TYGODNIK
POWSZECHNY: Wie bewerten Sie das Verhältnis der Kirche zu den Wahlen – sowohl
den Präsidentschafts- als auch den Parlamentswahlen – in der letzten
Amtsperiode?
BISCHOF TADEUSZ PIERONEK: Der offizielle Standpunkt des
Episkopats hat sich deutlich entwickelt und das in eine gute Richtung: Seit dem
Katzenjammer nach der Katholischen Wahlaktion haben wir uns immer stärker und
wirkungsvoller von jeder Art von Druck gelöst, irgendwelche Personen oder
Parteien zu unterstützen. Die Konferenz des Episkopats beschränkt sich jetzt
nur noch darauf, die Prinzipien und moralischen Eigenschaften aufzuzeigen, die
ein Kandidat vertreten sollte. Leider haben sich nicht alle Bischöfe und
Priester an diese Entwicklung gehalten. Die letzten Tage der diesjährigen
Kampagne haben an die Atmosphäre erinnert, die vor fünf Jahren herrschte.
Diesmal ging es um die sogenannte Affäre von Kalisz [s. Artikel zur Präsidentschaftswahl,
S.4-d.Red.], 1995 um den Magistertitel [als Kwaśniewski fälschlich
behauptete, er habe einen Magisterabschluss], den Aleksander Kwaśniewski
nicht besitzt. Beide Kampagnen waren am Ende sehr verbissen. Den Emotionen
unterlagen auch Vertreter der Kirche, die den einen Kandidaten verherrlichten
und den anderen verdammten, dabei vergessend, dass wir im Evangelium so recht
keine Aufrufe zur Verdammung finden. Sehr seltsam, dass Emotionen so weit gehen
können, dass sie entweder Personen in eine solche Höhe heben, von der aus man
schon keinen Menschen mehr, sondern nur noch Engel sieht; oder dass sie Personen
so tief hinabstoßen können, dass man nur Teufel sieht.
Haben Sie davon gehört, dass von der Kanzel zur
Unterstützung eines konkreten Politikers aufgerufen wurde?
Ich
habe davon gehört: Sowohl jetzt als auch früher. Vor fünf Jahren habe ich
selbst gesagt, dass ich für Wa³êsa stimmen werde. Es schien mir, als könne ich
meine Privatmeinung äußern, aber kurz darauf begriff ich, dass ich einen Fehler
begangen hatte. In der letzten Kampagne habe ich ebenfalls Bischöfe im
Fernsehen gesehen, die gesagt haben: Den muss man unterstützen, das ist ein
anständiger Mensch. Ich finde, das ist schon ein Überschreiten dessen, was die
Kirche tun kann. Jeder Bischof und Priester ist natürlich Staatsbürger und hat
das Recht auf Meinungsfreiheit, aber im Rahmen dieses Rechtes existiert noch
der Verzicht auf bestimmte irdische Angelegenheiten, der damit zu tun hat, dass
man den Weg gewählt hat, das Evangelium zu verkünden. Die Kirche hat nach dem
Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich gesagt: Wichtiger als irdische
Angelegenheiten ist für den Priester das Evangelium; deshalb muss man davon
absehen, eigene staatsbürgerliche Präferenzen auszudrücken, denn diese können
das Bild der Kirche bei den Menschen beeinflussen, die mit der Politik befasst
sind. Ich berufe mich ständig auf das Seminar meines alten Rektors Karol
Koz³owski, der sagte: „Unsere Politik ist das Vaterunser.“ Dieser Grundsatz ist
nicht nur zu Zeiten des Kommunismus aktuell (der Kommunismus lehrte uns
stillzuhalten), sondern auch in Zeiten der Freiheit. Wird er eingehalten, so
wird niemand dem Priester vorwerfen, er verkünde das Evangelium für Geld.
Politik hat oft mit dem Kampf um Macht und Geld zu tun ...
Haben Sie die Kundgebung für die Eigentumsübertragung
gesehen? Die Demonstration begann mit einer Messe, in deren Predigt von
Rosaroten und Kommunisten aus der Freiheitsunion gesprochen wurde; danach wurde
dazu aufgerufen, für Marian Krzaklewski zu stimmen ...
Was
andererseits kurios war, denn derjenige, der die Predigt hielt, war ein
Vertreter von Radio Maryja und sollte Jan Łopuszański unterstützen,
legt man die These zugrunde, die dieser Radiosender vertritt. Aber im Ernst:
Egal über wen er gesprochen hätte, er hat den Ort missbraucht. Das ist ein
typischer Missbrauch der Kirche und eine Schande für die Religion. Denn wo kann
man schlimmer beleidigen als dort, wo man zur Verkündung des Evangeliums, der
Botschaft der Liebe, aufgerufen ist, aber mit der Sprache des Hasses spricht
und Menschen bespuckt?
Und
was Radio Maryja betrifft: Ist das nicht interessant? Der Sender hat – wie er
selbst behauptet – sechs Millionen Hörer, und Łopuszański erhält 0,8
Prozent? Radio Maryja unterstützt Łopuszański, Łopuszański
redet von „Polen ohne Europa“ und der „Europäischen Union ohne Polen“, die
Hörer hören das, glauben aber nicht daran und sagen klar „Nein“.
Das ist eine optimistische Interpretation. Eine andere
besagt, dass Radio Maryja Łopuszański überhaupt nicht unterstützt hat
...
In
der letzten Etappe, als man sah, dass es schon nichts mehr zu unterstützen
gibt, wechselte man zu Krzaklewski über.
Während der Kampagne war laut von einer polemischen
Auseinandersetzung zwischen Ihnen und Bischof Jarecki zu hören; dabei ging es
um eine Stellungnahme der Katholischen Aktion, dass „ein erklärter Atheist nicht
würdig sei, von einem gläubigen Menschen unterstützt zu werden“. Eine heikle
Frage ...
Die
Frage ist deshalb heikel, weil ich nicht darüber sprechen kann, was auf der
Konferenz des Episkopates war. Und wenn Bischof Jarecki darüber spricht, dann
habe ich keine Möglichkeit zu widersprechen.
Ist die Angelegenheit auch heikel, weil sie die Frage
aufwirft, ob das Bekenntnis eines Kandidaten nicht ein Kriterium für dessen
Bewertung sein kann?
Das
ist eines der Kriterien, aber überhaupt nicht das entscheidende. Man kann sich
ein Land vorstellen, in dem die Katholiken in der Minderheit sind und keinen
Kandidaten haben, den sie aus konfessionellen Erwägungen unterstützen könnten.
Sollen sie nicht wählen gehen? Das
grundlegende Kriterium ist die Kompetenz eines Kandidaten sowie seine
Aufrichtigkeit. Wenn wir den Grundsatz der Religionsfreiheit annehmen, dann
müssen wir – ob uns das gefällt oder nicht – akzeptieren, dass die Werte, zu
denen sich ein Mensch bekennt, nicht immer den Werten entsprechen werden, zu denen
sich ein anderer bekennt. Wenn ein Nichtgläubiger oder – wie Kwaśniewski
von sich sagt – „Suchender“ sich bemüht, gewählt zu werden, und seine
Einstellung zur Religion verheimlicht, so ist das um vieles schlimmer als eine
Situation, in der er sagt, wer er ist.
Das Bekenntnis kann entscheidend sein, wenn wichtige
Entscheidungen zu treffen sind, z.B. in der Frage eines Gesetzes gegen
Abtreibung.
Natürlich.
Ideal ist eine Situation, in der ich einen Kandidaten habe, der in denselben
Kategorien denkt, sich zu demselben Glauben bekennt und hinreichend kompetent
ist, aber wir wissen aus Erfahrung, dass eine solche Situation selten eintritt.
Die Formel „Katholik wählt Katholiken“ ist also nicht zu
halten ...
Für
deren Verwendung wurde Erzbischof Michalik schon 1991 kritisiert. In den
Folgejahren wurde diese Formel auch in katholischen Kreisen ausreichend
erörtert und ausreichend isoliert – dahin brauchen wir nicht zurückzukehren.
Erzbischof Michalik selbst hat vor den Wahlen davor gewarnt, Hass und Unwillen
gegenüber Menschen zu zeigen, die andere politische oder religiöse Ansichten
vertreten.
Das, was in Kalisz passiert ist, ist moralisch eindeutig
zu bewerten. Das Problem besteht darin, dass die Kommentare der Bischöfe die
Wahlen zu einem Test, wie man zum Papst steht, emporgehoben haben. Man hat
gesagt, dass es nicht erlaubt sei, einen Mann zu wählen, der den Papst
beleidigt ...
Das
Videoband aus Kalisz war eine Art Brausetablette. Wenn das alles ohne Zischen
und Schaum vor sich gegangen wäre, wenn das in einer anderen Zeit aufgetreten
wäre, hätte es einen anderen Charakter angenommen. Natürlich war es Pflicht der
Journalisten, das Band zu veröffentlichen; eine Pflicht, die sich in dem Moment
ergab, als jemand in den Besitz des Videobandes gelangte. Zum anderen darf man
nichts verkürzen und das Verhalten von Siwiec [der Präsidentenberater-d.Red.]
mit dem Küssen des Bodens durch den Papst in Verbindung bringen. Ein
aufdringlicher Kommentar schafft sofort Assoziationen, die bewirken, dass die
Tablette zischt.
Verkürzungen ändern nichts an der Tatsache jenes
Verhaltens ...
Aber
sie verändern die Schärfe der Wirkung. Und die Schärfe der Wirkung diente
Wahlkampfzwecken. Natürlich war der Vorfall von Kalisz selbst unappetitlich.
Ich will keine Einschätzung abgeben, ob das eine bewusste Provokation, eine
Albernheit oder ein geschmackloser Scherz war. Der Präsident selbst sagt, dass
das dumm war. Man muss ihm zustimmen: Das war dumm, das ist Personen nicht
erlaubt, die ein solches Amt bekleiden, und dazu in einem solchen Moment – wenn
man zu seinen Parteifreunden fährt, nach Kalisz, nach dem Papstbesuch, der
voller Überschwang erlebt worden ist.
Das
Verhalten des Präsidenten muss man folglich negativ bewerten, aber die
Verurteilung eines Menschen ist eine Sache, zu der wir nicht berufen sind. Ich
hoffe hingegen, dass die Politiker aus dieser Lektion den Schluss ziehen, dass
sie nicht nur auf Worte, sondern auch auf Gesten achten müssen.
Kommen wir auf die Kommentare der Bischöfe zurück. Wenn
man zuerst den Gläubigen sagt, dass man keinen Kandidaten wählen dürfe, der den
Heiligen Vater beleidige, dann aber die Mehrheit von ihnen ohne Bedenken einen
Kandidaten wählt, der den Heiligen Vater beleidigt, so läuft dies darauf
hinaus, dass die Menschen bewusst den Papst beleidigen.
Oder
sie geben dem Kandidaten ein Misstrauensvotum, der die Kirche zu politischen
Zwecken instrumentalisiert. Instrumentalisierung ist auch eine Form der
Beleidigung der Größe, die das religiöse Denken, religiöse Gefühle und der
Glaube darstellen.
Ich
sage es so: Ein Katholik sollte Verantwortung für die Gestaltung des
gesellschaftlichen Lebens aufweisen. Insofern kann er genauso
verantwortungsvoll sein, wenn er Kwaśniewski wählt, weil ihn die Dinge,
die dessen Gegner tut, stärker beunruhigen. Das sind doch subjektive
Empfindungen und Urteile.
(...)
So ähnlich kann man das bewerten, was er über Jan
Nowak-Jeziorański und Erzbischof Zyciński gesagt hat: Dass diese
kleingeistige Menschen seien.
Das
wurde wohl in dem gleichen emotionalen Zustand ausgesprochen, in dem diese
beiden ihre Dinge gesagt hatten.
(...)
Die
Kirche sollte über Grundsätze sprechen. Und sie sollte eine solche Kultur des
politischen Lebens schaffen, in der die Menschen sich von dem trennen, was
nicht mit dem Evangelium zu vereinbaren ist.
In diesem Wahlkampf hat es viele Lügen gegeben.
Eigentlich hat sie niemand richtiggestellt: So als hielten wir ihr Vorhandensein
für etwas Selbstverständliches.
Alles
hängt davon ab, für wen wir uns halten. Wenn wir uns für Christen halten, so
sollten wir bei der Wahrheit bleiben - sogar wenn wir mit totaler Kritik
konfrontiert werden. Die Wahrheit ist ein Wert, der befreit. Vielleicht
verhilft sie uns nicht zur Macht, aber sie gibt das Gefühl einer erfüllten
Pflicht, was Christen ausreichen sollte. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
Ein Mensch, der sich im politischen Leben an die Soziallehre der Kirche halten
will, kann nicht aggressiv sein. Er kann der Gegner, der Kontrahent eines
anderen sein, nicht aber dessen Feind. Und er sollte Mittel anwenden, die zu
ihm passen.
Ist es nach Wahlkämpfen, die die Spaltung Polens
verursachen, Aufgabe der Kirche, der Versöhnung zu dienen?
Der
Dienst an der Versöhnung ist einer der grundlegenden Dienste der Kirche. Das
ist die Versöhnung des Menschen mit Gott. Erst durch die Versöhnung des Menschen
mit Gott kann man Brücken zwischen Menschen bauen. Die Politiker sollen sich
selbst versöhnen. Wenn der Mensch mit Gott versöhnt ist und Gott vertraut hat,
dann wird er schon klarkommen. Er wird nicht sagen: Zieht ihr euch alle zurück,
stellt mich an die Spitze, und dann werde ich für Ordnung sorgen. Der
christliche Grundsatz drückt sich in einer volkstümlichen Redensart aus: „Sitz
in der Ecke, und wenn du gut bist, finden sie dich.“ Das ist leider schwierig,
denn ein guter Mensch wird sich niemals vordrängen, auch wenn er gerne etwas
für Polen tun würde. Es gab gute Kandidaten für das Präsidentenamt, aber die
Parteien konnten sich nicht einigen.
Wird es vor den
Parlamentswahlen ähnlich sein? Präsident und Parlament mit der gleichen
Präferenz – das ist für die Demokratie ungesund.
Das
ist vor allem Sache der Politiker, die sich für die Parlamentswahlen aufstellen
lassen. Was ein paar Tage nach den Wahlen zu sehen ist, stimmt eher nicht
optimistisch: Immer noch sieht man Gerangel. Jemand hat große Verdienste ...
Große Verdienste - das ist viel, aber ob mit ihnen die Gabe einhergeht, eine
sinnvolle Gruppierung zu schaffen, attraktiv genug für die Polen, dass sie
sagen: Ja, wir können ihm vertrauen, denn er hat sich als Mensch und Politiker
bewährt.
aus:
Tygodnik Powszechny, Nr. 43 vom 22. Oktober 2000;
Übersetzung: Mark Brüggemann
Wir dankender Redaktion von
Tygodnik Powszechny für die Erlaubnis. Das Interview wurde nur leicht
gekürzt.