Ist ein “Zentrum gegen Vertreibungen” überhaupt notwendig”

 

Einleitung zur Dokumentation von Wulf Schade

 

Mit dieser Überschrift beginnt ein Beitrag in einer weitgehend innerpolnischen Diskussion um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin oder Wroc³aw. Diese Diskussion findet seit Februar/März dieses Jahres sehr intensiv in den polnischen Medien statt. Ausgangspunkt ist das Bestreben der „Vertriebenenverbände“ um ihre Vorsitzende Erika Steinbach, ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin zu gründen. Die Errichtung dieses Zentrums soll etwa 75 Mil. € kosten, bei einem laufenden Etat von jährlich 4-5 Mil. €. Geleitet werden soll dieses Zentrum von einer Stiftung, die bereits existiert. Gleichberechtigte Vorsitzende sind der Sozialdemokrat Peter Glotz und die Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“, Erika Steinbach. Bis in den Februar dieses Jahres wurde diese Tatsache in Polen aufmerksam aber weitgehend still verfolgt. Das änderte sich schlagartig, als der Sozialdemokrat Markus Meckel während einer Podiumsdiskussion vorschlug, dieses Zentrum nicht in Berlin sondern in Wroc³aw, oder wie er sagte in Breslau, zu errichten. Kurz darauf hatte er Gelegenheit, diesen Vorschlag in einem ausführlichen Artikel in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita zu begründen.

 

Obwohl diese Diskussion in Deutschland bisher wenig oder gar nicht beachtet wird, muss man sie unbedingt verfolgen. Vor Beginn dieser Diskussion war in den Medien und der Publizistik eine eindeutig positive Haltung bezüglich einer Diskussion in Deutschland über die Auswirkungen der „Vertreibungen“ der Deutschen auf das individuelle Schicksal vorherrschend. In Polen erschienen in den letzten zehn Jahren örtliche Untersuchungen, die diese Problematik sowie die Geschichte der Deutschen auf den heutigen polnischen Gebieten objektiv zu untersuchen bemüht waren. In Zeitungsartikeln wurden diese Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Wie weit verbreitet diese insgesamt eher positive Haltung war, zeigen wir mit der Übersetzung des Briefes „Die Geschichte eines gewissen Sekretärs“. Dieser Brief stammt nicht aus Zeitungen wie Rzeczpospolita oder Gazeta Wyborcza, wo er zu finden keine Überraschung wäre, sondern aus der „Trybuna“, einer Zeitung, die die deutsche Politik eher skeptisch beobachtet. Das zeigt, wie weit verbreitet ein verändertes, den Deutschen gegenüber offenes Verständnis herrschte, über die eigenen „Vertriebenen“ zu diskutieren. Der Aussöhnung zuliebe werden dabei durchaus auch bedenkliche Thesen vertreten. Hitler wird als Einzelphänomen genommen, das deutsche Volk als leidend und bedauernswürdig dargestellt. Zwar wird es auch nicht vollständig von Schuld freigesprochen, aber Hinweise, wie der, dass Hitler immerhin gewählt wurde, erscheinen eher als Pflichtfeststellung. Die in einigen Teilen der deutschen Diskussion stattfindende Entkoppelung von Geschichte und individuellem Schicksal, zeigte auch in Polen Wirkung.

Der Verlauf der Diskussion nach Veröffentlichung des Meckel-Vorschlages zeigt nun, dass sich die Stimmung verändert. Die Diskussion verläuft völlig quer zu bestehenden politischen Fraktionen oder informellen Übereinkünften. So gibt es Befürworter genauso wie Gegner für Meckels Vorschlag unter den Liberalkon-servativen, den eher Linksliberalen und Teilen der Linken. Geschlossen ablehnend ist nur der nationalistisch-konservative Flügel der polnischen Politik.

Im liberalen Lager zeigt sich nun offen der Unmut über bestimmte Erscheinungen in der deutschen Politik. Dieser vorher vielleicht nur unterschwellig vorhandene Unmut steht in einem deutlichen Gegensatz zur bisher von diesen Kreisen weitverbreiteten optimistischen Haltung, die zwar die jüngere Vergangenheit in den polnisch-deutschen Beziehungen nicht „streichen“ wollte, aber doch aus dem starken Willen zur Versöhnung heraus in den Hintergrund zu rücken bereit war. Erschrocken, vielleicht auch etwas verbittert ist man nun, dass immer größere Teile der deutschen Politik das auszunutzen gedenken und die Geschichte neu interpretieren, bzw. Neuinterpretationen den Boden zu bereiten, sei es auch nur, so wird z.B. den Sozialdemokraten zugebilligt, um ihre Wahlchancen zu erhöhen.

Wenn man sich den Verlauf der Diskussion ansieht, stellt man fest, dass gegenüber Meckels Vorschlag unter den Konservativliberalen wie auch unter den Linksliberalen zwar eine skeptische, jedoch eher positive Haltung vorherrschte. Besonders deutlich wird das durch den das Zentrum in Wroc³aw fordernden offen Brief von Adam Michnik und Adam Krzemiński an Premierminister Miller und Bundeskanzler Schröder im April. Direkt ablehnende Stimmen wie die von Guz blieben zu dieser Zeit noch vereinzelt.

Die Haltung im liberalen Lager änderte sich deutlich, als sich der Bundestag am 16. Mai dieses Themas annahm. Auf der Sitzung standen zwei Anträge - einer von CDU/CSU/FDP und einer von SPD/Die Grünen - zur Debatte, die ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ befürworteten. In Polen war man sichtlich darüber erschrocken, dass nun auch die SPD und die Grünen einem solchen Zentrum nicht mehr ablehnend gegenüberstanden. Nun mehrten sich die skeptischen und direkt ablehnenden Stimmen. Es tauchten in diesem Zusammenhang auf einem Mal Themen wie die nach den Folgen für die Eigentumsproblematik auf, die eine Neuinterpretation der Nachkriegsordnung durch Deutschland mit sich bringen könnte. Bisher wurden gerade auch in diesen Kreisen solche Fragen tunlichst vermieden. „Nur nicht Störendes zu Wort kommen lassen“, diese Devise wurde und wird nun in Frage gestellt.

Den diese Diskussion in Polen dokumentierenden Schwerpunktteil in POLEN und wir leiten wir mit einem Artikel von Samuel Salzborn ein. Er stellt sehr konzentriert die Gefahren einer Neuinterpretation der Geschichte durch Deutschland dar und beantwortet so deutlich die in der Überschrift geäußerte Frage „Ist ein Zentrum gegen Vertreibungen überhaupt notwendig?”

 

(Soweit nicht anders gekennzeichnet stammen die Übersetzungen von Mark Brüggemann aus Oldenburg.)

 

Zum Thema „Vertreibung“ und „Zentrum gegen Vertreibungen“ sowie die Diskussion um die Bewertung der deutschen Geschichte s.a. POLEN und wir Nr. 2 und 3/2000