„Es muss viele solche Projekte geben!“

Das deutsch-polnische Austauschprojekt für Studierende der Geschichte in Bochum und Krakau

 

Von Mario Ullrich

„Polen hat sich unglaublich verändert. Die Situation im Jahre 1989 erinnerte mich an die deutsche Nachkriegszeit. Man hat in zehn Jahren 50 oder 60 Jahre nachgeholt. Und die Menschen haben sich verändert.“ Zu dieser Beurteilung der Verhältnisse in unserem Nachbarland kommt der Bochumer Historiker Dr. Hubert Schneider, der sich eine solche Einschätzung durchaus erlauben darf. Im Rahmen der Partnerschaft zwischen der Ruhr-Universität, an der er seit 1974 tätig ist, und der Jagiellonien-Universität in Krakau hat er sich nämlich in den 1980er Jahre für die Initiierung eines studentischen  Austauschprojekts dieser beiden Hochschulen bzw. der Pädagogischen Akademie in Krakau eingesetzt, das bis heute Bestand hat.

 

Als es um 1985 diesbezüglich erste Gespräche gab, wurde dem Plan zunächst erst  überhaupt keine Chance gegeben, zumal auf deutscher Seite keine Studierenden zu finden waren, die sich dafür interessierten. Erst nach einer gewissen Anlaufzeit, in der Schneider in seinen Veranstaltungen für das Projekt warb, fuhren dann 1989 die ersten Studierenden der Ruhr-Universität nach Polen. Die erste Begegnung zwischen den deutschen und polnischen Studierenden zeigte sich nicht nur deswegen als sehr problematisch, weil man nur sehr wenig voneinander wusste und viel zu sehr in den gegenseitigen Vorurteilen verwurzelt war. Auch das ökonomische Gefälle beider Länder machte sich bemerkbar. Während sich die polnische Währung auf dem Tiefstand befand, wussten die deutschen Studierenden nicht, wie sie ihr Taschengeld ausgeben sollten.

Aber auch der Ort “Auschwitz”, wo dieses erste deutsch-polnische Seminar stattfand, machte der deutschen Seite zu schaffen: „Die Deutschen hatten schon mit dem Ort zu kämpfen“, so Schneider, der eigentlich aus der Osteuropäischen Geschichte kommt, dessen Forschungsschwerpunkt aber zunehmend der Nationalsozialismus und das Schicksal der Juden, vor allem in Lokalstudien zu Bochum, ist, „dann kamen auch noch die polnischen Studierenden dahin, von denen einige Angehörige in Auschwitz verloren hatten. Also, sehr schwierig.“ Aufgrund dessen wurde das Seminar in der Folge auch nicht mehr gemeinsam in Oświęcim durchgeführt. Das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen verbesserte und normalisierte sich jedoch bereits 1990 beim polnischen Gegenbesuch in Bochum. Man beschloss die Fortsetzung des Projekts, obgleich die Finanzierung immer problematisch blieb.

Die Rahmenthemen dieses Studierendenaustauschs, der innerhalb zweier Semester in Auschwitz (nur für die deutsche Gruppe), Krakau und Bochum stattfindet, beziehen sich seitdem immer auf Aspekte der deutsch-polnischen Geschichte, z. B. „Polenbilder in Deutschland - Deutschlandbilder in Polen“ oder wie zuletzt „Deutsche-Juden-Polen“ (2001/02). Im ersten Semester wird das jeweilige Projekt auf beiden Seiten vorbereitet. Die bochumer Studierenden besuchen Begleitübungen und ein Wochenendseminar, das sich bspw. mit polnischen Filmen oder Literatur aus Polen beschäftigt.

An diese Vorbereitungsphase schließt sich dann die Fahrt in unser Nachbarland an. Die deutsche Gruppe hält sich zunächst eine Woche in der Gedenkstätte Auschwitz auf, wobei vor allem das ehemalige Stammlager als Konzentrationslager für Polen thematisiert wird. Nach dieser Woche sind die Deutschen dann für zehn Tage Gäste der Jagiellonien-Universität in Krakau. Im Mittelpunkt steht ein dreitägiges wissenschaftliches Seminar der insgesamt ungefähr 30 Teilnehmer beider Gruppen zum vorbereiteten Thema, wobei in der Diskussion das Augenmerk vorwiegend auf das 18. und 19. Jahrhundert gerichtet wird. Daneben informieren die polnischen die deutschen Studierenden, was es bedeutet, in Polen eine Hochschule zu besuchen, und zeigen ihnen ihre Stadt und das Umland.

Im zweiten Semester gibt es in Bochum ein Nachbereitungsseminar, in dem diejenigen Fragen behandelt werden, die während der Polenfahrt aufgetreten sind. Synchron wird das Seminar des Gegenbesuchs vorbereitet. Die polnischen Studierenden kommen daran anschließend nach Bochum, wobei sie bei den deutschen Kollegen wohnen. Schwerpunkt des Seminars ist dann im Rahmen des jeweiligen Themas das 20. Jahrhundert. Die polnischen Gäste erfahren wiederum, was es heißt, in Deutschland zu studieren, und ihnen werden Bochum und einzelne Attraktionen Nordrhein-Westfalens (z. B. in Münster, Köln oder Essen) vorgestellt.

Die Resultate des gesamten Projekts sind als positiv zu bewerten: Seit 1989 haben bisher ungefähr 200 polnische und 200 deutsche Studierende an diesem Programm teilgenommen, die für die deutsch-polnischen Probleme sensibilisiert worden sind. Eine beträchtliche Zahl der deutschen Studierenden hat nach der Teilnahme bis zum Examen an einem deutsch-polnischen Thema weitergearbeitet. Andere haben Polnisch gelernt oder gar in Polen studiert. Viele ehemalige Teilnehmer sind heute in den unterschiedlichsten Medien, Museen, Bibliotheken oder in politischen Parteien tätig.

Inzwischen genießt das Projekt im Gegensatz zu seiner Anfangszeit sowohl in Krakau als auch in Bochum großes Ansehen. So ist Hubert Schneider für seine Verdienste um dieses Projekt auf beiden Seiten ausgezeichnet worden. Die dafür notwendige Finanzierung ist inzwischen endlich abgesichert. Im Jahre 2003 wird er die Veranstaltung noch einmal leiten. Was nach seiner Pensionierung geschieht, ist momentan noch unklar. Das Projekt soll aber auf jeden Fall fortgeführt werden, denn „will man nicht, dass die aktuellen Beziehungen immer wieder von der Geschichte eingeholt werden, muss man dafür sorgen, dass es zu Begegnungen zwischen den Menschen kommt und dass sie offensiv mit der Geschichte umgehen. Nicht, um die Geschichte zu beschönigen, sondern es geht um Folgendes: Im Wissen um die schwierige Geschichte sollen positive Kräfte mobilisiert werden, Gegenwart und Zukunft kreativ zu gestalten.“ Daher müsse es nach Schneiders Ansicht viele Projekte dieser Art geben.

Da können wir ihm als Teilnehmer des letzten Projekts, das sich in den letzten beiden Semestern mit dem Thema „Deutsche – Juden – Polen“ beschäftigte, nur zustimmen. Verwiesen sei darüber hinaus nur auf die Freundschaften mit den polnischen Studierenden, die im Laufe des Projekts entstanden sind. Denn es geht bei diesem Projekt, das sich mit der Historie auseinandersetzt, nicht immer nur Ernst zu.