Unsere Politik ist das „Vaterunser“

Mit Bischof Tadeusz Pieronek sprechen Priester Adam Boniecki und Michał Okoński

 

TYGODNIK POWSZECHNY: Wie bewerten Sie das Verhältnis der Kirche zu den Wahlen – sowohl den Präsidentschafts- als auch den Parlamentswahlen – in der letzten Amtsperiode?

BISCHOF TADEUSZ PIERONEK: Der offizielle Standpunkt des Episkopats hat sich deutlich entwickelt und das in eine gute Richtung: Seit dem Katzenjammer nach der Katholischen Wahlaktion haben wir uns immer stärker und wirkungsvoller von jeder Art von Druck gelöst, irgendwelche Personen oder Parteien zu unterstützen. Die Konferenz des Episkopats beschränkt sich jetzt nur noch darauf, die Prinzipien und moralischen Eigenschaften aufzuzeigen, die ein Kandidat vertreten sollte. Leider haben sich nicht alle Bischöfe und Priester an diese Entwicklung gehalten. Die letzten Tage der diesjährigen Kampagne haben an die Atmosphäre erinnert, die vor fünf Jahren herrschte. Diesmal ging es um die sogenannte Affäre von Kalisz [s. Artikel zur Präsidentschaftswahl, S.4-d.Red.], 1995 um den Magistertitel [als Kwaśniewski fälschlich behauptete, er habe einen Magisterabschluss], den Aleksander Kwaśniewski nicht besitzt. Beide Kampagnen waren am Ende sehr verbissen. Den Emotionen unterlagen auch Vertreter der Kirche, die den einen Kandidaten verherrlichten und den anderen verdammten, dabei vergessend, dass wir im Evangelium so recht keine Aufrufe zur Verdammung finden. Sehr seltsam, dass Emotionen so weit gehen können, dass sie entweder Personen in eine solche Höhe heben, von der aus man schon keinen Menschen mehr, sondern nur noch Engel sieht; oder dass sie Personen so tief hinabstoßen können, dass man nur Teufel sieht.

Haben Sie davon gehört, dass von der Kanzel zur Unterstützung eines konkreten Politikers aufgerufen wurde?

Ich habe davon gehört: Sowohl jetzt als auch früher. Vor fünf Jahren habe ich selbst gesagt, dass ich für Wa³êsa stimmen werde. Es schien mir, als könne ich meine Privatmeinung äußern, aber kurz darauf begriff ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. In der letzten Kampagne habe ich ebenfalls Bischöfe im Fernsehen gesehen, die gesagt haben: Den muss man unterstützen, das ist ein anständiger Mensch. Ich finde, das ist schon ein Überschreiten dessen, was die Kirche tun kann. Jeder Bischof und Priester ist natürlich Staatsbürger und hat das Recht auf Meinungsfreiheit, aber im Rahmen dieses Rechtes existiert noch der Verzicht auf bestimmte irdische Angelegenheiten, der damit zu tun hat, dass man den Weg gewählt hat, das Evangelium zu verkünden. Die Kirche hat nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich gesagt: Wichtiger als irdische Angelegenheiten ist für den Priester das Evangelium; deshalb muss man davon absehen, eigene staatsbürgerliche Präferenzen auszudrücken, denn diese können das Bild der Kirche bei den Menschen beeinflussen, die mit der Politik befasst sind. Ich berufe mich ständig auf das Seminar meines alten Rektors Karol Koz³owski, der sagte: „Unsere Politik ist das Vaterunser.“ Dieser Grundsatz ist nicht nur zu Zeiten des Kommunismus aktuell (der Kommunismus lehrte uns stillzuhalten), sondern auch in Zeiten der Freiheit. Wird er eingehalten, so wird niemand dem Priester vorwerfen, er verkünde das Evangelium für Geld. Politik hat oft mit dem Kampf um Macht und Geld zu tun ...

Haben Sie die Kundgebung für die Eigentumsübertragung gesehen? Die Demonstration begann mit einer Messe, in deren Predigt von Rosaroten und Kommunisten aus der Freiheitsunion gesprochen wurde; danach wurde dazu aufgerufen, für Marian Krzaklewski zu stimmen ...

Was andererseits kurios war, denn derjenige, der die Predigt hielt, war ein Vertreter von Radio Maryja und sollte Jan Łopuszański unterstützen, legt man die These zugrunde, die dieser Radiosender vertritt. Aber im Ernst: Egal über wen er gesprochen hätte, er hat den Ort missbraucht. Das ist ein typischer Missbrauch der Kirche und eine Schande für die Religion. Denn wo kann man schlimmer beleidigen als dort, wo man zur Verkündung des Evangeliums, der Botschaft der Liebe, aufgerufen ist, aber mit der Sprache des Hasses spricht und Menschen bespuckt?

Und was Radio Maryja betrifft: Ist das nicht interessant? Der Sender hat – wie er selbst behauptet – sechs Millionen Hörer, und Łopuszański erhält 0,8 Prozent? Radio Maryja unterstützt Łopuszański, Łopuszański redet von „Polen ohne Europa“ und der „Europäischen Union ohne Polen“, die Hörer hören das, glauben aber nicht daran und sagen klar „Nein“.

Das ist eine optimistische Interpretation. Eine andere besagt, dass Radio Maryja Łopuszański überhaupt nicht unterstützt hat ...

In der letzten Etappe, als man sah, dass es schon nichts mehr zu unterstützen gibt, wechselte man zu Krzaklewski über.

WÄHLEN UND KONFESSION

Während der Kampagne war laut von einer polemischen Auseinandersetzung zwischen Ihnen und Bischof Jarecki zu hören; dabei ging es um eine Stellungnahme der Katholischen Aktion, dass „ein erklärter Atheist nicht würdig sei, von einem gläubigen Menschen unterstützt zu werden“. Eine heikle Frage ...

Die Frage ist deshalb heikel, weil ich nicht darüber sprechen kann, was auf der Konferenz des Episkopates war. Und wenn Bischof Jarecki darüber spricht, dann habe ich keine Möglichkeit zu widersprechen.

Ist die Angelegenheit auch heikel, weil sie die Frage aufwirft, ob das Bekenntnis eines Kandidaten nicht ein Kriterium für dessen Bewertung sein kann?

Das ist eines der Kriterien, aber überhaupt nicht das entscheidende. Man kann sich ein Land vorstellen, in dem die Katholiken in der Minderheit sind und keinen Kandidaten haben, den sie aus konfessionellen Erwägungen unterstützen könnten. Sollen sie nicht wählen gehen?  Das grundlegende Kriterium ist die Kompetenz eines Kandidaten sowie seine Aufrichtigkeit. Wenn wir den Grundsatz der Religionsfreiheit annehmen, dann müssen wir – ob uns das gefällt oder nicht – akzeptieren, dass die Werte, zu denen sich ein Mensch bekennt, nicht immer den Werten entsprechen werden, zu denen sich ein anderer bekennt. Wenn ein Nichtgläubiger oder – wie Kwaśniewski von sich sagt – „Suchender“ sich bemüht, gewählt zu werden, und seine Einstellung zur Religion verheimlicht, so ist das um vieles schlimmer als eine Situation, in der er sagt, wer er ist.

Das Bekenntnis kann entscheidend sein, wenn wichtige Entscheidungen zu treffen sind, z.B. in der Frage eines Gesetzes gegen Abtreibung.

Natürlich. Ideal ist eine Situation, in der ich einen Kandidaten habe, der in denselben Kategorien denkt, sich zu demselben Glauben bekennt und hinreichend kompetent ist, aber wir wissen aus Erfahrung, dass eine solche Situation selten eintritt.

Die Formel „Katholik wählt Katholiken“ ist also nicht zu halten ...

Für deren Verwendung wurde Erzbischof Michalik schon 1991 kritisiert. In den Folgejahren wurde diese Formel auch in katholischen Kreisen ausreichend erörtert und ausreichend isoliert – dahin brauchen wir nicht zurückzukehren. Erzbischof Michalik selbst hat vor den Wahlen davor gewarnt, Hass und Unwillen gegenüber Menschen zu zeigen, die andere politische oder religiöse Ansichten vertreten.

EINE BRAUSE-TABLETTE

Das, was in Kalisz passiert ist, ist moralisch eindeutig zu bewerten. Das Problem besteht darin, dass die Kommentare der Bischöfe die Wahlen zu einem Test, wie man zum Papst steht, emporgehoben haben. Man hat gesagt, dass es nicht erlaubt sei, einen Mann zu wählen, der den Papst beleidigt ...

Das Videoband aus Kalisz war eine Art Brausetablette. Wenn das alles ohne Zischen und Schaum vor sich gegangen wäre, wenn das in einer anderen Zeit aufgetreten wäre, hätte es einen anderen Charakter angenommen. Natürlich war es Pflicht der Journalisten, das Band zu veröffentlichen; eine Pflicht, die sich in dem Moment ergab, als jemand in den Besitz des Videobandes gelangte. Zum anderen darf man nichts verkürzen und das Verhalten von Siwiec [der Präsidentenberater-d.Red.] mit dem Küssen des Bodens durch den Papst in Verbindung bringen. Ein aufdringlicher Kommentar schafft sofort Assoziationen, die bewirken, dass die Tablette zischt.

Verkürzungen ändern nichts an der Tatsache jenes Verhaltens ...

Aber sie verändern die Schärfe der Wirkung. Und die Schärfe der Wirkung diente Wahlkampfzwecken. Natürlich war der Vorfall von Kalisz selbst unappetitlich. Ich will keine Einschätzung abgeben, ob das eine bewusste Provokation, eine Albernheit oder ein geschmackloser Scherz war. Der Präsident selbst sagt, dass das dumm war. Man muss ihm zustimmen: Das war dumm, das ist Personen nicht erlaubt, die ein solches Amt bekleiden, und dazu in einem solchen Moment – wenn man zu seinen Parteifreunden fährt, nach Kalisz, nach dem Papstbesuch, der voller Überschwang erlebt worden ist.

Das Verhalten des Präsidenten muss man folglich negativ bewerten, aber die Verurteilung eines Menschen ist eine Sache, zu der wir nicht berufen sind. Ich hoffe hingegen, dass die Politiker aus dieser Lektion den Schluss ziehen, dass sie nicht nur auf Worte, sondern auch auf Gesten achten müssen.

Kommen wir auf die Kommentare der Bischöfe zurück. Wenn man zuerst den Gläubigen sagt, dass man keinen Kandidaten wählen dürfe, der den Heiligen Vater beleidige, dann aber die Mehrheit von ihnen ohne Bedenken einen Kandidaten wählt, der den Heiligen Vater beleidigt, so läuft dies darauf hinaus, dass die Menschen bewusst den Papst beleidigen.

Oder sie geben dem Kandidaten ein Misstrauensvotum, der die Kirche zu politischen Zwecken instrumentalisiert. Instrumentalisierung ist auch eine Form der Beleidigung der Größe, die das religiöse Denken, religiöse Gefühle und der Glaube darstellen.

Ich sage es so: Ein Katholik sollte Verantwortung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens aufweisen. Insofern kann er genauso verantwortungsvoll sein, wenn er Kwaśniewski wählt, weil ihn die Dinge, die dessen Gegner tut, stärker beunruhigen. Das sind doch subjektive Empfindungen und Urteile.

(...)

So ähnlich kann man das bewerten, was er über Jan Nowak-Jeziorański und Erzbischof Zyciński gesagt hat: Dass diese kleingeistige Menschen seien.

Das wurde wohl in dem gleichen emotionalen Zustand ausgesprochen, in dem diese beiden ihre Dinge gesagt hatten.

(...)

DER ZWECK HEILIGT NICHT DIE MITTEL

In welcher Sprache sollte die Kirche über Politik sprechen?

Die Kirche sollte über Grundsätze sprechen. Und sie sollte eine solche Kultur des politischen Lebens schaffen, in der die Menschen sich von dem trennen, was nicht mit dem Evangelium zu vereinbaren ist.

In diesem Wahlkampf hat es viele Lügen gegeben. Eigentlich hat sie niemand richtiggestellt: So als hielten wir ihr Vorhandensein für etwas Selbstverständliches.

Alles hängt davon ab, für wen wir uns halten. Wenn wir uns für Christen halten, so sollten wir bei der Wahrheit bleiben - sogar wenn wir mit totaler Kritik konfrontiert werden. Die Wahrheit ist ein Wert, der befreit. Vielleicht verhilft sie uns nicht zur Macht, aber sie gibt das Gefühl einer erfüllten Pflicht, was Christen ausreichen sollte. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Ein Mensch, der sich im politischen Leben an die Soziallehre der Kirche halten will, kann nicht aggressiv sein. Er kann der Gegner, der Kontrahent eines anderen sein, nicht aber dessen Feind. Und er sollte Mittel anwenden, die zu ihm passen.

Ist es nach Wahlkämpfen, die die Spaltung Polens verursachen, Aufgabe der Kirche, der Versöhnung zu dienen?

Der Dienst an der Versöhnung ist einer der grundlegenden Dienste der Kirche. Das ist die Versöhnung des Menschen mit Gott. Erst durch die Versöhnung des Menschen mit Gott kann man Brücken zwischen Menschen bauen. Die Politiker sollen sich selbst versöhnen. Wenn der Mensch mit Gott versöhnt ist und Gott vertraut hat, dann wird er schon klarkommen. Er wird nicht sagen: Zieht ihr euch alle zurück, stellt mich an die Spitze, und dann werde ich für Ordnung sorgen. Der christliche Grundsatz drückt sich in einer volkstümlichen Redensart aus: „Sitz in der Ecke, und wenn du gut bist, finden sie dich.“ Das ist leider schwierig, denn ein guter Mensch wird sich niemals vordrängen, auch wenn er gerne etwas für Polen tun würde. Es gab gute Kandidaten für das Präsidentenamt, aber die Parteien konnten sich nicht einigen.

Wird es vor den Parlamentswahlen ähnlich sein? Präsident und Parlament mit der gleichen Präferenz – das ist für die Demokratie ungesund.

Das ist vor allem Sache der Politiker, die sich für die Parlamentswahlen aufstellen lassen. Was ein paar Tage nach den Wahlen zu sehen ist, stimmt eher nicht optimistisch: Immer noch sieht man Gerangel. Jemand hat große Verdienste ... Große Verdienste - das ist viel, aber ob mit ihnen die Gabe einhergeht, eine sinnvolle Gruppierung zu schaffen, attraktiv genug für die Polen, dass sie sagen: Ja, wir können ihm vertrauen, denn er hat sich als Mensch und Politiker bewährt.

aus: Tygodnik Powszechny, Nr. 43 vom 22. Oktober 2000; Übersetzung: Mark Brüggemann

Wir dankender Redaktion von Tygodnik Powszechny für die Erlaubnis. Das Interview wurde nur leicht gekürzt.