Auf den Spuren von Willy Brandt

Gerhard Schröder zum 30. Jahrestag des Warschauer Vertrages in der polnischen Hauptstadt

Von Karl Forster

In Polen war das Foto damals gar nicht erschienen, in Deutschland hatte es für Aufregung gesorgt. Bei einer Kranzniederlegung vor den Bronzefiguren des Denkmals für die Teilnehmer am Ghetto-Aufstand in Warschau hatte sich Willi Brandt auf die Knie niedergelassen. Einer der mitgereisten Reporter notierte seinerzeit: “Dann kniet er, der das nicht nötig hat, für alle die, die es nötig haben, aber nicht knien - weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können.“ Dabei war diese Szene tatsächlich nur eine Geste am Rande eines wichtigen Ereignisses: Der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Poen über die Normalisierung ihrer Beziehungen.

 

Exakt 30 Jahre danach sollte daran immerhin erinnert werden, wo doch die Öffentlichkeit in Deutschland und Russland schon den Jahrestag des Moskauer Vertrages im August verschlafen hatte. Und über die Architekten der Ostpolitik, Willi Brandt und Egon Bahr hatte das ganze Jahr über niemand gesprochen - bis zum Dezember, als Kanzler Gerhard Schröder sich zu einem Blitzbesuch nach Warschau aufmachte. Diese Reise, die anders als seinerzeit der Kniefall von Willi Brandt medienwirksam inszeniert war, stand doch immer in der Gefahr, zu einer Propaganda-Tour für die EU-Osterweiterung zu werden.

Begleitet von einem großen Aufgebot an Prominenz reiste Schröder nach Osten. Ex-Außenminister Scheel und Brandts damalige Ehefrau, die Schriftsteller Grass und Lenz, Parlamentarier und sogar neun Jugendliche, die im vergangenen Jahr an Austauschprojekten des deutsch-polnischen Jugendwerkes teilgenommen hatten, gehörten zu der Gruppe die im Kanzler-Jet mitreisen durften.

In Warschau hatte Schröder großes Programm. Er sprach vor beiden Häusern des polnischen Parlaments, legte zwei Kränze nieder, eröffnete eine Willi-Brand-Ausstellung im Königsschloss und enthüllte eine Gedenktafel die an die Kniefall-Szene erinnern soll auf einem kleinen Denkmal am Rande der Freifläche am früheren Ghetto. Der Platz vor der Gedenktafel wurde gleich noch nach Willi Brandt benannt. Später dann schlug Schröder im Seim vor, in Polen ein „Willy-Brandt-Zentrum für Deutschlandstudien“ zu errichten.

Bei alledem ist sicher beachtenswerter als die deutsche Beteiligung, dass das offizielle Polen damit aus der zehnjährigen Lobhudelei auf Helmut Kohl, den einzigen und wahren Polen-Freund heraustrat und sich an Brandts Ostpolitik erinnerte. Das konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Polen heute noch viel Unwissenheit über den wichtigen Vertrag von 1970 herrscht. Wie anders ist es zu verstehen, wenn die wichtige „Gazeta Wyborcza“ in ihrem Leitartikel schreibt: “Der Vertrag, den Brandt und Premier Józef Cyrankiewicz am 7. Dezember 1970 in Warschau unterzeichnet haben, bedeutete die Anerkennung der polnischen Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße durch Bonn sowie den Verzicht auf jegliche territoriale Forderungen, das heißt den Verzicht Westdeutschlands auf Forderungen nach einer Rückgabe der ehemals deutschen Gebiete im Osten, die in Folge des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen waren: Ostpreußen, Schlesien und Pommern“.

In seiner Rede versuchte Schröder an Brandt anzuknüpfen, sprach im Sejm klare Worte zur deutschen Schuld und Verantwortung, aber auch zu dem Aufbruch, der damals vor 30 Jahren begann. Doch sofort war da auch wieder der Hinweis, dass ja die Europäische Union jetzt mit der frühestens für 2003, spätestens für 2006 erwarteten Mitgliedschaft Polens die Vollendung dessen sei, was mit der Ostpolitik begonnen habe. Und so schloss er den Bogen zu Beginn seiner Rede beim Treffen mit Premier Buzek, in der er den am folgenden Tag stattfindenden EU-Gipfel für die Ost-Erweiterung in die Pflicht nahm. Zuvor hatte der polnische Premierminister deutlich gemacht, dass auch für ihn das Thema EU-Beitritt das beherrschende ist.

Die deutliche Würdigung der Ostpolitik erfolgte aber zu diesem 30. Jahrestag nicht in Warschau, sondern bei einer Veranstaltung am Vorabend der Schröder-Reise im Berliner Außenministerium. Vor ausschließlich geladenem Publikum schilderte der eigentliche Architekt der Ostpolitik, Egon Bahr, die Situation damals 1970. Seine Einordnung war unmissverständlich und auch seine Haltung bis heute, dass Verzicht auf Gewalt und Kriegseinsatz das Mittel war, das seinerzeit den Durchbruch ermöglichte, der letztlich auch zum Mauerfall führte. Konsequent spielte Jugoslawien eine wichtige Rolle in seinem Beitrag. Bahrs Beitrag führte dann gar zu der Bemerkung von Gastgeber Außenminister Fischer, dass Bahrs Positionen jetzt genug Stoff für eine spannende Diskussion geliefert hätte. Schon aus der Diktion Fischers wurde deutlich, dass ihm die Fähigkeit zu Visionen oder auch nur zum Verstehen von Visionen eines Willy Brandt abgeht.

(Auszüge aus der Rede von Egon Bahr auf Seite 4)