Soll man den ausgesiedelten Deutschen ein Denkmal hinstellen?

 

Von Eugeniusz Guz

 

Als die nach Lebensalter und Schönheit junge Erika Steinbach Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen wurde, wollte sie mit der Idee glänzen, in Berlin ein Monument zum Gedenken  an die Vertreibung der Deutschen aufzustellen. Bald entsteht ein Holocaust-Denkmal als Symbol der deutschen Verbrechen; also sollte es auch ein Denkmal geben, das die deutschen Leiden verewigt, dachten die Initiatoren. Das überzeugte jedoch weder die vorherige noch die jetzige Regierung. Steinbach wurde abgekanzelt, "auch weil das eine politische Frage ist", wie ein Kommentator des TVP [staatliches poln. Fernsehen - Anm. d. Übers.] zutreffend be-merkte.

Die Situation änderte sich plötzlich dramatisch, als der Vorsitzende der deutsch-polnischen parlamentarischen Gruppe, Markus Meckel, Ende Februar mit der Idee an die Öffentlichkeit trat, ein Denkmal gegen Vertreibung in Breslau zu errichten. Er fühlte sich dabei ganz offensichtlich wie bei sich zu Hause, da er es nicht einmal für geboten hielt, sich vorher bei den Hausherren zu erkundigen, was diese denn von der Idee halten. Nicht nur die Regierenden in Berlin haben nichts mehr dagegen. Die Schirmherrschaft über die Idee scheint die "Rzeczpospolita" [große polnische Tageszeitung, konservativ-liberal - Anm. d. Übers.] zu übernehmen, die nicht nur den Einfall des deutschen Abgeordneten öffentlich machte, sondern wie der Blitz zu dem Schluss kam, dass Breslau "der ideale Ort" für diese Initiative sei. Unterstützung erhielt die Redaktion von dem Historiker Wlodzimierz Borodziej: "Könnten wir uns also etwas Besseres wünschen als die Wahl von Breslau als Standort eines internationalen Dokumentations-, Forschungs- und Diskussionszentrums, das sich mit einer der dramatischsten Erfahrungen großer Menschenmassen im 20. Jahrhundert befasst?" ("Rzeczpospolita" vom 7.3.)

Als Argument für das Projekt soll die Versicherung Meckels herhalten, dass es nicht nur um das Gedenken an den Exodus der Deutschen gehe, sondern auch um andere Nationalitäten - vor allem um die Polen, die aus den ehemaligen Ostgebieten des polnischen Staates gekommen seien. Bei Licht betrachtet erweist sich dies schnell als wirkungsloser Kunstgriff. Nicht nur im deutschen, sondern auch im internationalen Bewusstsein, ja sogar in der polnischen öffentlichen Meinung hat eine ein halbes Jahrhundert dauernde mediale Offensive dazu geführt, dass "Vertreibung" mit dem Leid der Deutschen in Verbindung gebracht wird und daran wird keine Anstrengung etwas ändern - schon gar nicht von polnischer Seite, wo man finanziell wie personell schwach ausgestattet ist. Auch wenn man ein polnisches Pflaster an die Perspektive der deutschen "Vertreibung" klebt - an eine Perspektive, die international innerhalb eines halben Jahrhunderts in Medien und Wissenschaft etabliert wurde, so verwischt dies nicht die eindeutige Assoziation, sondern macht aus dem Breslauer Denkmal eher noch ein Symbol des Triumphes.

Als die Entscheidung fiel, in Berlin ein Holocaust-Mahnmal zu errichten, forderten und appellierten Millionen anderer Opfer des Faschismus (allein die Polen verloren sechs Millionen ihrer Staatsbürger), dass zumindest mit einem Satz, mit irgendeiner bescheidenen Geste in der Nachbarschaft des Mahnmals auch der anderen Opfer des Nazismus - außer den Juden - gedacht werde. Der Bundestag hat diesen Antrag jedoch abgelehnt. Dem "Nein" des Parlaments waren mehrere Monate dauernde Debatten in der Öffentlichkeit und hinter den Kulissen vorausgegangen, da man sich bewusst war, dass diese Materie außergewöhnlich heikel ist. Bei uns werden äußerst komplizierte Angelegenheiten blitzschnell durch die Medien entschieden.

Kaum jemand weiß, dass der Bund der Vertriebenen bisher auch nicht eine Äußerung von sich gegeben hat, aus der man auch nur ableiten könnte, dass er die Grenzverhältnisse zwischen Polen und Deutschland anerkannt hat. Auffällig ist außerdem, dass sowohl die Umgebung von Frau Steinbach als auch das offizielle Deutschland auf allen politischen Ebenen jahrzehntelang die Formel "Flucht und Vertreibung" verwendeten. Seit einer gewissen Zeit taucht das Wort "Flucht" nicht mehr auf. Dabei haben sich doch 60 Prozent der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa durch Flucht gerettet, zunächst auf Befehl der Machthaber, danach aus eigener Initiative. Erst diejenigen, die übrig blieben, fielen nach dem Krieg Zwangsaussiedlungen zum Opfer.

Wir würden auch politisch und rechtlich unverantwortlich handeln, wenn wir im Sinne des Bundes der Vertriebenen die Potsdamer Beschlüsse korrigierten. Dort ist nicht von "Vertreibung" die Rede (was bei uns gerade sehr in Mode ist), sondern von der Entscheidung der Großmächte, einen "Transfer" der deutschen Bevölkerung durchzuführen. Vertreibung ist eine rechtlose Tat mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Die erzwungene Aussiedlung war wohl eine logische und unvermeidliche Konsequenz dessen, dass man uns die Westgebiete zuerkannt hat. Denn was hätten wir mit einer viele Millionen Menschen umfassenden Minderheit in diesen Gebieten machen sollen?

 

(Przegląd, 2. April 2002; der Autor, Eugeniusz Guz, war früher Journalist; er lebt heute als Rentner in Warschau; Übersetzung: Mark Brüggemann, Oldenburg)

 

 

Ein Museum zur Vertreibung in Breslau, nicht in Berlin

 

Von Adam Michnik und Adam Krzemiński

 

Aufruf an Bundeskanzler Schröder und Premierminister Miller

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Sehr geehrter Herr Premierminister,

der Bund der Vertriebenen ist mit der Initiative an die Öffentlichkeit getreten, in Berlin ein Zentrum der Vertriebenen zu errichten. (...) Wir wenden uns mit dem dringlichen Appell an Sie, gemeinsam eine Idee unterstützen zu wollen, die seit einiger Zeit diskutiert wird: Ein solches Zentrum und Museum nicht in Berlin, sondern in Breslau zu bauen. (...) Das wäre weder ein Museum der deutschen Leiden und Trauer, das Täter zu Opfern macht, noch ein Museum polnischen Märtyrertums und polnischer Siedlungskultur [in den ehemaligen polnischen Ostgebieten - Anm. d. Übers.], sondern ein Museum der Katastrophe und ein Zeichen für die Erneuerung unseres gemeinsamen Europas.

Das Museum in Breslau würde eine Barbarei dokumentieren, die sich als Schatten über das gesamte 20. Jahrhundert legt und sich in Pommern, Schlesien, dem Sudetenland, dem polnisch-ukrainischen Wolhynien oder auch den Bieszczady vollzogen hat. Europäer vieler Nationen waren von ihr betroffen. Wir schlagen Breslau vor, da wir uns erinnern, dass es der Breslauer Bahnhof war, auf dem sich dantesche Szenen abspielten, als um die Plätze in den letzten deutschen Zügen gekämpft wurde. In Breslau kam es nach dem Einrücken der sowjetischen Armee zu Gewalttaten und Zerstörungen. In Breslau vernichteten polnische Marodeure, wilde Siedler und nicht zuletzt die polnischen Machthaber die Spuren des Deutschtums. Berlin hat viele Gründe, Betrachtungen über die deutsche Vergangenheit anzustellen, aber auf ein Museum zur Vertreibung hat es kein größeres Anrecht als andere deutsche Städte, in die Vertriebene aufgenommen wurden.

Das Paradoxe an der Geschichte besteht darin, dass die Westverschiebung Polens und der Hinauswurf  der Deutschen aus Polen aus Stalins Sicht ein für allemal einen Keil zwischen unsere Nationen treiben sollten. Inzwischen hat sich dies genau umgekehrt. Nach der Periode des Hasses, der hitzigen Vorwürfe und Verletzungen hat gerade diese Tragödie uns aufs Neue verbunden.

Breslau ist, historisch gesehen, unsere gemeinsame Stadt: Es ist deutsch, polnisch, tschechisch, jüdisch, aber auch ukrainisch und natürlich russisch – verstümmelt bei der Eroberung der „Festung Breslau“ durch die sowjetische Armee 1945, aber – und das dürfen wir nicht vergessen – von ebendieser Armee für Polen erobert.

Die Diskussion über das Gedenken an die entsetzliche Völkerwanderung in Europa im 20. Jahrhundert – das Gedenken an Aussiedlungen, Vertreibungen und Flucht von Millionen von Menschen aus ihrer Heimat – wird unter anderem in Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn geführt. Der Zeitpunkt für eine mutige Entscheidung ist vielleicht nicht der beste: Polen tritt in die letzte, nervenaufreibende Phase seiner Verhandlungen mit der Europäischen Union ein; in Deutschland ist Wahlkampf. Aber es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Jetzt ist die Sache aktuell. Und gerade jetzt erfordert sie Entscheidungen, die in die Zukunft gerichtet sind.

Wir bitten Sie inständig darum, die historische Chance zu erkennen und die Gründung eines europäischen Museums zur Vertreibung in Breslau zu unterstützen. Über die Einzelheiten werden wir dann in anderthalb Jahren als Nachbarn in der Europäischen Union diskutieren.

Ein Vorbild für die Versöhnung

Herr Bundeskanzler und Herr Premierminister, wir wenden uns so eilig an Sie, weil das Breslauer Projekt bei der Bundestagsdebatte zum Museum gegen Vertreibung ernsthaft und wohlwollend behandelt werden sollte. Wir wollen verhindern, dass es erneut zu einem „Papierkrieg“ unserer Parlamente wie 1998 kommt (als Bundestag und Sejm Erklärungen hinsichtlich der Vertriebenen und der deutschen Minderheit austauschten).

Es wäre gut, die Idee eines europäischen Museums zur Vertreibung in Breslau noch vor dem polnisch-deutschen Gipfeltreffen im Juni zu stärken. Dieses Treffen findet zudem in Breslau statt. Der Einfall ist in Polen geboren worden, wurde von der polnisch-deutschen „Kopernikus-Gruppe“ aufgegriffen und – was löblich ist – von SPD-Politikern aus der ehemaligen DDR in die Öffentlichkeit getragen, von Politikern also, die noch aus alten Zeiten gute Kontakte mit der polnischen „Solidarität“ haben.

Wir, Deutsche und Polen,  haben bei allen Animositäten, Vorbehalten und Leiden, die wir uns – wenn auch nicht symmetrisch – gegenseitig zugefügt haben, den Stein der Weisen in der Hand, Theorie und Praxis des polnisch-deutschen Dialogs, der Zusammenarbeit und der Versöhnung. Diese Erfahrung ist bereits Vorbild für den polnisch-ukrainischen oder den polnisch-litauischen Dialog. (...)

Vom Hass zur Versöhnung

Nach der moralischen Katastrophe, die der Zweite Weltkrieg nicht nur für die Schuldigen, sondern oft auch für die Opfer bedeutete, konnte man doch kaum gutnachbarliche Beziehungen zwischen uns erwarten. In Westdeutschland hat man sich nach dem Krieg häufig auf das „Recht auf Heimat“ berufen, in Polen hingegen sprach man selbst in katholischen Kreisen von dem „Recht zu hassen“.

Aber seit Ende der 50er Jahre suchten gerade Deutsche aus dem Osten den Kontakt und Dialog mit den Polen. Die vor kurzem verstorbene Marion Gräfin von Dönhoff, Günter Grass und Klaus von Bismarck bauten Brücken. Kurz darauf schlossen sich die evangelischen Kirchen diesen Bemühungen an. Eine epochebildende Rolle für das Entrinnen aus dem „Fatalismus der Feindschaft“ (wie es Stanisław Stomma, der Nestor der polnisch-deutschen Versöhnung, nennt) spielte 1965 der Brief der polnischen an die deutschen Bischöfe  mit dem berühmten Satz „wir vergeben und bitten um Vergebung“.

Nach der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik im Dezember 1970 und der bewegenden Demutsgeste, die Bundeskanzler Brandt in Warschau vollzog, begann ein tiefer Wandel in der jungen Generation von Polen, die in den früher deutschen Gebieten lebten.

Eure und unsere Geschichte

Die Entdeckung der unverfälschten Regionalgeschichte, sei sie nun deutsch, jüdisch, tschechisch oder ukrainisch, wurde auch für die demokratische Opposition Polens der 70er Jahre - und danach für die „Solidarität“ – zu einem wichtigen Bestandteil der Revision des lügenhaften Geschichtsbildes, das die kommunistische und nationalistische Propaganda erzeugt hatte.

Zu dieser Geschichte Schlesiens, Pommerns oder des ehemaligen Ostpreußen, (...) gehört auch die Tragödie der deutschen Vertriebenen. Heute fangen wir in Polen immer häufiger an zu verstehen, dass wir Gäste in unseren eigenen Häusern sein werden, solange wir nicht die wahre Vergangenheit der Menschen kennen lernen, die darin gewohnt haben.

Lemberger oder Wilnaer, die nach Breslau und Stettin umsiedeln mussten, beginnen – auch für sich selbst – preußische oder deutsche Wurzeln zu entdecken. In Breslau haben Zehntausende Menschen eine Ausstellung besucht, die Breslau in deutscher Zeit zeigte. In einer Umfrage, wer sich um ihre Stadt am meisten verdient gemacht habe, wählten die Einwohner Stettins unter anderem den deutschen Bürgermeister, der die Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts regierte.

Breslau wird (...) zu einer mythischen Stadt des neuen Europa, die uralte Feinde verbindet – uralte Feinde, die doch uralte Nachbarn sind.

Wir hoffen auf wohlwollende Aufmerksamkeit und verbleiben mit vorzüglicher Hochachtung

 

Adam Michnik                                                                                               Adam Krzemiński

 

(Gazeta Wyborcza, Internet  v. 13.4.2002; Adam Michnik ist Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, Adam Krzeminski, Publizist und Deutschlandexperte  der “Polityka” ; Übersetzung: Mark Brüggemann, Oldenburg)