Die Polnische Diskussion in Polen über den 11. September 2001 und seine Folgen

 

Die Ereignisse nach dem 11. September führten auch in Polen zu einer breiten Diskussion. Einig ist man sich dabei in der allgemeinen Verurteilung des Anschlages auf das World Trade Center (WTC) und das Pentagon als verbrecherische Aktion. Unterschiede ergeben sich aber dann, wenn über die tieferen Gründe für den Anschlag, seine eventuellen Ursachen diskutiert wird und über das Ausmaß der Reaktion der westlichen Welt auf diesen Anschlag. Deutlich kann man dabei erkennen, dass die Auseinandersetzung entlang der Konfliktlinie verläuft: “Die westliche Demokratie ist eine offene und tolerante Gesellschaft ohne Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Kulturen “ oder “Sie ist ein starker, demokratisch-autoritärer und anderen Kulturen gegenüber überlegener Kulturstaat“. Dabei finden auch innerpolnische Auseinandersetzungen um Nationalismus und Kulturrassismus ihren Niederschlag. Die Diskussion in Polen wird durch die Dokumentation von Auszügen aus einigen Artikeln von Polityka (linksliberale Wochenzeitung – Gründung 1956), Rzeczpospolita (konservativ-liberale Tageszeitung – Gründung 1990) und Tygodnik Powszechny (liberale katholische Wochenzeitung – Gründung 1945) exemplarisch nähergebracht. Ergänzt werden sie durch Auszüge aus einer Rede des neuen Ministerpräsidenten der Republik Polen, Leszek Miller, auf dem SPD-Bundesparteitag am 19.11. 2001. Die ńbersetzungen aus dem Polnischen stammen von Wulf Schade.

 

 

Die Erde in Blut ertränken und das Paradies gewinnen

(...)Unter der allgemeinen Zahl der terroristischen Aktionen im letzten Jahrzehnt wächst systematisch der Anteil terroristischer Aktionen, die gegen die Vereinigten Staaten gerichtet sind. Für viele extremistische islamische Organisationen ist die USA die Verkörperung des Bösen, der Verursacher des Unglücks: Armut, Gewalt, wirtschaftliche und kulturelle Eroberung. (...) Die Ereignisse des 11.Septembers waren (...) eine erschütternde Bestätigung der Furcht, die allgemein seit Ende des Kalten Krieges existierte. Nichtsdestotrotz wird nicht der vor den Augen von Millionen Zuschauern stattgefundene Einsturz des WTC entscheiden, ob die Weltgeschichte neue Wege beschreiten wird, sondern die Reaktion der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeter auf dieses Geschehen. (...)

Man kann (...) bereits heute mindestens drei Dilemmas skizzieren, von deren Lösung es abhängt, ob der 11. September der Beginn einer fortschreitenden globalen Destabilisierung ist, oder ob er ein weiteres symbolisches Datum sein wird - nach Ende des Kalten Krieges – für ein gelungenes Examen der Demokratie.

Schlüsselfragen

Seit Jahrzehnten ist die treibende Kraft für den Konflikt zwischen der islamischen Welt und dem Westen der israelisch-palästinensische Konflikt. Nach der amerikanischen Tragödie verstärkte Israel die polizeiliche und militärische Unterdrückung gegen die Palästinensische Autonomie. (...) Von der Fähigkeit, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen, hängt der Manövrierspielraum bei der Bildung einer antiterroristischen Liga zusammen mit Staaten aus der islamischen Welt ab.

Es ist äußerst wahrscheinlich, dass das Ziel der ersten Vergeltungsschläge das Territorium Afghanistans sein wird, das von den Taliban regiert wird, die Unterschlupf und Schutz den wahrscheinlichen Autoren der Anschläge (...) gewähren. Um das möglich zu machen, benötigen die Vereinigten Staaten die vollständige Unterstützung Pakistans; auf lange Sicht könnte sich das als eine absorbierendere und schwierigere Aktion erweisen als die antiterroristische Operation selbst (...). Eine Destabilisierung Pakistans, eines Atomwaffen besitzenden Staates, könnte katastrophale Folgen für die gesamte Region Mittelasiens, aber auch für die gesamte Welt haben. (...)

(...) Es wäre naiv zu meinen, dass die Vergeltungsschläge ohne Opfer von statten gingen oder auch ohne Risiko für die Mitgliedsstaaten des antiterroristischen Bünd-nisses. Die ersten Reaktionen des Nordatlantikpaktes zeigen eine Entschlossenheit zur Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, nichtsdestotrotz kann sich im Laufe der Zeit, aber auch durch das Wachsen der Gefahr diese Bereitschaft abschwächen. Solch ein Szenarium würde zu einem faktischen Niedergang der Bedeutung der NATO als europäische Sicherheitssäule führen. Solche Zwiespältigkeiten wie sie oben ausgeführt wurden, gibt es mit Sicherheit noch mehr. Von ihrer Lösung wird die Gestalt der Welt abhängen, in der wir leben werden. Ein ist sicher: Die Effektivität des Kampfes gegen den Terrorismus darf nicht, unabhängig vom Ausmaß der Gefahr, zur Annullierung von Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates führen. Und das ist vielleicht die größte Zwiespältigkeit, mit der sich unsere Zivilisation abwägend auseinandersetzen muss.

[Michał Komar, Bartłomiej Sienkiewicz, Krwawiąc ziemie, zdobyć niebo, Tygodnik Powszechny Nr. 38 v. 23. 9.2001]

                                                                                                                                                              

 

Gegen das Abwälzen der Schuld

Nicht lange musste man warten, bis die modernen westlichen Intellektuellen den Anschein von Anständigkeit ablegten und vollständig ihre ursprüngliche Gestalt annahmen. Gerade mal zwei, drei Tage nach dem Angriff auf Amerika waren sie bereits wieder auf der anderen Seite des Ufers, tatkräftig propagierten sie den Relativismus und Antiamerikanismus. Hitzig machten sie sich an das Schreiben von Artikeln darüber, dass keineswegs die Terroristen, sondern  – was vorherzusehen war – Amerika durch seine kapitalistische Dekadenz, Arroganz, sein imperialistisches Streben nach Herrschaft über die Welt und ähnliche Verbrechen die Verantwortung für die terroristische Attacke am 11. September trüge. Solche Aussagen sind zum Glück in der absoluten Minderheit, aber mit der Zeit beginnen sie sich zu vermehren. (...)

Es gibt keine Grauzone

Am elften September brach ein Krieg aus und zwar zwischen der Zivilisation und der Barbarei. Die Teilung ist klar. Es wurden Linien gezeichnet, die man nicht überschreiten kann. Zwei Welten: Wir und Sie. Es gibt keine Grauzone. Für jeden redlichen Bürger ist klar, auf welcher Seite er steht. Es gibt kein „Ja, aber“. Die Terroristen haben gar keine berechtigten Gründe. Sie verdienen keinerlei Verständnis. Nichts rechtfertigt sie. Sie kämpfen nicht als Verteidiger der unterdrückten Völker dieser Welt; sie kämpfen nicht, um „sie vom Leid zu befreien“. Sie kämpfen gegen alle Werte, auf die sich unsere Zivilisation stützt. Gegen die Demokratie. Gegen die Kultur. Für ihre eigenen Ziele. Und das Ziel ist Macht. Es gibt hier kein Recht auf beiden Seiten. Es gibt keine „gemeinsame Schuld“, „gemeinsame Scham“, „gemeinsame Verantwortung“. (...)

Es gibt hier auch keine Schuld des westlichen Imperialismus, der Globalisierung, der Kolonialzeit, mit einem Wort: des unterdrückerischen Westens gegen die Unglücklichen dieser Welt. (...) Nein. Es ist höchste Zeit, um mit den postmodernen Zirkel subtiler Phrasen aufzuhören. Genug damit.

Wer ist schuld?

Ja, es gibt Mitschuldige - aber total andere. Es sind diejenigen, die – feststellend, dass sie im Namen der Demokratie, der Freiheit und des Friedens handeln – den Terroristen, Diktatoren, Despoten und totalitären Regimes das Leben erleichtern; die die uns schwächen. Sie sind es, die die Vernichtung unserer Zivilisation verursachen, die Vernichtung unserer und ihrer, falls wir den Kampf gegen die Barbarei verlieren. (...) Es sind die sich zum Marxismus hinwendenden Postmodernisten, Grünen, Antiglobalisten, einseitige Abrüstung Fordernden, (es schien so, als sei Schluss mit ihnen, und jetzt sind es wieder dieselben, mit denselben vergilbten Friedensplakaten), Antiimperialisten, Antikapitalisten, Ökologen, Friedensredner, Antirassisten. Die, die sich grämen über die Unterjochung der Welt durch den Imperialismus und die Schuld für alles Unglück auf die Vereinigten Staaten und die Weltbank wälzen. (...)

Falsche Gleichheit

Diejenigen, die feststellen, dass alle Kulturen gleichberechtigt und gleichzeitig unvergleichbar seien. Diejenigen, die die Freiheit des Wortes in den Demokratien ausnutzen, in denen sie leben, um sie ständig in Misskredit zu bringen. (...) Als ob sie vergessen hätten, welche Rolle Amerika während des Zweiten Weltkrieges spielte. Als ob sie nicht wüssten, dass sie nur Dank Amerika in Freiheit und Demokratie leben und Amerika und die westlichen Demokratie anzuspucken können. (...)

Wie der Terrorismus gerechtfertigt wird

Heute ist moralische Klarheit und moralische Disziplin notwendig. Notwendig ist eine offensive Bejahung der wichtigsten Werte unserer westlichen, jüdisch-christlichen, demokratischen Welt.  (...) Ein moderner Relativismus ist hier nicht nur nicht am Platz, er ist eine Gefahr. Unsere heilige Pflicht ist jetzt die Loyalität gegenüber Amerika und unserer Zivilisation.

[Agnieszka Kołakowska, Przeciw rozmazywaniu winy, Rzeczpospolita , 4.10.2001]

 

Die Welt in Schockzustand

Rote Fingernägel der Oriana Falaci

 (...) Die Situation unserer Welt im Herbst dieses Jahres des beginnenden Jahrtausends würde ich so beschreiben: Sie schwebt zwischen der Wirklichkeit einer bestimmten Ordnung und einem Raum des Chaos, in dem alles denkbar ist, weit über unsere Vorstellungskraft hinausgehend, verlassen von wirksamen Schemata der Welterkenntnis und seiner Ereignisse, so versinken wir ins Leere, in ein Loch, das die modernistische Elite vor mehr als einhundert Jahren entsetzt hat und jetzt unter Teilnahme von uns allen Wirklichkeit wurde. (...)

Schreckliche Stämme des Jahu

Sagen wir es gerade hinaus: Fallaci („die berühmte italienische Schriftstellerin“) versucht angesichts – wie sie selbst schreibt – „des Kreuzzuges soweit es geht umgekehrt den Geist des Sendungsbewusstseins des Westens wieder zu beleben. (...) Gegenüber den Ereignissen am tragischen amerikanischen Dienstag bleibe uns, so ihre Meinung, eine Antwort: alles Beiseite stellen und sich zu sammeln unter der Fahne mit Gesang und Ergriffenheit, die einem die Gurgel zuschnürt. Das, was die Grundlagen der uns bekannten Welt erschütterte, ist nicht ein kategorischer Aufruf zum Überdenken unserer Geschichte und Politik, ist kein Grund zum Überlegen (unabhängig von bereits begonnenen Kriegsaktionen); direkt umgekehrt betont die italienische Schriftstellerin, dass die Medizin gegenüber dem Bösen darin bestehen muss, noch entschiedener alles zu wiederholen, was war. Dass dabei Fallaci nicht alleine steht, beweisen andere Beispiele. Aus den Spitzen der polnischen Kirchenhierarchie ereilen uns Worte der Warnung vor denen, „vor denen uns Jan III. Sobieski gerettet hat“, und ein Professor der Philosophie rät uns ebenfalls zur Anpassung an die Mentalität eines Kreuzzüglers. (...)

Ich befürchte jedoch, dass Fallaci sich sehr darin täuscht, wenn sie ausschließlich der islamischen Kultur Tendenzen zur Entwicklung solcher Verhaltensweisen [dass sich Menschen über den Terroranschlägen gegen das WTC freuen - d. Übersetzer] zuschreibt. (...) Die Geschichte des Westens liefert Beispiele von Eliten, die Kunstwerke und hervorragende Gemächer stifteten, aber die am meisten der Anblick der Vierteilung eines Körpers erfreute. Die schrecklichen Bilder des wie Glasknochen einbrechenden stählernen Gebäudes und die sich darüber freuenden Menschen lehren mich, dass unsere Vorsicht und Verdächtigung nicht gegen Katholiken, Protestanten oder Muslime gerichtet sein darf, sondern gegenüber einem Menschen, der die Kultur grundlegender Verpflichtungen vergessen hat, die lehrt, dass man nicht alles denken darf, und daraus folgernd, dass nicht alles durchgeführt werden darf.  (...)

Westlicher Fundamentalismus

Wer die Pflicht zur tiefen Reflexion über die Auswahl und Werte der eigenen Kultur mit Schimpfwörtern (...) gegen den Kontrahenten Beiseite schiebt (...), der ist der Sünde der extremen Ideologisierung des Denkens schuldig, einer Sünde, die man gerade eben seinem Gegner vorwarf. Gerade diese Ideologisierung verurteilt uns zur Undurchdringbarkeit der Grenzen, die die Kulturen und Völker abgrenzen, zwischen denen, die haben, und denen, die aus Mangel an Allem sterben. Dieser Isolationismus herrscht im Text von Fallaci vor. Kultur bedeutet ihrer Meinung nach nicht eine Domäne der Verständigung und der Gastfreundschaft, sondern ein Pool von Verhaltensweisen und Symbolen, der es erlaubt, sich von anderen zu isolieren. Die Formel Fallacis lautet wie folgt: Mein Haus ist der Ort, aus dem ich ohne zu überlegen alles rausschmeiße, was nicht zu mir gehört. Eine so verstandene Kultur von „unserem Haus“ tyrannisiert und monopolisiert unser Leben, in dem sie es zu intellektueller und geistiger Faulheit verurteilt (...). Sie vertieft sich nicht mehr in Ursachen, weshalb sie (die arabischen Flüchtlinge nach Europa - d. Übers.) flüchten, sie unterzieht dem Erbe, das die europäische Ordnung in diesen Ländern nach dem Ende der kolonialen Epoche zurückließ, keiner Analyse. Ausdrücklich will ich feststellen: nichts rechtfertigt diejenigen, die die mörderischen Flüge (...) befahlen und ausführten; für diese Tat gibt es keine Rechtfertigung (...). Aber unabhängig von Armeeoperationen sind wir es den Tausenden von Opfern schuldig, zumindest einen kleinen Augenblick ernsthafte Überlegungen über das Funktionieren unserer Gesellschaft anzustellen, denn das, was in Amerika geschah, geschah schließlich nicht außerhalb ihres Gebietes. (...)

Medizin oder Gift

(...) Ihr (Fallacis – d. Übers.) letztes Postulat lautet wie folgt: verteidigen wir unsere Kultur („hinter unserer Zivilisation steht Homer, Sokrates, Platon, Aristoteles, Fidiasz“, aus offensichtlich demagogischen Gründen erinnert Fallaci nicht an etliche weniger sympathische Namen, die nicht weniger bedeutsam für unsere Kultur stehen), verteidigen wir unsere Sitten („unsere Art zu essen, trinken, sich zu kleiden, zu vergnügen und Informationen weiterzugeben; verteidigen wir, dass wir lieben können, wann wir wollen, wo wir wollen und wen wir wollen“), verteidigen wir das alles, was sich unter unserer Fahne vereint. (...), aber das was die Schriftstellerin tatsächlich interessiert, ist die Fahne als Symbol für den Geist als Einheit des Volkes. Wir betonen: Volk und nicht das einzelne Individuum. (...)

Es ist jedoch nicht diese Idealisierung Amerikas in der Haltung der Schriftstellerin gefährlich; es geht uns nicht um die Schwächung der Bewunderung für die Unbeugsamkeit der Amerikaner. Wenn jedoch Fallaci das Bild der wehenden Fahne auf Europa übertragen will, beginnen wir im Text die Anwesenheit des Gespenstes des Nationalismus zu sehen. (...) Ich zittere, wenn die „berühmte italienische Schriftstellerin“ über den „Rüpel“ schreibt, der „allgemein nicht weiß, welches die drei Farben (der italienischen Nationalfahne – TS.) sind“, und der von sich selbst sagt, „ich bin Lombarde“. Ich zittere, denn es sind doch diese Personen, die sich als lokale Menschen betrachten, Menschen, die im Interesse ihrer Provinz, ihres Stadtteils, ihrer Straße arbeiten, die die Hoffnung der Welt sein werden. (...) In der Weltgeschichte hat die Fahne zu oft den Menschen eliminiert und die Funktion des Leichentuches übernommen. (...)

Ich teile nicht Fallacis Glauben an eine nationalistische Aufwallung als Weg, die Welt aus der Situation des Schockzustandes herauszuführen. Das Bild der Freiheit für die Bürger, die der Schatten der Fahne zu garantieren hat, verwandelte sich zu oft in der Geschichte zu einer schrecklichen Karikatur. Entgegen der Aufforderung der italienischen Schriftstellerin wissen wir, dass sogar die Liebe für Ziele, die durch die Fahnenweihe und den nationalen Nutzen geheiligt wurden, ausgenutzt wurden, die nicht immer gute Ziele waren.

[Tadeusz Sławek, œwiat w zawiesieniu, Czerwone paznokcie Oriany Fallaci, Tygodnik Powszechny Nr. 42 v. 21.10.2001]

 

 

 

 

Ein Patriot fragt nicht

(...) Die amerikanischen Journalisten sind enttäuscht, weil der Sekretär des Verteidi-gungsministers, Donald Rumsfeld, vorher feierlich versprach, dass er „sie nicht belügen werde“, aber sich unterdessen auf kurze Mitteilungen beschränkte und auf die meisten Fragen keine Antwort gab. Die Generäle und Admiräle rechnen allgemein vor, was sie bombardierten – immer werden „Flughäfen, zentrale Führungs- und Kommandozentren, Munitionslager, Schulungslager für Terroristen“ genannt – aber sie informieren nicht, welche Schäden amerikanische Bomben und Raketen anrichteten. (...)

Erfahrene Journalisten beschränken sich selbstverständlich nicht auf die offiziellen Konferenzen, sie haben ihre eigenen Quellen und ihre Presseinformationen über nächtliche Truppenlandungen in Afghanistan gehen etwas über das hinaus, was die Sprecher sagen wollten. Auf einem der Briefings warnte ein irritierter Rumsfeld dann auch streng die Informanten aus den Regierungskreisen, dass sie ein Verbrechen begehen würden und die Sicherheit der Soldaten wie auch das Gelingen der Aktion gefährden würden (es ging dabei um die erste inoffizielle Nachricht über die gerade stattgefundene Truppenlandung). (...)

Die Bush-Equipe kontrollierte von Beginn an genauer als die vorherige den Informa-tionsfluss nach Außen, denn das Pentagon stand mit den Journalisten schon seit langem auf Kriegsfuß. Das begann mit dem Vietnamkrieg, als die Führung die Reporter an die Front ließ und das erste Mal Kameraleute des Fernsehens die Soldaten begleiteten. Fernsehen und Presse notierten nahezu ohne Behinderung die amerikanischen Verluste und die Opfer unter der Zivilbevölkerung. Die Bilder des fliehenden durch Napalm brennenden Mädchens und die Erschießung des Vietkongagenten durch den südvietnamesischen Polizeichef erwiesen sich als starkes Argument für die Proteste der Antikriegsbewegung in den USA. Viele Vietnamveteranen, die heute Oberste und Generäle im Pentagon sind, sind bis heute davon überzeugt, dass die linksparteiischen Journalisten den Defätismus im Lande säten und zum unrühmlichen Rückzug der Amerikaner aus Indochina führten. (...)

Heute sind die Restriktionen noch strenger, aber bei vielen Journalisten scheint sich keine Frustration einzustellen. „Insgesamt ist die Situation gar nicht so schlecht. Das Pentagon versucht uns in vernünftigen Grenzen entgegenzukommen“, sagt Jackson Diehl von der „Washington Post“ (...). „Diese neue Kriegsform ist besonders schwierig für den unmittelbaren Informationsservice – Spezialoperationen, Geheimdienst, Flugzeuge, die von Flugzeug-trägern starten. Da ist es verständlich, dass man nicht erlaubt, die Armee zu begleiten“, so die Meinung des Pentagonsprechers Ken Bacon, mit dem Mara Liasson vom Radio NPR, eine langjährige Korrespondentin beim Weißen Haus, übereinstimmt. (...)

Nutzt aber das Pentagon diesen Schutzschirm nicht aus, um etwas zu verheimlichen, falls der Krieg eine negative Wendung nimmt? „Das Problem liegt darin, ob die Art der Information der öffentlichen Meinung durch die Regierung dem Öffentlichen Interesse dient. Einfach gesagt: ob die Regierung nicht lügt“, sagt Mara Liasson. (...)

(...) Man “kann sich vorstellen, dass die Armee der Versuchung unterliegt, ihre Niederlagen zu vertuschen wie auch die Fehler, die zum Beispiel zu den berüchtigten „Nebenschäden“ (colateral damage) führen, d.h. zu unbeabsichtigten zivilen Opfern. Das aber berührt die Frage der Glaubwürdigkeit, eine Schlüsselfrage in dem Moment, wenn Amerika denn einen Propagandakrieg um die Gewinnung der Meinung in nicht befreundeten oder ihr kühl gegenüberstehenden Ländern führt. (...)

Außerdem haben im Kampf um die Köpfe weder Amerika noch insgesamt der Westen kein Informationsmonopol wie zu Zeiten der ungeteilten, globalen Herrschaft des Fernsehsenders CNN. Das wurde durch den seit 1996 existierenden und aus dem Katar sendenden arabischen Satelitenfernsehnetz Al-Dshahira gebrochen, das von Millionen Zuschauern dieses Sprachraums gesehen wird. Von diesem Sender lieh sich das amerikanische Fernsehen das Video mit bin Laden und leiht sich ständig Material, das in Afghanistan gedreht wurde, wo die Taliban keine westlichen Korrespondenten zulassen. Entgegen einiger Ansichten ist Al-Dshahira nicht das Sprachrohr muslimischer Radikaler, sondern ein um Objektivität bemühtes Medium, das die Regierungen arabischer Staaten kritisiert, in Übereinstimmung mit den Grundlagen, die ihren Mitarbeitern auf den Schulungen durch Professionalisten der BBC  eingeprägt wurden.

Die amerikanische Equipe machte einen kolossalen Fehler, als sie Al-Dshahira zu Beginn der Krise missachtete – das arabische Fernsehen bekam kein Interview mit hohen Vertretern der Bush-Equipe. Es siegte die charakteristische Großmachtarroganz gegenüber ausländischen Medien (...). Erst nach einigen Wochen fanden Condi Rice und Rumsfeld Zeit für arabische Journalisten und das State Department begann, über die Notwendigkeit einer „öffentlichen Diplomatie“ zu sprechen. Weil die Araber und Muslime ihrem Fernsehen mehr glauben als dem CNN, muss gerade er die größte Hoffnung für den Westen sein, die Millionen Menschen in der Welt des Islam zu erreichen.

[Tomasz Zalewski, Patriota nie pyta, in: Polityka Nr. 44 v. 3.11.2001]

 

 

Rede des Vorsitzenden der Demokratischen Linksallianz, Ministerpräsident der Republik Polen, Leszek Miller, auf dem SPD-Bundesparteitag in Nürnberg, am 19. November 2001

(...) Unterdessen sah sich die Menschheit neuen dramatischen Bedrohungen und Kriegen ausgesetzt. Zusammen mit ihr steht die Sozialdemokratie ein weiteres Mal vor einer beispiellosen Herausforderung. Wir werden sie auch diesmal meistern. Ein Beispiel dafür ist die mutige Entscheidung der Regierung in Berlin über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die am letzten Freitag durch den Bundestag bekräftigt wurde. Sollte unsere Regierung um Einsatz polnischer Truppen gebeten werden, würden wir uns auch so entscheiden.

Keine andere der großen politischen Richtungen der Gegenwart ist in dem Maße imstande, den Terror zu bezwingen und die Welt zu erneuern, wie die moderne Sozialdemokratie. Nicht nur in Europa, sondern bereits in über 100 Ländern der Welt.

Seit der Zeit von Adam und Eva bis heute hat die Welt immer noch kein Vorgehen entwickelt, wie man Streitigkeiten und Konflikte friedlich regeln kann. Allzu oft regieren noch das “Faustrecht” und Gewalt. Den Weg zum Frieden auf unserer Erde zu finden, ist die große Aufgabe und der Ehrgeiz der modernen Sozialdemokratie. Es ist eine der Voraussetzungen für die Bekämpfung und Besiegung des Terrors. Die Moderne Sozialdemokratie sagt ein lautes “NEIN” zu düsteren Visionen einer Bin-Ladenisierung der Welt.

Daher müssen wir gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika einen globalen Kampf gegen den Terrorismus führen. Wir werden aber nicht zulassen, dass er sich in eine Konfrontation zwischen den Zivilisationen oder zwischen den Religionen umgestaltet, was vor kurzem während der Anti-Terror-Konferenz der Oberhäupter mitteleuropäischer Staaten in Warschau mit Nachdruck betont wurde.

Wir Sozialdemokraten und unsere Verbündete achten nicht nur auf die Folgen, sondern vor allem auf die Ursachen des Terrors. Wir reden darüber nicht erst heute auf Kongressen der Sozialistischen Internationale in New York und Paris, auf dem Parteitag der Europäischen Sozialistischen Partei in Berlin, auf Hunderten unserer Konferenzen und Tagungen. Wir tun alles, um die in der Welt noch bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeit abzubauen.

Nun wollen Terroristen zu einem Zusammenstoß zwischen arm und reich, zwischen Christen und Moslems führen. Sie bauen darauf, dass jene Milliarden der Notleidenden, die pro Tag nicht einmal 1 oder 2 Dollar haben, um zu überleben, dass sie ihre soziale Basis bilden werden. Um so mehr stellt sich heute die Notwendigkeit des ständigen und effektiven Dialogs zwischen den Zivilisationen, Kulturen und Religionen.

Den Nährboden für den Terror bildet heutzutage eine Anhäufung großer nicht gelöster Probleme der Menschheit: der politischen, strategischen, wirtschaftlichen, sozialen, insbesondere aber demographischen Probleme. Man muss also betonen: Eine Entwicklung um der Entwicklung willen hat keinen Sinn, die Entwicklung für den Menschen hat aber einen tiefen Sinn. Globalisierung für Reiche hat keinen Sinn, aber Globalisierung des Fortschritts für alle - doch! Sie hat einen tiefen Sinn.

Ein fantastischer wissenschaftlich-technischer Fortschritt darf auf der Welt kein neues Elend schaffen. Kein neues Unrecht. Wir müssen diese Entwicklung verhindern.

(...)