Eine neue linke Partei in Polen

Von Renate Weiß

Am 18. und 19. Dezember 1999 fand der I. Kongress - der Gründungskongress - der Allianz der Demokratischen Linken/Sojusz Lewicy Demokraticznej (SLD) statt. 752 Delegierte wählten den Parteivorstand. 70 Teilnehmer waren 30 Jahre und jünger. Die SLD hat bereits mehr als 80.000 Mitglieder, davon über 20.000 junge und sehr junge Leute. Das geht aus dem Referat von Leszek Miller, dem gewählten Vorsitzenden der Partei, hervor. Diese Partei ist aus dem linken Wahlbündnis gleichen Namens, das 1991 von Aleksander Kwaśniewski, dem Präsidenten Polens seit 1995, hervorgegangen.

Es sind auch Bündnispartner als selbständige Organisationen bestehen geblieben wie die PPS - die Polnische Sozialistische Partei. Diese Partei und auch andere Organisationen haben nur eine geringe Mitgliedschaft. Es besteht die Gefahr der Bedeutungslosigkeit bezüglich des Einflusses auf die gesellschaftliche Entwicklung.

Wahlen zum Vorstand

Leszek Miller war der einzige Kandidat für die Wahl des Vorsitzenden. Er wurde mit 97,98 Prozent der Stimmen gewählt. Es gab keine Stimmenthaltungen, nur 15 Gegenstimmen. Auch für den Generalsekretär trat nur ein Kandidat an. Er, Krzysztow Janik, wurde mit 96,35 % der Stimmen gewählt. Für die Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden bewarben sich 12 Personen. Fünf stellvertretende Vorsitzende wurden gewählt.

Im ersten Wahlgang gewannen Marek Borowski, Andrzej Celiński und Jerzy Szmajdziński mit Stimmenmehrheit. Im zweiten Wahlgang kamen noch Krystina Lybacka und Stanis³aw Janas hinzu. Nicht gewählt wurden u. a. Wlodzimierz Cimoszewicz und Józef Oleksy, der 1990 Vorsitzender der SdRP (Sozialdemokratie der Republik Polen) war. Beide waren nacheinander  in der Regierung des linken Wahlbündnisses (SLD) in Koalition mit der Bauernpartei – PSL - nacheinander  Premier.

Die Grundziele

Verabschiedet wurde das Statut der Partei sowie das Manifest „Das neue Jahrhundert - eine neue Allianz der Demokratischen Linken. Das sozialdemokratische Programm für Polen“ und die Deklaration “Unsere Traditionen und Werte“.

Einleitend werden im Statut der Allianz der Demokratischen Linken die Ziele der Partei formuliert.

“Die Allianz der Demokratischen Linken zählt zu den erstrangigen Werten, deren Verwirklichung sie als ihre grundlegende Aufgabe ansieht, die Würde des Menschen, die soziale Gerechtigkeit sowie die Solidarität der arbeitenden Menschen.

Die Allianz der Demokratischen Linken, geht davon aus, dass Gleichheit und Freiheit  natürliche Bestrebungen der Menschen sind.

Die Allianz der Demokratischen Linken betrachtet als ihre Pflicht, die Stärkung der Unabhängigkeit der Republik Polen, den Schutz ihrer Souveränität und der Rechtsordnung in der vereinigten Familie der europäischen Völker.

Die Allianz der Demokratischen Linken bekennt sich zur Freiheit des Gewissens und der Konfession, zur Toleranz der Weltanschauung und Weltlichkeit des Staates, zur Gleichheit von Frau und Mann in den unterschiedlichen Bereichen des Lebens sowie zur Achtung der ethnischen, nationalen und kulturellen Unterschiede.     

Die Allianz der Demokratischen Linken wird die genannten Ziele und  Werte sowie die programmatischen Aufgaben, die in der Deklaration der SLD enthalten sind, die sich auf die   gesellschaftlichen Grundlagen, die in der Verfassung der Republik Polen fixiert sind, verwirklichen, indem ihre Vertreter am Funktionieren des Staates teilhaben.“ Soweit die im Statut formulierten Ziele.

Das Zeichen der SLD ist ein stilisiertes S, das auf dem abgebildeten  Deckblatt des Statuts zu sehen ist.

Das Verhältnis zur Geschichte der polnischen Linken

In der Polityka Nr. 51 v. 18. Dezember 1999 wird vom “dritten Anfang“ der Linken gesprochen und  werden als Vorgängerin die PZPR (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, Gründung 1948) und SdRP (Gründung 1990) bezeichnet. Die SdRP wird als Nachfolgepartei der PVAP als postkommunistisch angesehen. Historisch betrachtet, liegen die Anfänge der Linken in Polen bereits im XIX. Jahrhundert, denn bereits 1898 wurde in Polen eine sozialistische Partei gegründet. Die Wurzeln der Partei gehen aber noch weiter zurück, denn bereits 1883 gab es in größeren Städten die russisch-polnische Bewegung der „Befreiung der Arbeit“. Mitglieder dieser Organisation waren beispielsweise Georgi Plechanow und Josef Pi³sudski. Und schließlich gab es auch noch die SDKPiL (Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauen). So kompliziert und wechselhaft, wie sich der Verlauf der  Geschichte Polens  entwickelte, so gestaltete sich auch die Vergangenheit der polnischen Linken. Auf diese Traditionen möchte man sich womöglich heute nur ungern  berufen!  Pi³sudski gründete 1892 die PPS, die Polnische Sozialistische Partei.

Trotz des Bekenntnisses von Miller zur Vergangenheit scheint es doch sehr schwierig zu sein, sich damit ehrlich auseinander zu setzen. Im Referat bezieht Miller wie folgt zur Vergangenheit Stellung: “Ein Volk, das sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, verarmt. Ein Volk, das unablässig mit der Geschichte lebt, wird ratlos gegenüber der Zukunft. Unsere Bewertung der Vergangenheit ist hart, aber gerecht. Wir verdammen die Verbrechen des Stalinismus.(...) Größte Achtung haben wir gegenüber den Menschen, die nach dem tragischen Krieg Polen aufbauten, erkennend, dass es vor allem Polen ist und in zweiter Linie Volkspolen.“

Ganz am Anfang seines Referats geht Leszek Miller etwas näher auf die im Statut genannten ethischen Werte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz  ein.

Die ethische Grundlage der SLD

“Freiheit - heißt  nicht nur Willensfreiheit, sondern auch Freiheit von Angst vor Arbeitslosigkeit, Armut, Übergriffe, Verlust der Gesundheit, Degradierung und Hilflosigkeit.

Gleichheit - bedeutet nicht nur Gleichheit gegenüber dem Recht. Es geht auch um die Chancengleichheit und die Gleichheit der Geschlechter und gegen jegliche Diskriminierung.

Gerechtigkeit - heißt nicht nur gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Gerechtigkeit heißt auch gemeinsame  gesellschaftliche Mühen und Teilhabe an deren Ergebnis.

Solidarität – liegt nicht nur in der gemeinsamen Tätigkeit, sondern bedeutet auch Solidarität zum Schutz der Schwachen und Erniedrigten. 

Toleranz - ist nicht nur die Akzeptanz des Rechts auf unterschiedliche Anschauungen.  Toleranz heißt auch Verständnis für jede Art zu leben, die anderen kein Leid zufügt.“

Daraus ergibt sich dann auch das Bekenntnis der SLD zur sozialen Marktwirtschaft, zur Globalisierung und damit zur Notwendigkeit des Beitritts Polens zur Europäischen Union. Die SLD betrachtet den Prozess der Integration Polens in die EU als grundlegendes strategisches Ziel.

Angriffe gegen die konservative Regierung Buzek

Miller setzt sich auch mit der Regierung Buzek  (AWS) auseinander und meint: “Täglich sehen wir, wie man Polen nicht regieren darf.“ Die SLD muss wieder Regierungspartei werden, um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung generell wieder voranzubringen. Seit dem die AWS die Regierung übernahm, hat sich die Entwicklung verlangsamt und die Reformen wirken sich statt für, gegen die Menschen aus. Die Arbeitslosigkeit und Armut der Menschen sei unverantwortlich angestiegen, vor allem sei die größte Krankheit dieser Regierung die Inkompetenz und  lawinenartig wachsende Korruption.

Miller betont: “Die menschliche  Arbeit, die Bildung, der Gesundheitsschutz, Wissenschaft und Kultur sind gesellschaftliche Güter. (...) Das Recht der Bürger ist hierbei wichtiger als die Macht des Geldes. (...) Der Verstand ist unsere Kraft, die Finsternis unser Feind!”  

Er führt weiterhin aus, dass die SLD die kleinen und mittleren Betriebe und einen effektiven  konkurrenzfähigen Export fördern wird. Ein doktrinäres Herangehen an das Eigentum dürfe nicht geschehen, bestimmte Eigentumsformen sollten weder rechtlich noch ökonomisch privilegiert werden. Die Aufgabe des Staates sei es die Rolle eines Förderers von Investitionen und eines aktiven Investors zu übernehmen.

Enthusiasmus und Populismus

Abschließend noch einige Bemerkungen zur Atmosphäre, wie die Publikationen und die Materialien des Gründungskongresses sie widerspiegeln. hervorgehen. Bestätigt wurde dieser Eindruck durch die Teilnahme der Verfasserin des Berichtes an einer Tagung des Aktivs der SLD in Rzeszów (Hauptstadt der Wojewodschaft Karpatenvorland) am 9. Februar 2000. Fast der gesamte Vorstand der SLD hat an dieser Veranstaltung teilgenommen, einschließlich Leszek Miller.

Die Reden Millers sind durch Optimismus, Enthusiasmus gekennzeichnet. Teilweise kann man sich des Eindrucks eines gewissen Wahlpopulismus nicht erwehren. Zum Beispiel sagt Miller in seinem Referat in Warschau: Die SdRP habe fünf lange Jahre auf die Aufnahme in die Sozialistische Internationale gewartet. Der SLD haben dafür nur fünf kurze Wochen genügt, um Mitglied zu werden. Dafür bedankte sich Miller überschwänglich bei Rudolf Scharping als Vertreter der Sozialistischen Internationale und als Vertreter der deutschen Sozialdemokratie. Der deutschen Sozialdemokratie und der deutschen Regierung sowie den europäischen linken Parteien wurden Grüße übermittelt

Ein weiteres Beispiel: Die Wahl des Präsidenten 2001 sei für die SLD bereits gelaufen. Die ganze Kraft müsse man auf die Sejmwahlen 2002 konzentrieren. Bei der Begründung der Beliebtheit von Kwaśniewski vergaß Miller in Rzeszów nicht darauf hinzuweisen, dass Kwaśniewski im Papa-Mobil mitfuhr, als der Papst in Polen war.

Sicher stützt sich die Aussage Millers auf die Ergebnisse gegenwärtiger Befragungen, die besagen, wenn die Präsidentenwahl heute stattfinden würde, dann würde Aleksander Kwaśniewski bereits in der ersten Wahlrunde mit 61 Prozent gewinnen. Dagegen bekämen Leszek Balcerowicz, Marian Krzaklewski und Andrzej Olechowski nur 4 Prozent. Lech Wałęsa und Andrzej Lepper sogar nur 3 Prozent (Vgl. Trybuna v. 12/13. Februar 2000). Sollte das eine Fehlwahrnehmung sein?

Mieczysław Rakowski schreibt in der genannten Trybuna: Kwaśniewski werde auf eine Reihe unbequemer Fragen antworten müssen, z. B darauf, warum die Gesundheitsreform, statt der Gesundheit zu dienen, für viele, insbesondere chronisch Kranke, die Situation eminent verschlechtert habe. Es wird eine harte Wahlschlacht werden und dem derzeitigen Präsidenten und künftigen Kandidaten der SLD wird nichts erspart bleiben. Er hofft sich zu irren, aber trotzdem ist er der Meinung, dass die Kampagne zur  Präsidentschaftswahl ungewöhnlich rücksichtslos und brutal sein wird.  

Es hat ein Jahr gedauert aus dem Wahlbündnis SLD eine Partei zu gründen. Die Initiative ging von Leszek  Miller aus. Er wurde Vorsitzender der Partei. Er beendet sein Referat in Warschau auf dem Gründungskongress mit folgenden elegischen Worten:

“Polen muss nicht ein Land schmerzlicher Kontraste sein!

Polen muss nicht ein Land verlorener Chancen sein!

Polen muss nicht ein Land von Verlierern sein!

Und es werde es niemals sein!

Solange wir leben!“

(Die Autorin, Prof. Dr. Renate Weiß, ist emeretierte Professorin für Ökonomie und lebt in Berlin)