Was lange angekündigt war, kam in den grauen Herbsttagen Polens zu einem erwartet guten Ende. „Pan Tadeusz“, Polens romantisches Nationalepos aus der Feder von Adam Mickiewicz, zog das Kinopublikum zwischen Oder und Bug in seinen Bann. Kein geringerer als Andrzej Wajda hatte sich vor etlichen Jahren auf den Weg gemacht, die Geschichte des Streits zweier Adelsgeschlechter und ihrer Versöhnung angesichts des gemeinsamen Feindes auf Zelluloid zu bannen. Der enorme Publikumszuspruch bestätigte Wajdas Wahl, Menschen aller Altersgruppen und sozialen Schichten fanden sich in den langen Schlangen wieder, die die Kinokassen belagerten. Das Unglaubliche schien wahr geworden zu sein: eine Nation über zweieinhalb Stunden vereint, zusammenfindend in dem Gefühl, einer traurig-schönen Geschichte über eigenes Versagen und eigene Stärke zu lauschen.
Vielleicht ist Wajda tatsächlich der einzige unter Polens Filmregisseuren, dem eine solche Bearbeitung dieses Werkes aus dem romantischen Literaturkanon gelingen konnte. Eine breite Öffentlichkeit jedenfalls zollte ihm überschwängliches Lob und verzieh ihm bereitwillig jeden Eingriff, jede Verkürzung, den und die er bei der Adaption des Originals unweigerlich tätigen musste. Handwerklich jedenfalls stimmt nahezu alles. Das Spiel der Darsteller - allen voran wären Daniel Olbrychski, Andrzej Seweryn und Gra¿yna Szapo³owska zu nennen - ist prächtig in Szene gesetzt, wofür Star-Szenograph Allan Starski mit seiner Hingabe an das historische Detail hervorzuheben wäre. Die Musik aus der Feder Wojciech Kilars, des wohl bekanntesten polnischen Filmmusikers, unterstreicht die gewünschte Atmosphäre. Ein phantastischer Bilderreigen macht die zweieinhalb Stunden Filmdauer zu einer wahrlich kurzweiligen Angelegenheit. Als geschickte dramaturgische Lösung erwies sich die Verwandlung des anrührenden Epilogs von Mickiewicz zur Rahmenhandlung des Films. Mickiewicz erzählt in trauter Runde im winterlichen Paris anno 1834 die merkwürdige Geschichte, die Pan Tadeusz im Jahre 1812 bei Rückkehr auf sein heimatliches Gut im Litauischen erlebte. Zerstoben war mittlerweile auch der allerletzte Rest jener sagenumwobenen Hoffnung, die der Durchmarsch napoleonischer Truppen im Jahre 1812 bei den Adelspolen hervorrief. Inmitten tiefer Resignation suchten die polnischen Dichter-Propheten nach neuer Hoffnung. Mickiewicz` spöttisch-respektvoller Blick aus dem Exil zurück in das Land seiner Jugend, in das Land der Väter gehörte zu dieser Suche. Der heutige Zuschauer, so Wajdas Kalkül, wird unweigerlich einen neuen Rahmen setzen - den des endlich freien Polens. Dadurch werde der Reiz an der mit leichter Ironie vorgespielten Geschichte nur erhöht. Hinzu komme das Gespür für die vielen Jahrzehnte des unglaublichen Leidenswegs, den die Polen seit jener Zeit zurücklegen mussten.
Wer will, kann Wajdas „Pan Tadeusz“ durchaus als Höhepunkt einer eindrucksvollen künstlerischen Karriere sehen. Mehrere Kritiker betonen, dass der Film zumindest jenes Niveau erreiche, welches Wajda mit seinen großartigen Filmen in der Glanzzeit des polnischen Kinos in den 1950er, 60er und 70er Jahren vorgab. Die Besetzung zweier Hauptrollen mit Olbrychski und Seweryn könnte auch als Reminiszenz an die gemeinsame Arbeit in diesen Jahren aufgefasst werden. Andererseits betont Wajda laut und vernehmlich, sein „Pan Tadeusz“ sei ein im freien Polen geschaffenes Kunstwerk und habe damit einen Rang, den seine früheren Filme nicht erreichen konnten. Damals habe neben der filmkünstlerischen Arbeit auch immer die Notwendigkeit bestanden, mit dem Zuschauer über gebotene Grenzen hinweg in einen Dialog zu treten, wobei das so zustande gekommene Gespräch über Gegenwartsfragen in die eigentliche Handlung eingelagert werden musste. Jetzt also sah der Regisseur die Zeit für gekommen, einen langgehegten Plan umzusetzen. Der „Pan Tadeusz“ sollte verschont bleiben von Aufgaben, die ihm nicht zuzumuten wären. Der Regisseur pocht dabei auf sein Recht, pures Kino machen zu dürfen. Ihn interessiere im Zusammenhang mit dem Film die Gegenwart nur noch als Zeitebene, von der aus auf eine kleine Geschichte am Rande großer Weltereignisse aus dem Jahre 1812 zurückgeschaut wird. Wajda suchte diesen durch die Gegenwart möglichst ungetrübten Rückblick in gewisser Distanz zu seinem bisherigen Lebenswerk. Auf Kompromisse mit einem Sinngebung suchenden Publikum brauchte er nicht zu achten. Er selbst setzte sich als Publikum und entschied, dass dieses einen solchen, von ihm gedrehten Film sehen möchte. Aufwand und eingesetzte Mittel rechtfertigten sich ohnedies durch das gewählte Thema.
Freilich dürfen kritische Einlassungen nicht fehlen, die dem Regisseur vor allem bezweckte Flucht aus der komplizierten Gegenwart Polens vorwerfen dürften. Die Aussage, im freien Polen dürfe der Künstler so verfahren, er könne auch gar nicht anders, denn für die politischen Fragen sei das Parlament, für die wirtschaftlichen Probleme der Markt da, ist wenig überzeugend. Vor etwa 100 Jahren gab es in Polen tatsächlich einen ersten, ernsthaft angestrebten Versuch, Kunst und Freiheit zusammenzubringen. Allerdings waren die Prämissen damals gänzlich verschieden von den heutigen Gegebenheiten, denn Polen konnte alles andere denn frei genannt werden. Stanisław Przybyszewski, unangefochtener Kopf der damaligen polnischen Boheme, forderte die kompromisslose Freiheit für die Kunst, die sich freimachen sollte von allzu beschwerlichen nationalpatriotischen und gesellschaftlichen Fesseln. Ihm ging es mit seinen programmatischen Vorstellungen um einen Akt der Selbstbefreiung der Kunst aus den Fängen nationaler Pflichterfüllung. Wer, so fragte der Künstler, wenn nicht die Polen könnten vorangehen als Beispiel für andere. Sie haben keine eigene Staatlichkeit, bräuchten sich also auch nicht erst aus diesem Dunstkreis befreien. Allerdings müsse dann der Anspruch an die eigene Tätigkeit steigen, denn es gäbe hinfort keinen Schutz mehr durch vordergründige und billige Rücksichtnahme auf ein Publikum, welches sich erbauen, sich unterhalten und in seiner, die Dinge oftmals vereinfachenden Meinung gestärkt sehen möchte.
Indes, Przybyszewski musste noch zu Lebzeiten das Scheitern seines Aufbegehrens erleben. Wenn Wajda heute über den Zusammenhang von Freiheit und Kunst sinnt, dann bestimmt nicht im Sinne seines Landsmannes. Im Gegenteil. Im Grunde ist Wajda selbst Teil einer perfekt inszenierten Marketingaktion, wie sie das polnische Kino wohl noch nicht erlebt hat. Der Publikumszuspruch gibt dieser Strategie wohl recht. Ein Denkmal der polnischen Literatur - nein, das Denkmal! - wurde vom Sockel geholt und dem Publikum zu Füßen gelegt. Was viele, die das Original gut kennen, für unmöglich hielten, ist eingetreten. Die filmische Adaption des „Pan Tadeusz“ ist zu dem Ereignis der polnischen Kinogeschichte der 1990er Jahre geworden. Daran ändern auch jene kritischen Stimmen wenig, die ihr Missbehagen deutlich und verständlich zum Ausdruck bringen. Ein breites Publikum hat sich entschieden und dem Künstler seine ungeteilte Zustimmung erteilt. Im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel in den 1990er Jahren wurden mitunter Stimmen laut, die von einem bevorstehenden Abschied der Polen von der romantischen Erblast sprachen. Möglicherweise gestaltet sich dieser Abschied komplexer und langwieriger als gedacht. Vielleicht ist Wajdas „Pan Tadeusz“ doch näher an den Gegenwartsproblemen dran, als es der Regisseur sich eingestehen möchte?
Nachfolgend dokumentieren wir Stimmen aus der polnischen Öffentlichkeit zum Film “Pan Tadeusz” von Andrzej Wajda. Wir beginnen mit Auszügen aus einem Interview mit dem Regisseur selbst und fahren dann mit Stimmen einiger Filmkritiker fort. Die Übersetzungen wurden zusammengestellt und übersetzt von Holger Politt.
(Interview in der Zeitschrift "Tygodnik Powszechny" vom 17. Oktober 1999)
TP: Die Verfilmung von "Pan Tadeusz" reiht sich ein in Ihre Adaptionen wichtiger Werke der polnischen Literatur, beginnend mit "In Schutt und Asche" (Zeromski) über "Die Hochzeit" (Wyspianski) bis zu "Das gelobte Land" (Reymont); absichtlich lasse ich bei dieser Aufzählung Iwaszkiewicz, Andrzejewski oder Borowski unbe-rücksichtigt. Doch damals sprachen Sie mit dem Zuschauer über Zwangslagen polnischer Geschichte an der Zensur vorbei. Heute haben wir eine andere Epoche, die Zensur haben wir bereits lange vergessen, man kann direkt aus-drücken was man meint. Weshalb also "Pan Tadeusz"?
Wajda: Vielleicht gerade deshalb, weil ich bei der Umsetzung des "Pan Tadeusz" zum ersten Mal nicht an irgendeinen politischen Kontext denken musste. Doch für wen habe ich das gemacht? Natürlich kann man schwerlich einen Film machen, der keine Zuschauer hätte, doch ich habe über Zuschauer nur in meiner Person nachgedacht. Zuerst stellte ich mir die Frage, ob ich selber zu einem solchen Film ins Kino gehen würde. Falls ja, dann muss noch überlegt werden, ob es einen anderen gäbe, der ihn vielleicht besser machen könnte. Als mir klar wurde, dass es einen solchen nicht gibt, machte ich mich an die Arbeit.
Diesmal dauerte der ganze Prozeß etwas länger. Seitdem ich den ersten Entwurf einer Adaption niedergeschrieben habe, sind beinahe drei Jahre vergangen, weil ich vor drei Jahren noch befürchtete, dass angesichts der das Kino überschwemmenden amerikanischen Produktion und der das amerikanische Kino imitierenden polnischen Produktion ein "Pan Tadeusz" sich wie kompletter Unsinn ausnehmen würde, etwas wäre, was sich auf keine Wirklichkeit reimen würde. Letztendlich freute ich mich jedoch mit dem Gedanken an, ein solcher Film könne nicht nur, son-dern er müsse geradezu entstehen. Ein wenig ist es das Verdienst meiner Freunde, der Schauspieler, der Equipe. Ich hörte von ihnen, die Situation ist wie sie ist, doch gerade deshalb solltest Du "Pan Tadeusz" drehen. Zeigen, dass es ein Publikum gibt, das anderes sehen möchte.
Allerdings versuchte ich nicht, über die Frage zu spekulieren, was das Publikum sehen möchte, denn so etwas führt gewöhnlich zu nichts. Das Publikum wünscht das zu sehen, was es bereits gesehen hat. Darauf stützt sich das Prinzip von "McDonald´s". Du hast einmal einen Hamburger gegessen, du magst ihn, du ißt ihn wieder. Die Kunst besteht jedoch darin, etwas anzubieten, was du noch nicht gegessen hast, was dir aber eventuell schmecken wird. Ein Versuch also, dessen Ergebnis sich niemals vorhersagen läßt. Ich dachte mir: Vielleicht ist ja gerade der Augenblick gekommen, sich der Vergangenheit zuzuwenden, sich die Frage zu stellen, wer wir sind und wohin wir gehen, in unsere Sprache einzutauchen, wo doch alle Beschriftungen längst auf Englisch lauten? Vielleicht hat eine solch uneigennützige Geschichte, aus der sich nichts für die Politiker ergibt, eine Chance? Wir werden sehen.
TP: Erneut grundlegende Fragen, allerdings bereits ohne die Notwendigkeit, epische Sprache zu gebrauchen.
Wajda: Etliche Male ist es mir im Leben gelungen, ein Publikum zu treffen, das genau auf diesen Film und auf keinen anderen wartete. Das war so mit "Der Kanal", mit "Asche und Diamant", mit "Der Mensch aus Marmor", mit "Das gelobte Land". Ähnlich war es mit "Das Birkenwäldchen" oder "Die Mädchen vom Wilkohof", die immerhin jeglichen politischen Akzent vermieden. Außerdem habe ich jetzt das Gefühl, dass ich in einem freien Land befreit bin von den Pflichten, die davor auf mir lasteten. Und ich wollte "Pan Tadeusz" für keinerlei Ziel missbrauchen: Auseinandersetzung mit den Linken, mit den Rechten, mit den Fehlern der Vergangenheit, mit den Schwächen der Gegenwart. Ich erkannte, dass ich ein Recht habe das alles von mir zu weisen, dass ich "Pan Tadeusz" nicht als Schlüssel zur Gegenwart auffassen muss. Es gibt ein Parlament, das sich mit den politischen Problemen Polens beschäftigen mag, es gibt einen freien Markt, der die ökonomischen Dinge besser oder schlechter reguliert, das Kino aber darf frei sein.
Was das heißt? Ganz einfach: Ich stelle das Mickiewicz-Werk so vor, wie ich es als freier Mensch heute lese. Einige Jahre früher las ich es bestimmt anders. Heute tue ich es mit Entzücken. Ich lese es als Bild aus einer vergangenen Welt, vor allem als epische Schöpfung, als eine, die nicht gerichtet ist gegen die einfältige Schlachta, die die Fehde durchführt, nicht gegen den lächerlichen Grafen, auch nicht gegen den Richter, der ja immerhin eine zwielichtige Gestalt ist ...
(Aus "Przegląd Tygodniowy", 20. Oktober 1999. Die Kritiker antworteten auf die Frage, ob sich Wajdas Film mit dem Meisterwerk von Mickiewicz vergleichen lässt.)
Jerzy Płażewski,
Filmkritiker ("Kino", "Film")
Es geht nicht darum, ob der Film den Vergleich mit dem Meisterwerk standhält, denn wenn es so wäre, würde der Text von diesem Augenblick an unwichtig werden, wichtig wäre nur noch der Film. Es geht darum, ob der Film das Werk repräsentiert. Wajdas "Pan Tadeusz" ist ein überaus gelungener Film. Er frischt die Aktualität, die polnische Wahrheit des Textes von Mickiewicz in gegenwärtigen Kategorien auf. Wajda vollzog mit der Zeit eine schmerzhafte Auswahl des Textes, ist es doch unmöglich, alle Wörter wiederzugeben, unmöglich, alle Fäden, alle Gestalten beizubehalten. Vielleicht werden einige Wajda vorwerfen, dass er die Sache dramaturgisch durchzog. Ich denke, er tat recht so. Der Film ist gut gespielt, alle Schauspieler, die renommierten wie die Debütanten gleichermaßen, folgten nahezu perfekt den Einfällen Wajdas.
Tadeusz Sobolewski, Filmkritiker ("Kino", "Gazeta Wyborcza")
Für mich ist der Begriff Meisterwerk relativ. Es geht darum, dass "Pan Tadeusz" zu einem Buch wird, das jeden erreicht, das den Nerv der Massen trifft. Ich denke, Wajdas Film wird das bewirken. Die Frage, ob der Film an das Meisterwerk des Dichters heranreicht, ist riskant. Ich sage statt dessen, dass Wajdas "Pan Tadeusz" zwar nicht an das Meisterwerk von Mickiewicz heranreicht, wohl aber an die besten Filme Wajdas ... Ich denke, "Pan Tadeusz" ist im Bewusstsein Wajdas immer gegenwärtig gewesen, der Regisseur fühlte sich seit langem zu ihm hingezogen und diese Reise hat sich jetzt erfüllt. Vielleicht wird Mickiewicz` "Pan Tadeusz" dank Wajda in Kürze zu einem griffbereitem Buch, in welchem wir öfter nachsehen werden. Wir werden es normaler behandeln, ohne Pathos, ohne in die Knie zu sinken. Es ist sehr bedeutsam, dass Wajda das Meisterwerk gewöhnlicher machte.
Bożena Janicka,
Filmkritikerin ("Kino")
Die so gestellte Frage klingt zu brutal, suggeriert sie doch, Wajda müsse als Künstler in einer Reihe mit Mickie-wicz stehen, falls nicht, wäre er durchgefallen. Deshalb muss zunächst daran erinnert werden, dass die Verfilmung eines literarischen Werkes eine Art Übersetzung in die Sprache einer anderen Kunstgattung ist, es also eigentlich darum geht, ob Wajdas "Pan Tadeusz" eine getreue Kopie des Originals oder ein hervorragender Film ist. Und in dieser Frage kann es keinen Zweifel geben: Es ist ein Film von großer Klasse, ein Ausnahmefall in unserem Kino. Er trägt den gesamten Zauber in sich, den die Dichtung durch das idyllische Bild der Kindheitslandschaft, durch die ganze spöttische Schärfe in der Zeichnung unserer nationalen Fehler ... hat. Er hat auch eine große emotionale Stärke, die erreicht, dass beim mehrmaligen Betrachten des Films (einmal reicht nicht aus) sich ein ähnliches Gefühl wie das von Tadeusz am Beginn des ersten Buches einstellt. Mit ihm gemeinsam kehren wir zurück in ein verlorenes Heim, das irgendwo im Unterbewusstsein der Polen besteht und ihnen allen gemein ist.
Zdzisław Pietrasik,
Filmkritiker ("Polityka")
Ein literarisches Meisterwerk ist nicht übersetzbar, einen
Film zu machen, der einem literarischen Meisterwerk gleichkommt, ist unmöglich.
Dennoch ist es gut, dass Wajda "Pan Tadeusz" drehte. Es wird der
letzte derartige polnische Film sein, es gibt kein weiteres Werk dieses Ranges
zu verfilmen. Wajda hat zum Glück der Versuchung widerstanden, das Dichtwerk
getreu auf die Leinwand zu übertragen. Ich befürchtete, nur schöne Bilder zu
Gesicht zu bekommen. Was wir im Kino sehen, ist nicht die Verfilmung des
"Pan Tadeusz", sondern ein Film nach dessen Motiven, in der Symbolik
und in den Bildern mehr in der Art von Wajda. Beide Künstler, Mickiewicz und
Wajda, sind bezaubert vom Polentum, allerdings auch kritisch. Trotz der Sehnsucht
nach Polen verwandte Mickiewicz bei der Zeichnung der Gestalten sehr viel
Sarkasmus, Kritik an der Streitsucht der Schlachta. Wajda spitzte das zu, ist
noch kritischer als der Dichter. Der Film ist wie der Ausflug in ein Museum, in
welchem wir die Porträts unserer Vorfahren sehen. Ich denke, Wajda wollte etwas
erzählen über das gegenwärtige Polen, über polnische Charaktere, Temperamente.
Es geriet ein wenig komisch, ein wenig unheimlich. Wajdas "Pan
Tadeusz" ist aber eine gute filmische Arbeit - sehr gute Bilder, ausgezeichnete
Musik. Konrad Zarębski, Filmkritiker
("Kino")
Das von Andrzej Wajda gemachte Werk (wer, wenn nicht er?) ist bildlich ein schöner Film, voll magischem Reiz, untermalt durch Wojciech Kilars Musik. Unter der Einschränkung jedoch, dass wir absehen von der dürftigen Handlung des Originals und uns erfreuen an den mit der Kamera von Pawel Edelman aus dem märchenhaften Hintergrund herausgezogenen Details. Ebenso an den durch Daniel Olbrychski, Andrzej Seweryn und Gra¿yna Szapolska herrlich vorgetragenen Versen. Und der Rest? Der Rest ist leider Schweigen, denn "Pan Tadeusz" hat sich als ein Werk erwiesen, das sich nicht verfilmen lässt, auch nicht in Form eines zweieinhalbstündigen Bildes.
Das Verfilmen von "Pan Tadeusz" ist absurd. Man könnte ebenso ein Kochbuch, das Telefonbuch oder Sonette verfilmen. Das würde gleichermaßen sinnlos sein. Das Dichtwerk ist ein Meisterwerk der Poesie und sollte es bleiben, doch es sollte nicht behandelt werden als armselige didaktische Hilfe.
Zygmunt Kałużyński, Filmkritiker ("Polityka")
Die Idee, "Pan Tadeusz" zu verfilmen, ist m. E. eine Verzweiflungstat des polnischen Kinos, das ohnmächtig gegenüber der Gegenwart ist und sich verzweifelt auf die Klassiker stürzt. Die ganze Atmosphäre der Prahlerei und der Begeisterung um Wajdas Film macht den Eindruck, als ob der Szene daran gelegen wäre, bei allen den Eindruck hervorzurufen, es vollziehe sich Wichtiges in unserem Kino - es passiert allerdings gar nichts. Diese Atmo-sphäre um den Film verfälscht unsere Meinung über ihn, ist eine Art moralischer Erpressung. Wajdas Film ist lediglich eine Illustration der Handlung, der Handlungsinhalt von "Pan Tadeusz" aber ist eine einfache Fabel über die Abrechnungen zweier verfeindeter Sippen. Doch Mickiewicz wollte keinesfalls eine feine Geschichte erzählen, die Handlung diente ihm als Vorwand. Der Inhalt des Poems von Mickiewicz ist die poetische emotionale Spannung, die aus seinem Bild von der verlorengegangenen Heimat strömt, was sich in der Vision ausdrückt, die erschaffen wird aus Dynamik und Anschaulichkeit des Wortes. Ein wichtiges Signal ist, dass die Festivalleitung in Cannes, obwohl sie Wajda verehrt, den Film für das Festival nicht akzeptierte. Auch außerhalb des Wettbewerbs wollte sie den Film nicht zeigen, was bezeugt, dass es sich um ein lokales Werk handelt, welches nur emotional vorbereitete Zuschauer anspricht.
Die Verbindung des Namens von Wajda mit dem Namen von Mickiewicz nötigt auf der Stelle Hochachtung ab. Leider besteht der Ehrgeiz der polnischen Filmemacher darin, hohe Töne anzuschlagen, um auf diese Weise gleichsam alle Diskussion zu beenden. "Pan Tadeusz", woran erinnert werden sollte, ist vor allem ein Werk zum Lesen und man kann mit keinen anderen Mitteln jene Werte der Dichtkunst von Mickiewicz wiedergeben, die das Wesen dieses Werks ausmachen. Und so kann auch die Adaptation von "Pan Tadeusz" nur das sein, was sie tatsächlich auch ist - eine Auswahl geeigneter Postkartenmotive zu den Versen von Mickiewicz. Vielleicht entsteht daraus ein besonderes Agglomerat, das die Kundschaft ergreifen wird. Allerdings ist das weder ein Gegenwartsfilm noch ein Werk, welches ernsthaft mit "Pan Tadeusz" verglichen werden könnte.