Dokumentation zum „Zentrum gegen Vertreibungen“, Teil 2

 

In der letzten Ausgabe von POLEN und wir erschien eine Dokumentation zur Diskussion in Polen über ein „Zentrum gegen Vertreibungen“, wie es der „Bund der Vertriebenen“ für Berlin gefordert hat. Die Diskussion ist in Polen in den letzten Monaten fortgeführt worden. Aus der Fülle der Texte veröffentlichen wir diesmal drei Texte in eigener Übersetzung, die zum einen zeigen wie weit das – berechtigte - Misstrauen in Polen gegenüber den deutschen Akteuren geht, zum anderen historische Fakten benennen, die es wert sind, sich auch als deutscher Leser bzw. deutsche Leserin ins Gedächtnis zu rufen. Den Text von Adam Krzemiński veröffentlichen wir aber noch aus einem weiteren Grund: Zeigt er doch einen der Hauptakteure auf polnischer Seite, der sich zuerst für ein Zentrum auf polnischem Boden aussprach (s.a. POLEN und wir 3/2002), und nun erschrocken zu sein scheint, wie die Offenheit von Teilen der polnischen Öffentlichkeit gegenüber der Errichtung des Zentrums in „Breslau“ von maßgeblichen Personen auf deutscher Seite genutzt wird, die neuere deutsch-polnische Geschichte in deutsch-revanchistischem Sinne umzuinterpretieren.

Die Haltung auf deutscher Seite hat Folgen: In Polen ist man nun gezwungen, sich ganz öffentlich wieder der historischen Situation der Aussiedlung auf Grund des Potsdamer Abkommens zu erinnern wie es die Artikel von Janusz Jasiński und Adam Krzemiński zeigen. Es gab gute und vernünftige Gründe für die Aussiedlung! Hoffentlich überträgt sich dieses Bewusstsein auch auf große Teile der deutschen DiskutantInnen. Die Übersetzung des Kommentars von Wojciech Pięciak weist auf die Tiefe, die die Neuinterpretation der neueren deutschen Geschichte bereits erreicht hat.

Neben den polnischen Stellungnahmen dokumentieren wir eine Erklärung deutscher und polnischer WissenschaftlerInnen zum „Zentrum gegen Vertreibungen“ wie auch die einer Gruppe von Abgeordneten des deutschen Bundestages, die sich am 4. Juli 2002 im Bundestag als einzige offen und direkt unmissverständlich gegen ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ sowohl in Berlin wie auch in Wroc³aw ausgesprochen haben. Wir bedauern es sehr, dass eine solch klare Stellungnahme nur von einer kleinen Gruppe aus einer Partei – der PDS – zu vernehmen ist und dass sich keine der Fraktionen insgesamt und sich niemand aus anderen Fraktionen dazu durchringen konnte.

 

 

Ein Zentrum in Berlin: Möglichkeiten

[Ein Kommentar]

Es ist wenig wahrscheinlich, dass hinsichtlich des monumentalen Projekts eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ vor den Wahlen im September bindende Entscheidungen fallen. Zu groß ist in Deutschland die Polarisierung, als dass die Parteien gewillt wären, einen Streit zu eröffnen, wie ein solcher Ort aussehen und wo er sich befinden soll – in Berlin (wozu die Mehrheit der deutschen Entscheidungsträger tendiert) oder in Breslau (wovon sich immer mehr Polen überzeugen, besonders nach dem Appell von Adam Michnik und Adam Krzemiński).

Die kurze Debatte im Bundestag hat hingegen gezeigt, dass alle, von den Grünen über die SPD und die Liberalen bis hin zu den Christdemokraten, die allgemeine Idee eines solchen „Zentrums“ unterstützen. Das ist ein Signal dafür, wie tief der Wandel des kollektiven Gedächtnisses in Deutschland ist: Noch vor wenigen Jahren war eine derart breite Akzeptanz unmöglich, und hätte Kanzler Kohl das Projekt publik gemacht, so wäre er als Befürworter einer „historischen Normalisierung“ kritisiert worden. Heute ist das anders: Bundespräsident Johannes Rau (SPD) nennt in einer Rede die „Charta der Vertriebenen“ von 1950 einen Schritt zur Versöhnung – in einem Atemzug mit dem Brief der Bischöfe von 1965. Die Vertriebenencharta ist ein Dokument, in dem kein Wort über Schuld verloren wird, über Reue schon gar nicht, in dem aber die Vertriebenen ihren „Verzicht auf Vergeltung“ hauptsächlich deshalb erklärten, um einen moralischen „Überbau“ für die Rückkehr auf die andere Seite der Oder zu haben. Und die öffentliche Meinung übernimmt diese absurde Interpretation ...

Wenn der Christdemokrat Stoiber Kanzler wird, entsteht das „Zentrum“ in Berlin. Die polnische Seite sollte darauf reagieren, schließlich wird das „Zentrum“ ein Element der offiziellen Politik Deutschlands sein. Dazu gibt es drei Möglichkeiten: Man kann protestieren, man kann fordern, an den Arbeiten zur Gestaltung des Zentrums beteiligt zu werden, oder man kann um Breslau kämpfen. Zutreffend schreibt Piotr Buras in „Wiꟓ 5/2002 (kathol. Monatszeitschrift, Anm. d. Übers.), dass ein „Zentrum“ in Berlin die Verwirklichung des schlimmsten Szenarios bedeuten würde, Breslau hingegen kaum eine reale Chance hat. Es bleibt eine vierte Möglichkeit: Man könnte die Idee von Janusz Reiter (ehemaliger polnischer Botschafter in Deutschland, Anm. d. Übers.) aufgreifen. Reiter hat vor einigen Jahren vorgeschlagen, dass wir in Berlin aus eigenen Kräften ein Polnisches Museum gründen, das ein ganzheitliches Bild der polnisch-deutschen Beziehungen präsentieren würde. Diese Initiative ist um so wichtiger, als alle in Berlin ähnliche Einrichtungen zur politischen Bildung haben: Amerikaner, Briten, Juden, Franzosen, Russen usw.

 

Wojciech Pięciak in: „Tygodnik Powszechny” vom 26.5.2002; Übersetzung: Mark Brüggemann