Zentrum von Leid und Unrecht

 

Von Janusz Jasiński

Das „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Breslau ist eine nicht durchdachte Idee. Heute weiß fast jeder Pole, was nach 1945 mit den Deutschen in den nördlichen und westlichen Gebieten Polens passiert ist. Aber wie viele Deutsche wissen von den Aussiedlungen von Polen aus Großpolen, Pommern, dem Gebiet um Zamość und Warschau? In Deutschland herrscht allgemeine Ignoranz. Ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ wird diesen Zustand nur verfestigen.

 

Mit innerer Unruhe habe ich den offenen Brief von Adam Michnik und Adam Krzemiński gelesen, in dem die Idee eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ in Breslau unterstützt wird. Nach Meinung der Autoren „würde ein Museum in Breslau die Barbarei dokumentieren, die sich als Schatten auf das ganze 20. Jahrhundert legt, eine Barbarei, zu der es in Pommern, Schlesien, den Sudeten, dem polnisch-ukrainischen Wolhynien oder auch in den Bieszczaden kam, und die Europäer vieler Nationen betraf“. Wenn das „Zentrum“ die Barbareien des 20. Jahrhunderts verurteilen sollte, so müsste man hier die von den Deutschen vorgenommenen Aussiedlungen aus dem sogenannten Warthegau, dem Gebiet um Zamość und aus Warschau nach dem Aufstand (200.000 Tote, eine halbe Million Vertriebene) hinzufügen. Rufen wir uns eine unzweifelhafte Tatsache ins Gedächtnis: Zu der Tragödie der Deutschen nach 1945 wäre es nicht gekommen, hätten diese nicht den Krieg verursacht.  Wenn man über ihre Aussiedlung spricht, so muss man sich an Ursache und Wirkung erinnern. Nicht recht haben diejenigen, die eine Analogie zum Schicksal der Polen in den ehemaligen polnischen Ostgebieten suchen, wenn sie über die Aussiedlung der Deutschen schreiben. (Die Polen aus den Ostgebieten wurden in der Volksrepublik Polen fälschlicherweise „Repatrianten“ genannt.)  Aus dieser Analogie folgt nämlich einerseits die Schuld Polens an der „Vertreibung“ der Deutschen, andererseits die Schuld der UdSSR an der Abschiebung der Polen. Die wichtigste Schuld der Deuthen hingegen – am Beginn der Umsiedlungen und an der grausamen Art, auf die die Polen „vertrieben“ wurden – wird in einem solchen Vergleichsschema verwischt.

Ich erinnere mich, welcher Methoden sich die Deutschen gegenüber den ausgesiedelten Bewohnern des Gebietes um Zamość – meiner Heimat – bedienten: Frühmorgens wurde das Dorf von Gendarmerieposten umstellt und auf diejenigen, die versuchten zu fliehen, wurde geschossen, wie man auf Enten schießt. Danach wurden die Menschen zur Arbeit nach Deutschland geschickt, in die Arbeitslager, oder man ließ sie daheim, damit sie als Gefangene auf ihren früheren Gütern arbeiteten. (...)

Aus der Perspektive eines halben Jahrhunderts ist es leicht, die Aussiedlungen der Deutschen scharf zu kritisieren. Gehen wir jedoch in das Jahr 1945 zurück. Die Entscheidungen über die Aussiedlungen trafen die Politiker der Siegerkoalition, was natürlich von Polen akzeptiert wurde. Europa besaß genug gemischtethnische „Korridore“, „blutendes Grenzland“, Nationalitätenkonflikte. Und es war ja schließlich Hitler, der sich die Errettung der deutschsprachigen Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben und mit der Schaffung Großdeutschlands begonnen hatte. Deshalb wollte man nach 1945 zukünftig solche Probleme vermeiden. Was Polen be-trifft, so mussten seine Bewohner aus den ehemaligen Ostgebieten und dem zerstörten Warschau sowie die Rückwanderer sich irgendwo niederlassen. Sie konnten aber nach 1945 nicht gemeinsam mit den Deutschen leben, die psychologische Barriere war zu groß. Diese nach der Besatzungszeit entstandene Realität darf man nicht übersehen. (...)

Die Aussiedlung der Deutschen war eine Notwendigkeit, das kleinere Übel – einen anderen Ausweg gab es nicht. Erinnern wir uns an die kluge Rede, die Minister Bartoszewski 1995 im deutschen Parlament hielt: Zuerst erinnerte er an die Verantwortung der Deutschen für den Krieg und das Leid der Polen und fügte hinzu, dass die Deutschen 2,3 Millionen unserer Landsleute ausgesiedelt haben. Erst danach erklärte er: „Mit Schmerz erfüllen uns die individuellen Schicksale und Leiden unschuldiger Deutscher, die von den Kriegsfolgen betroffen waren, und die ihre Heimat verloren haben“. Was bedeutet: Bartoszewski hat sich nicht entschuldigt, sondern seinen Schmerz zum Ausdruck gebracht. (...)

In unserer Geschichtsschreibung und Gesellschaft hat sich der Begriff „Aussiedlungen“ etabliert. Mit ihm sind sowohl die Aussiedlungen der Polen durch die Deut-schen als auch der Deutschen durch die Polen erfasst worden, denn dieser Begriff enthält das Element des Zwanges. (...) Mittlerweile wird in Polen immer häufiger geschrieben, dass die Polen die Deutschen „vertrieben“ hätten, wobei man – wie früher – wiederholt, dass die Deutschen die Polen nur „ausgesiedelt“ hätten. Und dabei gibt es zwischen diesen beiden Begriffen, auch wenn sie dasselbe meinen, einen großen emotionalen Unterschied.

(...) Man darf die Terminologie nicht bagatellisieren. 1952 hat der deutsche Historiker Gotthold Rhode (in seiner Arbeit „Völker auf dem Wege“) einen Überblick über die Aussiedlungen verschiedener Nationen seit 1917 gegeben. Er schreibt über die „Umsiedlungen“ von Deutschen aus den baltischen Staaten und der UdSSR (in den Jahren 1939-41, Anm. der Red. des „Tygodnik Powszechny“) in das besetzte Polen. Diese Verschiebungen fanden unter Zwang statt, doch der Autor beschreibt sie als „Umsiedlungen“. Dagegen nennt er dieselben Menschen später (als sie vor der Roten Armee flohen oder von den Polen ausgesiedelt wurden) „Vertriebene“. Das ist ein Beispiel für terminologische Manipulation, die bis heute andauert (...).

Das Unrecht des 20. Jahrhunderts hat verschiedene Namen. Erika Steinbach hat den der „Vertreibungen“ ausgewählt, weil das aus ihrer Perspektive eine für die deutsche Seite vorteilhafte Variante ist – stellt sie doch die Deutschen hauptsächlich als Opfer dar. (...) Auf diese Weise könnte ein falsches Bild der Vergangenheit für kommende Generationen fixiert werden. Doch nicht nur das – die Idee des „Zentrums“ ermuntert, ja zwingt förmlich dazu, das Leid erneut aufzurechnen – dies gilt besonders für diejenigen, die jene Ereignisse erlebt haben. Und die Verengung der historischen polnisch-deutschen Beziehungen auf die Aussiedlungen nach 1945 kann die Diskussion nur aufheizen. Schon die Existenz des „Zentrums“ in Breslau hätte für Polen eine negativere Aussage, als wenn das „Zentrum“ in Berlin entstünde. Obwohl es auch dort politisch schädlich wäre.  (...)                                                

 

Janusz Jasiński (geboren 1928 im Gebiet Zamość), Professor für Geschichte, Mitarbeiter des Instituts für Geschichte an der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Janusz Jasiński, Cetrum krzywd, Tygodnik Powszechny Nr. 22 v. 2.6.2002, Übersetzung: Mark Brüggemann, Kürzungen von der Redaktion