Eine Deutsche reiste nach
Polen
oder: “Träumen Sie manchmal
Polnisch?”
Polen im Herbst, im Herbst der Frankfurter Buchmesse 2000, bei der das Land Ehrengast war. Dieser Herbst führte mich mit der polnischen Ausgabe des “Polnischen Journals” in das Land (der passende polnische Buchtitel: “Niemka jedzie do Polski”, .d.h. Eine Deutsche fährt nach Polen): Durch den Süden zwischen Breslau und Krakau reiste ich mit meiner Übersetzerin Anna Wziątek, später allein nach Posen und Lodsch. Mein Buch kam also in das Land, das sein Thema ist.
Am 3. Oktober servierten Gleiwitzer Gymnasiasten des
Allgemeinbildenden Lyzeums Nr. 2 dem deutschen Gast nach der Lesung Kuchen mit
schwarzrotgoldenem Zuckerguss. Auch ein paar Fähnchen waren aufgestellt: “Wir
sind das Volk!” In einem Land, das über ein Jahrhundert geteilt war und später
ganz von der europäischen Landkarte gelöscht werden sollte, hat man Sinn für
einen “Tag der Vereinigung”, wie ihn die Polen nennen. Sprachlichliterarische
Fragen standen dagegen im Krakauer Goethe-Institut im Vordergrund - inklusive
des Exkurses eines alten Herren, sicher Oberschlesiers, der eine korrekte
Übersetzung “Schlesischer Klöße” anmahnte. Ja, Oberschlesien ist eine ganz
eigene Region...
Da saß dann ja auch - vor allem in Strzelce Opolskie/ Groß
Strehlitz, meinem ‘Eislingen auf polnisch’ - der eine oder andere “Held” des
Buches im Publikum. (Was heißt das: in einem Buch vorkommen?). Mancher
Funktionär der deutschen Minderheit freilich schien den Seinen empfohlen zu
haben, den Lesungen der “Landsmännin” fernzubleiben. Racibórz/ Ratibor oder
auch Strzelce Opolskie/ Groß-Strehlitz - da vermisste ich die Deutschen. Im
Kulturhaus von Strzelce sagte jemand zu mir, wegen des “Polnischen Journals”
habe es “viel böses Blut gegeben”. Erfolgte jetzt dafür eine Abstrafung? Freilich
denkt die Autorin, bei allem Wunsch nach Verstehen, im Buch auch kritisch über
manche politische Idee im Kreise der Minderheit nach. Ein Diskurs über
strittige Passagen des Buches kam also nicht zustande. Vielleicht später? Es
täte uns gut.
Vom “Tag der Vereinigung” zum “Tag der Unabhängigkeit”. Am
11. November feiert Polen seine 1918 wiedergewonnene Staatlichkeit. Tatsächlich
reiste ich ja dauernd auch durch polnische Geschichte - Krakau z.B. war zur
Teilungszeit österreichisch, in Posen, damals preußisch, fand meine Lesung im
wuchtig kalten Stadtschloss statt, das Kaiser Wilhelm II. hat erbauen lassen.
Im zur Teilungszeit russischen Lodsch richtete später Nazideutschland eines der
fürchterlichsten Ghettos ein. Und Breslau ist als Folge des von Deutschen
ausgelösten Krieges eine polnische Stadt geworden. Wundert es da, dass mich in
Posen ein älterer Journalist fragte, ob die Polen noch Angst vor den Deutschen
haben müssten? Und wie unsere Länder das 21. Jahrhundert miteinander bestehen
werden?
Aber das war nur ein Aspekt. Viel sprachen die Zuhörer nach
den Lesungen darüber, wie fruchtbar es sei, sich selbst einmal von außen
dargestellt zu sehen. Sind wir Polen so? Und wie sehen wir eigentlich euch
Deutsche? Halten auch die Polen der deutschen Autorin einen Spiegel vor? Worin
unterscheiden sich unsere Völker überhaupt? Werden die Unterschiede nicht
übertrieben? Darüber diskutierten wir besonders lebhaft bei der von der Lodscher
Literaturzeitschrift “Tygiel Kultury” d.h. Kultureller Tiegel initiierten
Lesung, und es fiel auch der unselige Begriff der “deutschen Leitkultur”, auf
den man sensibel reagiert. Und welche Rolle spielt beim Nachdenken über diese
Fragen die Literatur? Was bedeutet das Erlernen der Sprache? Ein Student in
Oppeln: Wieso haben Sie Polnisch gelernt, lohnt sich das denn? Er schien zu
staunen, dass die deutsche Schriftstellerin seine Sprache schlicht und einfach
schön findet und aus “Spaß an der Freud” sprechen können möchte.
Endlich die hübschen Kleinigkeiten, an die sich der heimgekehrte Reisende so gerne erinnert: Etwa daran, wie mir Mitglieder der “Solidarność” an der Lodscher Universität den gläsernen Bierkrug schenkten, als Erinnerung an meine Teilnahme an ihrem Fest anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Gewerkschaft - und dass er nun wirklich heil hier zuhause in Eislingen steht. Oder die kluge Frage einer jungen Polin: Träumen Sie manchmal schon polnisch? Zuletzt: Nach der Lesung eines ironisch-huldigenden Textes über polnische Männer lud ein alter Herr schmunzelnd, sich gleichsam im voraus für seine eventuell missverständliche Äußerung entschuldigend, die Autorin herzlich zu sich ein - damit sie einmal die wahren Qualitäten der polnischen Männer kennen lerne. Lachen im Saal des Kattowitzer Schriftstellerverbandes. Vielleicht ist gemeinsames Lachen sowieso für gegenseitige Beziehungen das Beste? Daran sollten wir denken, wenn in den kommenden Jahren die deutsch-polnische Partnerschaft auf manche Probe gestellt wird.