“Die Deutschen in Oberschlesien”

Von Martin Hollender

Allzu unwahrscheinlich ist das folgende Szenario nicht: Man sucht möglichst aktuelle Literatur zu den ethnischen Problemen Oberschlesiens, besucht eine wissenschaftliche Bibliothek und wählt als ersten Rechercheschritt die Suchanfrage “oberschles* AND deutsch*“. Ältere, augenblicklich chauvinistisch klingende Titel finden sich zuhauf, aber nur eine einzige zeitgenössische Studie wird angezeigt: eine Dissertation mit einem ebenso unverdächtigen wie umfassendem Titel, die momentan, im Februar 2000, doch immerhin schon in mehr als 30 deutschen Universitätsbibliotheken vorgehalten wird. Inhaltlich ist das Werk - im wesentlichen eine reportagehafte Aneinanderreihung von Einzelschicksalen der deutschsprachigen Oberschlesier der letzten 20 Jahre - kaum der Rede wert.

Sein wissenschaftliches Niveau ist frappierend gering und verlässt an keiner Stelle den Standard eines mit Archivmaterialien angereicherten subjektiven Berichts bzw. Verlaufsprotokolls. Methodische Ansätze, historische Fragestellungen, ein dialektisches ‘audiatur et altera pars‘ finden sich nirgends. Bereits der historische Überblick über die deutsch-schlesische Geschichte speist sich aus rechtsextremen Quellen der Verfasser Bolko v. Richthofen bzw. Rolf Kosiek und aus Publikationen des Tübinger Grabert-Verlages und macht die Position des Verfassers am äußersten Rand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinreichend deutlich. Die Wiedervereinigung Deutschlands als “Teilwiedervereinigung“ zu bezeichnen, verlässt den Boden wissenschaftlicher Seriosität; zu behaupten, die Bundesrepublik habe zugunsten Polens 1990 „Verzicht auf deutsche Ostgebiete“ geübt, ist eine Verletzung des politischen Geschmacks: Es steht Deutschland nicht an, großmütig Verzicht zu üben oder auch nicht, denn verzichten kann nur der, der territoriale Ansprüche geltend machen kann.

Historische Zusammenhänge und Dependenzen, die dem Weltbild des Verfassers nicht genehm sind, werden bewusst negiert. So wird eine geschichtsverfälschende Opferrolle Deutschlands stilisiert, die insbesondere im Hinblick auf die beiden Weltkriege und ihre Nachwirkungen ein mehr als schiefes Bild zeichnet. Dass die Abtrennung Ostoberschlesiens auch im Zusammenhang mit der ökonomischen Zergliederung des Kriegsverursachers Deutschland und der Zerschlagung der kriegswichtigen Montanindustrie gesehen werden muss, verschweigt der Verfasser (S. 38) ebenso wie die sog. “erste Vertreibung” der Polen durch die Deutschen. Die anschließende Tragödie der Vertreibung der Deutschen durch die Polen steht in einem historischen Abhängigkeitsverhältnis, das Breit gänzlich ignoriert (S. 62). Die unkritische und einseitige Glorifizierung des deutschen Einflusses auf Polen (S. 19f.) übergeht die Gräueltaten der Deutschen in und an Polen, die bei einer so detaillierten Schilderung der polnischen Unmenschlichkeiten, wie sie Breit unternimmt, doch zumindest erwähnt werden sollten (S. 64).

Die Veröffentlichung auch solcher Studien ist qua Meinungsfreiheit grundgesetzlich garantiert; dass man indes mit derlei Tendenzpublizistik promoviert werden kann, erstaunt. Nachvollziehbarer wird die Existenz einer solchen Dissertation mit Pamphletcharakter, betrachtet man den akademischen Betreuer ein wenig präziser: der Münchner Universitätsdozent Dr. phil. habil. Erwin Adler, gebürtiger Oberschlesier, gehört zur Riege der an der systematischen Judenvergasung Zweifelnden und erläutert in seinen Vorlesungen den “Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Folge polnischer Annexionsgelüste“ (vgl. Rainer Stephan, Süddeutsche Zeitung, 8. Mai 1996, S. 3). Diese Thesen seines Lehrers fanden dann unmittelbaren Einzug in die Studie des Verfassers: im Kapitel ‘Abriss der Geschichte Schlesiens‘ wird der deutsche Angriffskrieg damit erklärt und entschuldigt, die Polen seien auf “keines der zahlreichen Angebote von deutscher Seite, den Danzig-Konflikt auf friedliche Weise beizulegen, eingegangen“. Wenn der Verfasser schließlich behauptet, die Vertreibung der Deutschen besitze “genozidalen Charakter“, ist endlich auch das Maß der Beleidigung der Opfer des Holocaust erreicht.

Da die verwendete Forschungsliteratur ihre Provenienz nahezu ausschließlich im Umfeld der  Vertriebeneninstitutionen hat, liegt die Stimmungsmache gegen deutsche Finanzhilfen an Polen (S. 76, 131) ebenso nahe wie (statt des Wortes “Polen”) die Verwendung des Kampfbegriffs vom ‘polnischen Machtbereich‘. Bedenklich stimmen weiterhin die Ausfälle gegen die F.D.P. und ihre Repräsentanten Genscher, Kinkel  und Möllemann, die als Lügner (S. 130), als untreu (S. 102), als Verräter und zumindest moralische Verbrecher (S. 148, 207) vorgeführt werden. Die hier vorgebrachten Unterstellungen streifen die üble Nachrede.

Die Zitierweise des Verf. ist zutiefst uneinheitlich, ungelenk, irreführend und kaum aussagekräftig. Störend wirkt sich vor allem aus, wenn überflüssigerweise in jeder wissenschaftlichen Bibliothek vorhandenes Druckschriftenmaterial den Zusatz “Archiv L.d.O, Ratingen“ erhält.

Die topographischen Angaben (S. 15-16) wie auch die Kartenbeigaben am Ende des Buches sind überflüssig und vermutlich den kartenkundlichen Vorlieben des Doktorvaters (“Einführung in das Kartenverständnis”, Ansbach 1959 u.ö.) geschuldet.

Die Arbeit besitzt eher den Charakter einer bewusst einseitig parteiergreifenden Stellungnahme und ist weit entfernt vom zu erwartenden Niveau einer abwägend-dialektischen Dissertation. Es bleibt zu hoffen, dass das Werk in Polen möglichst unbekannt bleibt, denn der Verfasser vermag es, das überwunden geglaubte Zerrbild des ‘hässlichen deutschen Revanchisten‘ mit neuem Leben zu füllen.

Breit, Holger: Die Deutschen in Oberschlesien, München: Grafik + Druck Pöllinger 1998. - 239, [12] S. : Kt. - Teilw. zugl.: München, Univ., Diss., 1998.

 

(Der Autor der Buchrezension, Dr. Martin Hollender, ist Direktionsassistent an der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz)