Das Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und
Europastudien kommt in Gang
Von Krzysztof
Ruchniewicz
In Anwesenheit des Premierministers der Republik Polen, Leszek Miller, und des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder, fand am 18. Juni 2002 die feierliche Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Universität Breslau und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) über die Eröffnung des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien statt. Dieser Akt war der krönende Abschluss zweijähriger Bemühungen, eine solche Einrichtung ins Leben zu rufen. Das Zentrum ist eine polnische Einrichtung, die somit auch gemäß dem polnischen Recht tätig sein wird.
Gründungsinitiator des Zentrums für Deutschland- und
Europastudien war der Bundeskanzler, der während seines Besuches in Warschau im
Dezember 2000 aus Anlass des 30. Jahrestages der Unterzeichnung des Warschauer
Paktes von der Notwendigkeit gesprochen hatte, eine solche Forschungs- und
Lehreinrichtung ins Leben zu rufen. Diese sollte nicht nur zu einem besseren
deutsch-polnischen Verständnis beitragen, sondern auch die polnischen
Führungskräfte im Hinblick auf den geplanten Beitritt Polens zur Europäischen
Union vorbereiten. Die Wahl Willy Brandts zum Schirmherren dieser Einrichtung
war keinesfalls zufällig. Willy Brandt, Bundeskanzler, Staatsmann, war
engagierter Fürsprecher der Verständigung und Aussöhnung mit den Ländern Ost-
und Mitteleuropas. Dank seines Engagements und seiner Konsequenz im Handeln
gelang es der Bundesrepublik Deutschland, diplomatische Beziehungen mit mittel-
und osteuropäischen Ländern, darunter auch mit Polen, aufzunehmen und die so
genannte Hallstein-Doktrin, die über viele Jahre die Außenpolitik der
Bundesrepublik in östlicher Richtung hemmte, zu überwinden.
Brandts "Ost-Politik" hat mit der Zeit zu einer
Entspannung in den Ost-West Beziehungen und zum Beginn eines belebten, über
politische Differenzen erhabenen Dialoges geführt. Für immer ist sowohl den
Polen als auch den Deutschen Brandts Kniefall vor dem Monument für die Opfer
des Warschauer Ghettos in Erinnerung geblieben; dieses Bild wurde zu einer immens
wichtigen symbolischen Geste im Hinblick auf die deutsch-polnischen Beziehungen.
Auf diese Weise wollte der deutsche Kanzler seine tiefe Trauer über das Leid
und die Opfer, die Polen und Juden von Seiten des nationalsozialistischen
Deutschland in den Jahren des Zweiten Weltkrieges zu erleiden hatten, zum Ausdruck
bringen. Diese Geste vollführte ein Mensch, der erklärter Gegner des Nationalsozialismus
war. Als Emigrant ab 1933 sowie als aktives Mitglied der Anti-Hitler-Opposition
im Ausland blieb er von jeglicher nationalsozialistischer Vergangenheit
unbelastet.
Willy Brandts Bemühungen um eine Verständigung zwischen den
Völkern und eine damit einhergehende Friedenspolitik wurden von der
Weltöffentlichkeit in kürzester Zeit wahrgenommen. Im Jahre 1971 hat ihm das
Nobelpreiskomitee den Nobelpreis verliehen.
An die Prinzipien, die Willy Brandts Politik bestimmten,
knüpft das neue Zentrum an. Durch seine interdisziplinäre Struktur und
Integrationsforschung soll es einem besseren Verständnis der neuen europäischen
Realität dienlich sein, indem es nationsübergreifende Perspektiven unter
Berücksichtigung des kulturellen Mosaiks Europas aufzeigt.
Das Zentrum wird seine angestrebten Ziele durch
Forschungsprojekte sowie auch die Organisation von Lehre in Form vom
Post-magister- und Doktorandenstudiengängen realisieren. Die generellen
Forschungsrichtungen werden innerhalb der nächsten Zeit konkretisiert, die
Forschungsergebnisse sollen in gesonderten Serien im Rahmen der Arbeiten des
Zentrums publiziert werden. Partielle Effekte dieser Forschungen erscheinen
dann im Jahrbuch des Zentrums, dessen erste Ausgabe noch im laufenden Jahr
herausgegeben werden soll. Das Forschungszentrum wird zu den Projekten
Spezialisten verschiedener Fachgebiete einladen, um dem Anspruch des
interdisziplinären Charakters gerecht zu werden. Mit der Zeit könnte es auch zu
einer Institution erwachsen, die zwischen Ideengebern und der Ausführung
verschiedener Forschungsprojekte im In- und Ausland aus dem Bereich der
Deutschland- oder Europastudien vermittelnd tätig wird. In engem Zusammenhang
mit den Forschungsvorhaben steht auch die Organisation der didaktischen
Tätigkeit. Für das Wintersemester 2002/2003 plant man die Eröffnung eines
2-jährigen Postmagisterstudiums sowie Doktorandenstudiums. Während des Studiums
sollen die Studierenden nicht nur Theoretisches, sondern auch praktisches
Wissen erlangen, was ihnen erlaubt, ihre Chancen zu steigern, einen
Arbeitsplatz sowohl auf dem polnischen als auch bald auf dem europäischen Markt
zu finden. Das Zentrum wird sechs Lehrstühle aufweisen: Allgemeines und
Europäisches Recht, Wirtschaft, Politologie, Kulturwissenschaften.
Der fünfte Lehrstuhl wurde in zwei Abteilungen unterteilt
(jede als Teilzeit): Germanistik und Geschichte. Diese Teilung spiegelt das
Programm des Zentrums wider. Es soll kein Geschichtszentrum sein, sondern eine
Einrichtung, die sich mit den gegenwärtigen Problemen Deutschlands und Europas
befasst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Geschichte und Germanistik auf ein
Minimum reduziert werden. Die Geschichte und Kultur Deutschlands sowie die
Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen bilden nicht selten die Grundlage
einer genaueren Kenntnis über die gegenwärtigen Probleme.
Der sechste Lehrstuhl bleibt für einen Gastprofessor reserviert.
Im Rahmen der bereits erwähnten Lehrstühle sollen Blockseminare angeboten
werden, die es erlauben, erstklassige Spezialisten aus dem In- und Ausland zu
gewinnen. Die Lehrtätigkeit des Zentrums wird durch Vorlesungen bekannter
Persönlichkeiten aus der Politik, Kultur und Wirtschaft ergänzt.
Der zwischen der Universität Breslau und dem DAAD
unterzeichnete Vertrag ist ein Partnerschaftsabkommen. Die finanziellen
Zuwendungen für die Tätigkeit des Zentrums werden somit jährlich zu gleichen
Teilen von polnischer und deutscher Seite erbracht. Um zusätzliche Zuwendungen
wird sich das Zentrum aus zentralen Fonds (zum Beispiel Forschungskomitee, Ministerium
für Bildung und Sport), von Sponsoren und anderen Organisationen bemühen.
Sitz des Zentrums ist das vom Marschallamt übereignete
Gebäude in der Bartla Straße 5A. Der technische Zustand dieses Gebäudes
erfordert jedoch eine Renovie-rung, wofür das Zentrum zusätzliche Mittel
aufbringen muss. Das Zentrum wird seine Tätigkeit aufnehmen; ein Beginn wäre jedoch
nicht ohne Unterstützung seitens des Rektorats, ohne Arbeitsaufwand und
Entgegenkommen der Repräsentanten interessierter Lehrstühle sowie ohne die
Unterstützung kommunaler Ämter möglich gewesen .
Mehr Informationen über das Zentrum, seine Ziele und
geplante Vorhaben sind auf der Internetseite www.wbz.uni.wroc.pl zu finden.
Der Autor, Dr. Krzysztof Ruchniewicz, ist Historiker an der Universität Wrocław, zur Zeit amtierender Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien m