„... der Polnischen Sprache kundig seyn...“
Zur Geschichte
des Polnisch- Unterrichtes im Königreich Preußen und in der DDR
Von Josef Kotyczka
In meinem Besitz befinden sich zwei Lehrbücher der polnischen Sprache vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Beide waren für den Polnisch–Unterricht an deutschen Schulen bestimmt. Es sind dies: ein „Polnisches Lesebuch für Anfänger mit kurzgefasster Sprachlehre und einem Wörterbuch“ von Andreas Polsfus, Sechste verbesserte und wohlfeilere Auflage, Wrocław, 1827 sowie ein „Elementarbuch der polnischen Sprache zum Gebrauch der Schulen und zum Selbstunterricht“, herausgegeben von A. Poplinski, Posen, 1842. Immer wenn ich diese beiden Bücher zur Hand nehme, versuche ich mir vorzustellen, wer sie wohl benutzt haben mag und welcher Umstand die Autoren zu dieser Arbeit bewogen hat. Das erst genannte Buch muss bereits um 1800 erschienen sein, in einer Zeit, als Preußen, Österreich und Russland das Schicksal Polens besiegelt hatten.
Die Bücher beweisen, dass es
bereits damals Versuche gegeben haben muss, Polnisch als Fremdsprache an
deutschen Schulen zu unterrichten.
Der Nachweis gelang mir nach der
Wende, als ich im Geheimen Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz, Berlin die
„Acta des Königl. Ober-Schul-Collegii“ einsehen konnte. Der preußische König
Friedrich Wilhelm II. erließ am 14. September 1796 eine Kabinettsorder, in der
er das Erlernen der polnischen Sprache an allen höheren Schulen und Universitäten
des Landes befahl:
„Da die Besetzung der Civil
Stellen in den neu acquirierten Polnischen Provinzen eine beträchtliche Anzahl
von Subjectis erfordert, welche der Polnischen Sprache kundig seyn müssen; So
befehlen Se. Königliche Majestät von Preussen p. Unserallergnädigster Herr,
Höchst dero Ober Schul Collegio, auf sämtlichen Landes Ost- und West-Preussen,
in Schlesien und in der Neumark solche Veranstaltungen zu treffen, und dass sie
zugleich zu dem Studio derselben aufgemuntert und angehalten werden, welches zu
dem eigenen Besten solcher Subjecte gereichen wird, indem diejenigen, die bey
den übrigen Erfordernissen, zugleich das Polnische Universitäten so wie schon
auf den höhreren Schulen und Gymnasiis, besonders in verstehen, und sich darin ausdrücken
können, auf die besten Versorgungen in den neuen Provinzen vorzüglichen
Anspruch haben sollen.“
Aus zwei bislang weitgehend
unbekannten und noch nicht veröffentlichten Aktenbänden (GstA PK, I, HA Rep.76
als Oberschulkollegium, Bd. I u. II, Nr. 25 u. 26: Die Erlernung der polnischen
Sprache auf den Landesuniversitäten, höheren Schulen und Gymnasien) geht hervor,
dass an mehreren Gymnasien des Landes, so in Brieg, Breslau, Danzig, Thorn,
Königsberg und Berlin, sowie an den Universitäten in Königsberg, Halle und
Frankfurt/Oder Polnisch als Fremdsprache gelehrt wurde. Die Kabinettsorder des
Königs entsprach gewiss nicht seiner Zuneigung Polen gegenüber; es ging
ausschließlich um die Ausbildung deutscher Beamter für die annektierten
polnischen Gebiete. Da es keinen einheitlichen Lehrplan gab, blieb es den
Lehrern überlassen, den Lehrstoff auszuwählen. Mehrere Lehrbücher wurden von
deutschen und polnischen Lehrern verfasst und gewinnorientiert veröffentlicht.
Im Vordergrund stand dabei immer die Vermittlung des Wortschatzes und der
Grammatik, in Einzelfällen, wie z. B. am Grauen Kloster in Berlin, ging es auch
darum, die Schüler mit der polnischen Literatur, Geschichte und Kultur bekannt
zu machen.
Ich habe 40 Jahre lang als
Polnischlehrer an verschiedenen Schulen in Berlin- Lichtenberg gearbeitet und
in dieser Zeit vielfältige Materialien gesammelt. Diese Unterlagen sowie meine
Erfahrungen im real existierenden Sozialismus bilden die Quellen des
nachfolgenden Abrisses über den Polnischunterricht in der DDR.
Die DDR-Führung wurde nicht müde,
die 1949 gegründete DDR als den wahren „Friedensstaat“ zu preisen. Es war viel
von „Friedenskampf“ und „Völkerfreund-schaft“ die Rede. Die Wirklichkeit war
eine andere. Der Kalte Krieg war in vollem Gange.
In diese Zeit fällt die Gründung
der „Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft“ (19. August 1948), einer
überparteilichen Organisation von Intellektuellen, die sich den
deutsch-polnischen Beziehungen widmete und ab 1949 die Zeitschrift „Blick nach
Polen“ herausgab. Diese Gesellschaft wurde im März 1949 in der DDR in die
„Deutsch-Polnische Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft“ umbenannt
und ging zwei Jahre später in der „Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit
dem Ausland“ auf. Das war praktisch das Aus ihrer Selbstständigkeit. Wahrscheinlich
auf Initiative der „Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft“
wurde der März zum „Monat der deutsch-polnischen Freundschaft“ erklärt. Die
Schulen hatten diesen Monat wie eine Kampagne „durchzuorganisieren“. Folgende
Maßnahmen wurden beschlossen und ergingen als „Anweisung Nr. 88 über den Monat
der deutsch-polnischen Freundschaft“ an die Volksbil-dungsminister der Länder:
Es musste u. a. ein Aufsatzwettbewerb mit vorgegebener, eindeutig
propagandistischer Thematik gestaffelt nach Altersgruppen in allen (!) Schulen
durchgeführt werden. Der beste Aufsatz jeder Gruppe musste dem Schulrat
zugeschickt werden, der wiederum eine spezielle Kommission einzuberufen hatte.
Die dort ausgewählten zwei besten Aufsätze gingen an die Landeskommission.
Schließlich wurden die 10 besten Aufsätze
von den Landeskommissionen während einer Feierstunde an Kreisschulämter
in der Volksrepublik Polen übergeben. Die Sichtwerbung an den Schulen sollte
zeigen, dass „die Freundschaft mit Volkspolen allen Lehrern und Schülern besonders
am Herzen liegt“; es waren so genannte „Freundschaftsecken“ einzurichten. Jede
Schule hatte eine Elternversammlung „mit vorbildlicher kultureller Umrahmung“
durchzuführen. Jeder „fortschrittliche“ Lehrer war verpflichtet, „den Gedanken
des Friedens und der guten Nachbarschaft“ in seinem Unterricht zu vertiefen.
Kurz- und Spielfilme aus der damaligen polnischen Produktion sollten außerhalb
der Schulzeit besucht und im Unterricht ausgewertet werden. Auf den
deutsch-polnischen Gemeinschaftsfilm
„Die Sonnenbrucks“ (poln. „Niemcy“) wurde besonders hingewiesen. Diese
massive Staats-propaganda wirkte bei vielen Menschen kontraproduktiv, da sie
der Wirklichkeit nicht entsprach. Reisen nach Polen oder Gespräche mit Polen
waren der Bevölkerung gar nicht möglich! Die Erinnerungen an die Ereignisse des
Zweiten Welt-krieges waren auf beiden Seiten noch viel zu frisch. Zugleich bewirkte
die Propaganda aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Krieg, dem Überfall Nazi-Deutschlands
auf Polen und der Okkupation Polens in breiten Bevölkerungsschichten.
Am 6. Juni 1950 wurden in
Warschau die „Deklaration über die Markierung der deutsch-polnischen Staatsgrenze“,
das „Protokoll über kulturelle Zusammenarbeit zwischen der Deutschen
Demokratischen Republik und der Republik Polen“, weiterhin das „Abkommen über
technische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ sowie das „Abkommen
über den Waren- und Zahlungsverkehr“ unterzeichnet. Im „Protokoll über
kulturelle Zusammenarbeit“ wurde u.a. vereinbart, „... Materialien und
Programme aus dem Gebiet der Oberschulen und Fachschulen sowie der Hochschulen
zugänglich zu machen, um jeder der Parteien die Möglichkeit zu geben, die
Erfahrungen der anderen Partei für sich auszuwerten.“ (Tägliche Rundschau,
Berlin, 8.6.1950).
Diese Abkommen waren der erste
offizielle politische Schritt in Richtung einer Zusammenarbeit auch auf dem
schulischen Gebiet. Die Einführung des Polnisch- Unterrichts erfolgte dann am
1. September 1951. Gleichzeitig wurde auch der Tschechischunterricht
aufgenommen. Anfang des Jahres 1951 berief das Ministerium für Volksbildung der
DDR einen Lehrgang für Lehrer der polnischen und tschechischen Sprache in
Magdeburg ein. Die Teilnehmer, allesamt Lehrer aus DDR-Schulen, stammten aus
den ehemaligen Ostgebieten bzw. der Tschechoslowakei und waren zweisprachig aufgewachsen. Es überwog
damals die Gruppe der 40jährigen. Von den 26 Lehrer-Teilnehmern des
Polnischkurses wurden nur sechs an Oberschulen und der Leipziger Universität
eingesetzt. Ich war darunter und ging nach Berlin-Lichtenberg. Alle anderen
zwanzig gingen an ihre alten Schulen zurück oder suchten sich eine neue Schule.
Nun gab es in Görlitz, Leipzig, Magdeburg (nach kurzer Zeit verstarb der Magdeburger
Kollege, so dass der Unterricht nicht weiter geführt werden konnte), in Erfurt,
Rostock und Berlin je einen Polnischlehrer. Mitte der 60er Jahre kamen drei
weitere Städte mit je einem Lehrer hinzu: Cottbus, Greifswald und
Wittenberge. Damit wurde an acht
Oberschulen der DDR Polnisch als Fremdsprache gelehrt. Alle Polnischlehrer
konnten ab 1963 kostenlos an Fortbildungskursen in Warschau teilnehmen, die
sich über drei Sommerwochen während der
Ferienzeit erstreckten. Die DDR-Lehrer nutzten diese Ferienkurse sehr gern,
weil sie in Polen sozialistische Verhältnisse freierer Art erlebten, mit vielen
polnischen Bürgern, Kollegen, wichtigen polnischen Literaten, Regisseuren und
anderen Künstlern ins Gespräch kamen und nicht zuletzt westliche Bücher kaufen
konnten, die es in der DDR nicht gab. Gegenüber den anderen
Fremdsprachenlehrern waren die Polnischlehrer in der Tat privilegiert; den allermeisten
Fremdsprachenlehrern für Russisch, Englisch und Französisch war es nicht möglich,
das Land zu bereisen, dessen Sprache sie lehrten.
(Fortsetzung folgt in der
nächsten Ausgabe von POLEN und wir) m
Der Autor, Jozef Kotyczka, war Polnisch-Lehrer in der DDR in Berlin-Lichtenberg zwischen 1951 und 1990