trägt und alle Elemente der Bevormundung, der Übervorteilung, der Indienstnahme oder gar der Existenzbedrohung des kleineren durch den größeren Nachbarn ausschließt, ist das bis auf den heutigen Tag unveränderte Gründungsziel der ältesten und über mehr als zwei Jahrzehnte einzigen deutsch-polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik, die unter dem unmittelbaren Eindruck des Zweiten Weltkriegs und der nach dem Zerfall der Anti-Hitler-Koalition und dem Beginn des Kalten Krieges sich abzeichnenden Gefahr einer Spaltung Europas am 19. August 1948 in Berlin unter dem Namen “Hellmut von Gerlach-Gesellschaft” auf gesamtdeutscher Ebene ins Leben gerufen wurde. (...)

Zu den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft gehörten der liberale Professor der Klassischen Philologie Johannes Stroux, der sozialdemokratische Publizist Dr. Carl Helfferich, der Architekt Hans Scharoun, der Kommunist Karl Wloch, kurz: Menschen der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Lager, die in der Sorge vereint waren, dass die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs, zu denen neben einer neuen Festlegung der deutsch-polnischen Grenze die Folgen von Flucht und der von den Siegermächten verfügten Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den polnischen Westgebieten gehörten, ihrerseits zur Quelle einer Gefahr für das friedliche Zusammenleben von Polen und Deutschen werden könnten. Es gehört zu den großen Verdiensten der Hellmut von Gerlach-Gesellschaft, dass sie durch eine unermüdliche Aufklärungsarbeit wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Flüchtlinge und Umsiedler, die ihre neue Heimat in der sowjetischen Besatzungszone und der nachmaligen DDR fanden, nicht zu einem Hort revanchistischer Forderungen geworden sind.

Ein Jahr nach der Gründung der Hellmut von Gerlach-Gesellschaft manifestierte sich die fortschreitende Spaltung Europas in der Gründung der beiden deutschen Staaten. Die in das Fundament der Bundesrepublik gelegte Verfassungsbestimmung  des Art. 23, der nach über den Bestand der BRD hinausgehenden “anderen Teilen Deutschlands” zielt, und die auf die “Offenhaltung der deutschen Frage” bedachte Politik der neuen Bundesregierung verdeutlichten die Notwendigkeit einer Gegenstimme auf Seiten des westlichen Staates. Aus diesem Grunde erfolgte am 29. Juli 1950 in Düsseldorf die Gründung einer westdeutschen Hellmut von Gerlach-Gesellschaft. Das Spektrum ihrer Gründerväter reicht vom konservativen Lager deutsch-nationaler Provenienz über Sozialdemokraten, Vertreter der christlichen Kirchen und der Friedensbewegung bis zu den Kommunisten.

Im Gefolge des Kalten Krieges ist die konservative Tradition, die die Arbeit der Gesellschaft zeit ihres Bestehens mitgetragen hat, gerne übersehen worden. Auch dass die Gesellschaft stets auf dem untrennbaren Zusammenhang zwischen demokratischen Verhältnissen im Inneren und auf gegenseitige Achtung gegründeten zwischenstaatlichen Beziehungen nach außen bestanden hat und insbesondere unter dem Vorsitz des eben so sehr katholischer wie republikanischer Tradition verpflichteten Juristen Helmut Ridder der bundesrepublikanischen Wirklichkeit die Vollendung der bürgerlichen Gesellschaft und die Aufarbeitung des Defizits abverlangt hat, das westdeutsche Demokratie vom zivilisatorischen Standard jenseits des Rheines scheidet, ist eher als störend empfunden worden. Statt dessen hat sich der Zeigefinger der Getroffenen auf die Beteiligung der Kommunisten gerichtet, die in den langen Jahren frontstaatlichen Selbstverständnisses der BRD einen bequemen Vorwand bot, sich der argumentativen Auseinandersetzung mit der Arbeit der Gesellschaft zu entziehen. Dass das Schwert der “Grundtorheit des 20. Jahrhunderts” mittlerweile schartig geworden ist, hindert nicht, dass es von Liebhabern schlichter Denkmuster bisweilen noch heute geschwungen wird. Spätere Alleinvertretungsansprüche auf die deutsch-polnische Thematik vermögen jedoch nicht ungeschehen zu machen, dass sich in der deutschen Nachkriegsgeschichte die Kommunisten in besonderer Weise für die Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und die Normalisierung des deutsch-polnischen Verhältnisses eingesetzt haben. Die Gesellschaft sah und sieht daher keinen Anlass, sich von ihrer Mitarbeit zu distanzieren.

Zehn Monate nach der Gründung der Bundesrepublik ins Leben gerufen, trägt die Gesellschaft die ganze Geschichte der Beziehungen zwischen dem westdeutschen Staat und Polen auf ihren Schultern. Wenige Jahre, nachdem Polen, dem deutschen Bewusstsein als minderrassiges Sklavenvolk eingeprägt, einen Teil des im Kriege verlorenen deutschen Territoriums zugeteilt erhielt, nachdem die deutsche Bevölkerung dieser Gebiete ihre Heimat verlassen musste und nachdem sich abzuzeichnen begann, dass das Land im Zuge der Spaltung Europas dem anderen Lager angehören würde, - unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Erfahrung die Forderung nach der Anerkennung des territorialen Besitzstandes und der Verständigung mit dem aus den Zerstörungen des Krieges gestärkt hervorgegangenen Polen zu erheben, kam nicht allein einem grundlegenden Bruch mit der herrschenden Ansicht des Landes und seiner Bewohner gleich, sondern stand in krassem Gegensatz zu den Intentionen nahezu aller im öffentlichen Leben der jungen Bundesrepublik wirksamen politischen Lager mit Ausnahme der Kommunisten. (...) Welchen Anstoß die Forderung der Gesellschaft unter diesen Bedingungen erregen musste, ist jedermann einsichtig, doch können sich die Nachgeborenen wohl nur mit Mühe die Atmosphäre vergegenwärtigen, in der sich die Auseinandersetzung um den Platz der Bundesrepublik in der europäischen Nachkriegsordnung vollzog.

Das Tätigkeitsfeld der Gesellschaft, deren Adressat die deutsche Öffentlichkeit ist, umfasste von Anfang drei Schwerpunkte. Der erste war das Eintreten für die Anerkennung der polnischen Westgrenze als Teil der aus der Niederlage des Dritten Reiches hervorgegangenen europäischen Nachkriegsordnung, das angesichts des zunehmenden Auseinandertretens Europas in zwei einander wirtschaftlich, politisch und militärisch entgegengesetzte Machtblöcke und der realen Gefahr eines auf europäischem Boden ausgetragenen militärischen Konflikts von allem Anfang eine Schlüsselfrage der Erhaltung des Friedens in Europa betraf. Der zweite Schwerpunkt war die Aufarbeitung der weit ins 19. Jh. zurückreichenden Tradition deutscher Unkenntnis und Missachtung des polnischen Anteils an der Herausbildung der europäischen Kultur in allen Bereichen der Wissenschaft, der Literatur und der Kunst durch ein weitgefächertes Spektrum von Aktivitäten, die dem deutschen Publikum die Zeugnisse des polnischen Geisteslebens nicht nur vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte, sondern auch der aktuellen, d.h. der sozialistischen Gegenwart erschloss. Der dritte Schwerpunkt endlich war das Bemühen um die Vermittlung realer Formen deutsch-polnischer Zusammenarbeit vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, welche die blockbedingte Kluft zwischen beiden Ländern gleichsam materialiter überwinden und nicht zuletzt einen Beitrag zur wirtschaftlichen Konsolidierung des im Kriege von deutscher Hand zerstörten Nachbarlandes leisten sollte.

Auf den zuletzt genannten Feldern kam der Gesellschaft über lange Jahre eine weitgehende Monopolstellung zu, die sie nicht erstrebt und um deren Verlust sie sich intensiv und erfolgreich bemüht hat. Nachhaltige Wirkung hat die Gesellschaft insbesondere auf dem Gebiet der Aneignung der polnischen Kultur und der keineswegs einsträngig verlaufenden deutsch-polnischen Geschichte in weiten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit erzielt. Lange bevor die ungezählten Zusammenschlüsse und Institutionen, die heute auf dem Felde der deutsch-polnischen Begegnung tätig sind, das Thema erkannt hatten, hat die Gesellschaft, die, je länger je mehr, zu einem Kristallisationspunkt des über die Oder gerichteten Interesses wurde, in mühevoller Kleinarbeit den Boden kultiviert, auf dem heute die tausend Blumen des deutsch-polnischen Kulturaustausches blühen. (...)  Fehlte es in jenen Tagen an gesellschaftlichen Vereinigungen vergleichbarer Zielsetzung, so nahm doch mit dem wachsendem Abstand zum Ende des Krieges die Zahl der Kultur- und Bildungseinrichtungen der Bundesrepublik zu, die sich um die Anknüpfung kultureller und informeller Kontakte nach Polen bemühten und über die Inanspruchnahme ihrer Erfahrung zu oft langfristigen Kooperationspartnern der Gesellschaft wurden. Uberdies gab es im Umkreis der Gesellschaft dem gleichen Anliegen verpflichtete Einzelpersonen, die Gäste ihrer Veranstaltungen und Versammlungen waren und die der Sache der wechselseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Polen teils unvergleichliche Dienste geleistet haben. Stellvertretend für andere sei hier der Name von Karl Dedecius genannt, der die polnische Literatur zum unwiderruflichen Besitz des deutschen Lesers gemacht hat.

Nicht ohne Erfolg war die Gesellschaft auch auf dem Felde des Wirtschaftsaustausches und der Vermittlung von Kenntnissen über die ökonomische Entwicklung der Volksrepublik und ihre Fähigkeit zur Kooperation mit westlichen Partnern, doch fielen die wichtigen Entscheidungen hier auf anderer Ebene, so dass von einem nachhaltigen Einfluss der Gesellschaft auf diesem Sektor nicht gesprochen werden kann.

Der bei weitem schwierigste Bereich der Tätigkeit der Gesellschaft ist jedoch der erstgenannte: das Bemühen um die endgültige Anerkennung der polnischen Westgrenze (...). Hatte bereits das Werben für die Wahrnehmung des polnischen Anteils an der Entwicklung des europäischen Geisteslebens den gereizten Widerspruch derjenigen hervorgerufen, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des überkommenen Polenbildes hatten, um wieviel mehr musste eine Haltung auf Ablehnung stoßen, die eben diesen Polen den rechtlichen Besitz im Kriege verlorener Teile des Deutschen Reiches zusprach und damit allen Hoffnung auf eine Restitution des Reiches in Grenzen, die das am 8. Mai 1945 Verbliebene übertreffen, den Boden entzog. Kübel des Hasses und der Verunglimpfung wurden über die Gesellschaft entleert, und es wurden alle Register gezogen, sie zum Schweigen zu bringen. Die Anfeindungen entstammten in erster Linie dem antikommunistischen Repertoire der Zeit. (...) Die Anfeindungen gingen jedoch insofern ins Leere, als das Eintreten der Gesellschaft für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Polen zu keiner Zeit etwa an den sozialistischen Charakter des Landes jenseits der Oder gebunden war. Die Verwerfungen des deutsch-polnischen Verhältnisses haben ihre Wurzeln in einer Zeit, die dem Konflikt von kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaftsordnung vorausgeht, und haben über die Dauer dieses Konfliktes hinaus Bestand. Ihre Ursachen sind nicht in dem Aufeinandertreffen gegensätzlicher Weltanschauungen, sondern in den Schwierigkeiten Deutschlands begründet, zu sich selbst und damit zu ruhiger und fruchtbarer Nachbarschaft zu seinen europäischen und insbesondere zu seinen östlichen Nachbarn zu finden. (...) [Ein] Nachdenken über diese Frage, (...) ist brisant genug, um den erbitterten Widerstand all derer zu provozieren, die (...) der Vorstellung anhängen, dass Deutschland auch in der Gegenwart seinen eigentlichen Platz noch nicht gefunden hat.

Die Kampagne gegen die Gesellschaft lief jedoch auch insofern ins Leere, als die Einsichten, die anfangs wenn nicht ausschließlich, so doch vornehmlich innerhalb der Gesellschaft und in ihrem Umfeld formuliert wurden, (...) auch in anderen Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft Fuß fassten und ein allmähliches Umdenken der Positionen einsetzte (...). Gewiss darf man den Anteil der Gesellschaft an dieser Entwicklung, deren Anstöße vor allem aus der Verhärtung des außenpolitischen Handlungsrahmens und der drohenden Isolierung der Bundesrepublik herrührten, nicht überschätzen. (.....)