Polen und wir – 3/2000 –  Seite 12

Kurznachrichten aus Polen

Ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz wurde am 29. Juni durch den Sejm verabschiedet. Entsprechend diesem Gesetz ist Pole, wer polnische Eltern hat oder  einer Mischfamilie entstammt wie auch jeder, der in Polen geboren wurde. Ein Ausländer kann die polnische Staatsangehörigkeit erhalten, wenn er seit fünf Jahren in Polen lebt, Polnisch spricht, Arbeit hat und keine Bedrohung für den polnischen Staat darstellt.

83% der Polinnen und Polen vertrauen dem öffentlichen Radio am meisten, laut einer Umfrage im März dieses Jahres durch das Meinungsforschungsinstitut OBOP, 78% dem Präsidenten, 76% dem öffentlichen Fernsehen und der Armee 74%. Am wenigsten Vertrauen haben sie zur “Solidarność”.

Russland und Polen wollen ihre Beziehungen wieder normalisieren, so verabredeten die beiden Präsidenten Kwaśniewski und Putin auf dem Staatsbesuch Kwaśniewskis in Russland am 10. Juli 2000. Zuvor wurde Polen vom Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates Russland, Sergej Iwanow, als wichtiger Europäischer Partner bezeichnet.

Die Stettiner Werft “Stocznia Szczecińska S.A. ist der drittgrößte Exporteur Polens. Ein Arbeiter verdient dort im Schnitt 3000 Zł monatlich, d.h. etwa 50% mehr als der durchschnittliche Arbeitnehmer Polens. Zur Zeit hat die Werft 31 Aufträge in einer Gesamthöhe von 2,4 Mrd. DM, die die Beschäftigung für die nächsten zwei Jahren sichern. “Eigentlich sind wir in einer besseren Lage als die Werften der EU-Staaten, weil wir uns ohne Subventionen auf dem Weltmarkt durchschlagen mussten und konnten.”, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Marek Talasiewicz.

Ein festes Beitrittsdatum für die Kandidaten der EU will die britische Regierung auf dem Ende des Jahres stattfindenden EU-Gipfel in Nizza festlegen lassen. Der polnische Außenminister Władysław Bartoszewski begrüßte bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel im Juli diesen Vorstoß des britischen Außenministers Robin Cook. Seit zwei Jahren finden die Verhandlungen mit sechs Beitrittskandidaten, darunter Polen, statt. Forderungen nach Nennung fester Beitrittsdaten sind bisher von der EU verweigert worden.

Ein polnischer Soldatenfriedhof wurde im August in Katyn für die im März und April 1940 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD getöteten 4421 polnischen Offiziere eröffnet. Teilnehmer waren u.a. der polnische Premierminister Buzek und der stellvertretende Premier-minister Russlands, Wiktor Chrystienko.

Die bisher staatliche polnische Telefongesellschaft Telekomunikacja Polska verkaufte 35% seiner Aktien an ein Konsortium, das aus der France Telekom und der Kulczyk Holding besteht. Dieser strategische Partner bezahlte für dieses Aktienpaket 18,6 Mrd. Zł.

Die staatliche Eisenbahngesellschaft PKP wurde vom Sejm mit den Stimmen von AWS und UW zu einem Unternehmen in Staatshand mit dem Ziel der späteren Privatisierung umgewandelt.

55% der Polinnen und Polen unterstützen den Papst bei seiner Entschuldingung für die Verbrechen gegenüber den Jüdinnen und Juden im Namen der katholischen Kirche, so eine Umfrage des Meinungs-forschungsinstituts CBOS im Juli dieses Jahres. 8% meinen, der Papst habe sich zu stark, 3% zu wenig für die Schuld der Christinnen und Christen entschuldigt. 75% erklärten, dass sie in der Vergangenheit auf antijüdische Äußerungen stießen, gleichzeitig erklärten 70%, dass sie keinen persönlichen Kontakt mit Jüdinnen und Juden hatten. Als Ergebnis der umfangreichen Befragung stellte CBOS fest, das mindestens die Hälfte der polnischen Bevölkerung offen für den Aufbau neuer Beziehungen zwischen der jüdischen und polnischen Bevölkerung ist.

Im Alter von 81 Jahren starb der Schriftsteller Gustaw Herling-Grudziński in Neapel. Herling-Grudziński lebte nach dem II. Weltkrieg in Italien und war während der Zeit der Volksrepublik mit der Opposition und der Emigration verbunden, v.a. mit der Pariser “Kultura”. “Für meine aus der demokratischen Opposition um KOR und Solidarność stammenden Generation der Jahre 1980-1989 war Herling besonders als linker antitotalitärer Anhänger der polnischen Unabhängigkeit attraktiv”, schreibt der Journalist Adam Szostkiewicz in der Polityka zum Tode Herlin-Grudzińskis.

In Polen wächst die Inflation: so betrug die Preissteigerungsrate im Monat 11,6%, das ist die höchste Steigerungsrate seit zwei Jahren.

Ein frustriertes Land, so die Überschrift in der Gazeta Wyborcza, zeigt die “Gesellschaftsanalyse 2000”, die im August vorgestellt wurde. Als Bedingung für ein gelungenes Leben bezeichneten 64% gute Gesundheit, 60% glückliche Ehe, 45 Kinder, 41% genügend Geld, 33% eine feste Arbeit und 16% Gottes Vorsehung. Deutlich zufrieden sind sie mit ihren Kindern, der Ehe, den Familienbeziehungen, auch mit dem Arbeitsplatz. Weniger zufrieden sind sie mit der Gesamtfinanzsituation der eigenen Familie und der eigenen Zukunftsperspektive. Am Unzufriedensten sind sie mit der Situation des Landes: Regierung, Sicherheit, Politik.

Das polnische Außenhandelsdefizit ist immer noch hoch, obwohl es in diesem Jahr deutlich langsamer wächst als im letzten Jahr. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wuchs der Export um 11,9% und erreichte die Höhe von 14,7 Mrd. $, der Import stieg dagegen nur um 9,7% an und erreichte ein Volumen von 23,5 Mrd. $.

Das polnische Parlament debattiert über ein Gesetz zur allgemeinen Privatisierung. Damit sollen alle Bürgerinnen und Bürger, die bisher von den Privatisierungen ehemaliger Staats- und Genossenschaftsunternehmen ausgeschlossen waren, einen Anteil am ehemaligen Volksvermögen bekommen. Die erste Vorlage wurde im Sejm mit den stimmen der rechten Regierungspartei AWS sowie von PSL und anderen rechten Abgeordnetenkreisen verabschiedet. Während im Parlament v.a. die rechten Parteien und Gruppen dieses Gesetz wollen, wird es von großen Teile der Bevölkerung als politisches Spiel abgelehnt, so 58% bei einer Umfrage im August durch das Meinungsforschungsinstitut OBOP. Nur 38% halten demnach eine allgemeine Privatisierung für notwendig.

Ende August wurden in Polen anlässlich des 20. Jahrestages des Augustabkommens von 1980 eine Reihe von Feierlichkeiten organisiert. Dieses in der Danziger Werft am 31. August 1980 unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung und den Vertretern der Streikenden war der entscheidende Schritt zur wenige Wochen später erfolgten Zulassung der Gewerkschaft Solidarność. Das diesjährige Jubiläum drohte durch die Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb und außerhalb der Solidarność diskreditiert zu werden, aber in letzter Minute wurde das verhindert. So wurde nach heftiger Diskussion in der polnischen Presse und im Sejm in eine Resolution des Parlaments zur Würdigung des Augustabkommens nachträglich der Name von Lech Wa³êsa eingefügt. Ebenso wurden zur zentralen Feier in der Danziger Werft nachträglich noch die Liste der Eingeladenen ergänzt.

Auch in Polen wurden die Ligaspiele der ersten und zweiten Fußballliga an einen einzigen Fernsehsender verkauft: an TV Canal+. Die Vereine bekommen von dem Verkauf jeweils zwischen 1,3 Mil. und 1,7 Mil. DM.