Weder Berlin noch Breslau

Ein deutsch-polnischer Zwischenruf zur Diskussion um das “Zentrum gegen Vertreibungen”

 

In den letzten Wochen wurden wir Zeugen eines überraschenden Wandels in der Diskussion um die Errichtung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“. Entstanden als erkennbarer Versuch des Bundes der Vertrieben (BdV), sich in der Berliner Republik eine neue Daseinsberechtigung zu schaffen und - abgesehen von Einzel-personen - lediglich von der konservativen Opposition mit Blick auf die kommenden Wahlen unterstützt, schien dem Vorschlag der BdV-Präsidentin Erika Steinbach zur Errichtung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ lange Zeit keine Aussicht auf Erfolg beschieden zu sein. Mit dem „Basta“ des Kanzlers auf dem Tag der Heimat 1999 schien diese Angelegenheit erledigt, was damals von Beobachtern aus dem In- und Ausland als längst überfällige Klärung des Verhältnisses der deutschen Politik gegenüber den Vertriebenen begrüßt wurde.

Fatalismus ersetzt Argumente

Obwohl seitdem keine ernsthafte Debatte über Sinn und Zweck eines solchen Zentrums stattgefunden hat, mehren sich die Stimmen, die die Entstehung eines Zentrum gegen Vertreibungen zwar nicht unbedingt für wünschenswert, jedoch für unumgänglich halten. Ein eigenartiger Fatalismus, wurde ein solches Zentrum doch noch vor kurzem fast einhellig als unnötig und schädlich abgelehnt und kamen seitdem keine neuen Argumente auf den Tisch, die dafür sprechen könnten.

Das Zentrum könnte daher eine ähnliche Entwicklung nehmen, wie viele andere vergleichbare Institutionen: Gerät eine Idee einmal an die Öffentlichkeit, finden sich schnell einige Wohlgesonnene, die das Projekt im Sinne von „Versöhnung“, „Begegnung“ und dem „gemeinsamen Europa“ für umsetzungswert halten. Nicht immer jedoch ist diese Begeisterung mit einem schlüssigen Konzept verbunden. Gerade im deutsch-polnischen Bereich gibt es die Neigung, Probleme mit neuen Institutionen lösen zu wollen. Wer sich heute also für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ einsetzt, sollte ehrlich von dessen Konzept überzeugt und bereit sein, auch in Zukunft für das Projekt einzustehen. Genau daran aber darf gezweifelt werden, schaut man sich die zentralen Argumente in der gegenwärtigen Debatte an.

Europäisches Breslau - nationales Berlin?

Bezeichnenderweise dreht sich die Diskussion weniger um Sinn und Zweck eines solches Zentrums, sondern um seinen Sitz (Breslau oder Berlin). Folgt man jedoch der Argumentation ihrer Protagonisten, scheint mit dem Votum für einen der beiden Orte auch gleichzeitig ein Votum für eine bestimmte Konzeption des Zentrums verbunden zu sein: Hier die „europäische“ Variante Breslau, dort die „nationale“ Variante Berlin.

Die Anhänger der Variante Breslau argumentieren mit der Authentizität des Ortes. In Breslau würde sich die Vertreibung der Deutschen mit der der Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten kreuzen. Dies führe zu einer europäischen Perspektive, während in Berlin die Gefahr einer national verengten Sicht auf die Vertreibungsgeschichte drohe. Obwohl beide Varianten problematisch sind, wäre doch immerhin Berlin eine europäische Metropole, in der sich hunderttausende Menschen aus allen Ländern und Kulturen niedergelassen haben. Breslau ist hingegen derzeit eine zwar aufstrebende, jedoch monoethnische und monokonfessionelle Stadt mit regionaler Bedeutung.

Ein Zentrum in Breslau, als dem historischen Ort der deutschen Vertreibung, hätte unvermeidlich eine Einengung auf die deutsch-polnische Perspektive zur Folge, die im krassen Gegensatz zum angeblich “europäischen” Ansatz dieser Idee steht. Ein Zentrum in Breslau wäre bestenfalls - eine deutsch-polnische, keinesfalls jedoch eine „europäische“ Variante.

Den meisten Anhängern eines Zentrums in Breslau geht es jedoch vor allem darum, dem Berliner Konzept der organisierten Vertriebenen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Diskussion nach Polen zu verlagern, kommt jedoch einem Eingeständnis gleich, dass sich die Deutschen zu einem besonnenen Diskurs über ihre Geschichte nicht in der Lage sehen. Dadurch muss der Eindruck entstehen, dass diese unbewältigten Konflikte ausgerechnet im ehemals deutschen Breslau zwi-schengelagert werden sollen, wo sie unabsehbare Schäden in der noch jungen Vertreibungsdebatte in Polen sowie in den deutsch-polnischen Beziehungen verursa-chen könnten.

Kein Bedarf für ein Zentrum

Die alles überlagernde Diskussion über den Sitz lenkt jedoch von der eigentlichen Frage ab, ob wir ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ überhaupt benötigen, das nach Ansicht seiner Anhänger (beider Varianten) im Wesentlichen drei Aufgaben erfüllen soll: Forschung, Dokumentation, Erinnerung.

Alle diese Aufgaben werden bereits schon heute geleistet. Die Forschung braucht kein derartiges Zentrum. Vertreibung muss in einem breiteren historischen Kontext gesehen werden, als es die Selbstdefinition eines solchen Zentrums erlauben würde. Da der Begriff „Vertreibung“ an sich schon umstritten ist und vor allem den Kontext des Zweiten Weltkriegs umfasst (im Unterschied zu Begriffen wie „Ethnische Säuberung“ oder „Zwangsmigration“), sieht sich eine vergleichende Forschung vor große methodische Probleme gestellt.

Zu einer umfassenden Dokumentation europäischer Vertreibungen wäre ein solches Zentrum nicht in der Lage, zumal es kaum vorstellbar ist, dass sich verschiedene europäische Partner auf eine gemeinsame Sicht werden einigen können. Wenn es schon schwer sein wird, mit Polen und Tschechen einen gemeinsamen Nenner zu finden, wie unmöglich erscheint dies erst mit Russen, Serben oder Albanern.

Bleibt die Erinnerung als einzig akzeptabler, zugleich aber heikelster Zweck eines solchen Zentrums. Die von den Vertriebenenverbänden vertretene These, die Vertreibung sei jahrelang tabuisiert worden und müsse nun in Erinnerung gebracht werden, ist angesichts der jahrzehntelangen Präsenz von Vertriebenen im öffentlichen Leben der Bundesrepublik eher als Mythos zu sehen. Bemerkenswert ist, dass sich nun die politische Linke diese These zu eigen gemacht hat. Dies ist nicht nur mit wahltaktischen Überlegungen zu erklären, sondern stellt in der Tat eine Neuentdeckung des Vertreibungsthemas vor allem seitens der SPD dar, so dass diese nun für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ - wenn auch in „europäischer“ Variante - eintritt.

Notwendig sind klare Entscheidungen, statt faule Kompromisse

Obwohl sich im Bundestag eine grundsätzliche Befürwortung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ durch CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP abzeichnet, ist es eine Illusion zu glauben, es könne ein Zentrum geben, dass die verschiedenen Interessengruppen zufrieden stellt. Ein (lediglich) oberflächlicher Konsens kann nur dann erzielt werden, wenn der zentralen Frage nach der Trägerschaft des Zentrums ausgewichen wird: Der Bund der Vertriebenen betrachtet ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin als sein Projekt und wird sich davon nicht durch einen „europäischen“ Gegenvorschlag aus SPD-Kreisen abbringen lassen - mit allen Konsequenzen für das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn.

Alljährlich vor den Pfingstreffen der Vertriebenen wurden von der CDU/CSU Anträge zugunsten dieser Lobby ins Parlament eingebracht - zumeist gegen den Willen der Außenpolitiker dieser Fraktion, zumeist ohne Aussicht auf Erfolg und damit zumeist zur stillen Zufriedenheit aller Beteiligten. Dieses Ritual hat die rot-grüne Mehrheit nun durchbrochen, indem sie eine Diskussion um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ aufgenommen hat, die mit dem „Basta“ des Kanzlers eigentlich schon aussichtslos schien. Spätestens nach den nächsten Bundestagswahlen könnte sich erweisen, dass die derzeitigen Regierungsparteien einen strategischen Fehler begangen haben, indem sie mit ihrem „europäischen“ Gegenantrag den Eindruck eines vermeintlichen überparteilichen Konsenses für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ erweckt haben. Ein Zentrum, welches ihnen dann vielleicht überhaupt nicht mehr gefallen wird.

 

Piotr Buras, Politologe und Publizist, Warschau; Dr. Stefan Garsztecki, Politologe, Universität Bremen; Dr. Andrea Gawrich, Leiterin der Arbeitsstelle Ost-mitteleuropa, Forschungsinstitut der DGAP, Berlin; Basil Kerski, Chefredakteur des Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG, Berlin; Markus Mildenberger, Osteuropa-Historiker und Publizist, Berlin; Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2002; S. 1022-24