1. Weltweites Treffen der Danziger

 

Von Kurt Libera

In den Medien hier fast nicht wahrgenommen, fand in der Stadt Gdańsk vom 24.-26. Mai 2002 das “1. Weltweite Treffen der Danziger” statt. Wir selbst, Dr. Höhn und Dr. Libera, erfuhren von diesem Treffen fast zufällig in der Zeitschrift des Bundes der Danziger „Unser Danzig“, leider auch mit dem Touch eines kontroversen Hintergrundes. Als Mitglieder der „Berliner Gesellschaft für Faschismus und Weltkriegforschung e.V.“, zudem auch Danziger, interessierte uns diese Nachricht und ermunterte uns, die Reise in unsere ehemalige Heimatstadt zu unternehmen.

 

Vorweg: es war ein sehr beachtenswertes Ereignis. Die Schirmherrschaft dieses Treffens hatte der Präsident der Republik Polen, Alexander Kwaśniewski, übernommen. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stand, getragen vom Historischen Institut der Universität Gdańsk, der Danziger Abteilung der Polnischen Soziologischen Gesellschaft sowie dem archäologischen Museum der Stadt, eine zweitägige wissenschaftliche Konferenz. Als Ziel dieser Konferenz wie auch des Treffens der Danziger insgesamt formulierten die Veranstalter eine übergreifende Zusammenkunft, die frühere und heutige Danziger vereint, ihnen die multinationalen Traditionen dieser Stadt näher bringt und die recht komplizierte Identität des Raumes in Geschichte und Gegenwart deutlich macht.

Den Teilnehmern dieses Ereignisses bot sich eine Vielzahl von Eindrücken. Auf den historischen Straßen und Plätzen gab es festliche und volkstümliche Veranstal-tungen, die von den anwesenden Bürgern und Gästen der Stadt genutzt und freudig aufgenommen wurden. Den Teilnehmern, vor allem ehemaligen Danzigern aus aller Welt, bot sich zugleich die Zuneigung und Geborgenheit unter den heutigen Danzigern. Es hatte keine bessere Aussage über dieses Treffen gefunden werden können als der Satz „Jesteśmy z Gdańska - Ich bin ein Danziger“.

Im Mittelpunkt des ganzen Geschehens jedoch stand eine anspruchsvolle wissenschaftliche Konferenz, die den Teilnehmern, besonders den Historikern wie auch Soziologen, interessante Eindrücke und Erkenntnisse vermittelte. Diese zweitägige Konferenz - sie fand im Theater „Wybżerze“ (dem einstigen Staatstheater) statt - widmete sich am ersten Tag dem Thema: „Identität-Geschichte-Überdauern - Gdańsk im Schmelztiegel der Gesellschaften und Nationen“. Der zweite Beratungstag hingegen befasste sich mit dem Thema „Die gesellschaftlich-kulturelle Identität des heutigen Gdańsk”. Eröffnet wurde die Konferenz vom Präsidenten der Stadt, Pawel Adamowicz, der auch weiten Teilen der Beratung folgte. Insgesamt referierten während der Beratungen 23 namhafte Wissenschaftler, darunter auch drei aus deutschen Universitäten. Fast alle polnischen Universitäten von Krakau über Warschau, Łódź, Posen, Toruń und anderen - selbstverständlich auch die Universität Gdańsk - boten durch Wissenschaftler Themen eines weiten Spektrums von prähistorischen Fragen über das Mittelalter zur Neuen Zeit bis in die Gegenwart an.

Jeder einzelne Vortrag verdiente vom Inhalt her gewertet zu werden. Dies in interessierten Kreisen nachzuholen sollte dann unternommen werden, wird ein Protokoll dieser zweitägigen Konferenz, wie angekündigt wurde, veröffentlicht, auch in deutscher Sprache. Es könnte so ein weites Spektrum von Fragestellungen sichtbar werden, die vor allem mit dem historischen Prozess sowie der damit verknüpften jeweiligen Identität der hier agierenden Menschen während einer mehr als zweitausendjährigen Geschichte dieser Region des Ostseeraumes verbunden sind. Die Geschichte begann mit den hier agierenden Völkern des baltischen Raumes in prähistorischer Zeit und verwob sich im zweiten Drittel des ersten Jahrtausends mit den slawischen Völkern. Immer war dieser Prozess mit der Entwicklung der Geschichte des europäischen Raumes verbunden, daher auch stets multikulturell geprägt. Als solch ein Prozess muss auch die jüngste Geschichte und Entwicklung verstanden werden und sich in die weitere Gestaltung des europäischen Raumes einordnen und fortsetzen. Beachtenswert in diesem Zusammenhang auch jene geäußerten Gedanken, dass es Gemeinsamkeiten des Leidens in der Geschichte, besonders in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, gibt. Dies gilt für diejenigen Polen und anderen ethnischen Gruppen, die es nach dem verheerenden zweiten Weltkrieg in diese Region verschlug, aber auch jener Deutschen die nach diesem Krieg Leid erfuhren, ihre Heimat verlassen mussten. Auch dies gehört in die Geschichte dieser Stadt und zur Identität der Menschen, sowohl derer, die hier leben und wirken, als auch derer, die nach diesem Krieg überall in Europa und anderen Teilen der Welt ihre neue Heimat fanden. Diese Identität gilt es weiter zu erfassen und zu vertiefen. Nur dies sind die einzig möglichen Gesichtspunkte der künftigen Gemeinsamkeit in einem vereinten Europa und der Vertiefung dieser Gemeinsamkeiten. Und dieser Prozess darf nur von humanitären und zivilisatorischen Gesichtspunkten in der gegenwärtigen Entwicklung geprägt sein und sich fortsetzen.

Für den Teilnehmer an dieser Konferenz war die sachliche und schöpferische Atmosphäre wohltuend. Gerade sie ist dazu angetan, auch aktuelle Fragen des europäischen Zusammenwachsens zu befördern. Auch als Gegenposition zu hiesigen kontraproduktiven Standpunkten, die als Beitrittsvoraussetzung in die Europäische Union fordern, dass die Tschechische Republik, die Republik Polen und Slowenien zunächst „ihre noch bestehenden menschenrechtswidrigen Gesetze aufheben“. Wie auch immer - und sei es nur aus wahltaktischen Gründen - solche Aussagen gemeint sind und propagiert werden, sie sind der Lösung gegenwärtiger Fragen hinderlich, mehr noch: Sie sind selbst m.E. menschenrechtswidrig. Solchen “deutschen Tönen” gab dieses Danziger Treffen eine bessere Antwort und Aussage, möglicherweise dient es sogar als Vorbild auf dem Weg zum gemeinsamen Konsens.

Abschließend ein besonderes, persönliches Erlebnis neben beeindruckenden Gesprächen mit vielen heute in Danzig Wohnenden wie auch ehemaligen Danzigern aus aller Welt. Ich selbst befand mich in dem Raum des Konferenzortes, in dem ich mich als 14 Jähriger im ehemaligen Danziger Staatstheater oft aufhielt. Als ich mich am zweiten Tag zur Diskussion meldete und u.a. berichtete, dass ich auf dieser Bühne vor 60 Jahren in Chören der Opern Carmen, Aida und Marienburg in vielen Aufführungen begeisterter Sänger war und mich die Erinnerung daran genau so bewegt wie die Möglichkeit, hier nun einige Gedanken zu äußern, verspürte ich eine wohltuende Verbundenheit mit all denen, die mir aus dem Saal zuhörten.