Sorge um mangelnde Sensibilität und Angst vor dem Vergessen

Von René Wöhlert und Angelika Stobinski

 

Wir, etwa 25 - 30 Hohen Neuendorfer und einige Gäste, trafen uns am 9. November 2002 an einem Ort, an dem das Gedenken an Menschen aufrechterhalten werden soll, die für die Befreiung von einer mörderischen Diktatur ihr Leben lassen mussten. Bei uns am Rande Berlins starben fern ihrer Heimat polnische Soldaten. Ein Ehrenmal aus vier rötlichen Steinblöcken und drei in Stein gemeißelten Adlern erinnert an die, die für eine friedliche Zukunft gestorben sind.

 

Es war Ende August, vielleicht der 25., ein Sonntag im Jahr 2002, als das Andenken an diese Menschen auf perfide Weise mit dem Hakenkreuz diffamiert wurde. Das Symbol, unter dem die Völker Europas - zuerst Polen - überfallen wurden, prangte wie Hohn weithin für jeden Vorübergehenden schwarz und gut sichtbar auf einem Stein des Ehrenmals für die 1. Polnische Armee in der Käthe-Kollwillz-Straße. Ob das Hakenkreuz dennoch unbemerkt oder  als nicht besonders bemerkenswert erachtet schon länger einfach hingenommen wurde, ist nicht mehr festzustellen. Aber schließlich erstatteten Einwohner Anzeige und ihnen folgte dann auch die Stadt.

Es war der 9. November, ein Mittwoch im Jahre 1938: Seit der Pogromnacht sind 64 Jahre vergangen.

Aber wieder wird Hass gesät, werden rassistisch motivierte Ressentiments nicht nur an Stammtischen gepflegt, wird versucht zu verhetzen und wird Menschen Gewalt angetan, weil sie anders sind. Begünstigend wirken die für unsere am Markt, an Reichtum und Karriere orientierten Gesellschaft typische Kälte und Entsolidarisierung. Es entsteht eine Atmosphäre, in der Menschen dazu übergehen, ihren Ellenbogen als den wichtigsten Körperteil zu benutzen, Herzen und Mitgefühl verkümmern zu lassen.

Es war der 9. November 2002, auf den wir uns einigten, um uns am Ehrenmal zu versammeln, getragen vom Wunsch, unserer Sorge Ausdruck zu verleihen und gemeinsam Taten gegen das Vergessen auf diesen feigen Anschlag folgen zu lassen.

Erhob der Kulturkreis der Stadt im August auch schon öffentlichen Protest gegen die Nazi-Schmierfinken, so sollte als Schlussfolgerung, dieses Ehrenmal nach Vorstellung der ‚Bürgerinitiative Zukunftswerkstatt’ stärker im Bewusstsein lebendig gehalten werden. Unsere Erwartungen an die Resonanz waren groß, hatten sich doch über 600 Einwohner aller Generationen durch Unterschrift mit unserem Protest solidarisch erklärt. Es stimmte nachdenklich: Wir waren am 9. November 2002 kaum 25., die bereit waren mit uns ein Zeichen zu setzen. Bei den im Parlament vertretenen demokratischen Parteien fanden wir außer bei PDS und bei Bündnis 90/Die Grünen keine Resonanz. Auch aus den Rathausstuben lies sich, im Vergleich zu anderen Gemeinden in Oberhavel, an diesem Tag auf unserer Gedenkveranstaltung am polnischen Ehrenmal niemand sehen. Nur die Polizei interessierte sich für unsere Veranstaltung in solidarischer Weise.

Schon einmal planten wir, die Öffentlichkeit am Denkmal zu mobilisieren: Am 3. Oktober 2002, dem Tag der deutschen Einheit, in Hohen Neuendorf mit einem Herbstfest gefeiert. Wir wollten zur Ehrenrettung der Stadt die öffentliche Verhüllung des Hakenkreuzes vornehmen, denn es war für uns unerträglich, dass das Hakenkreuz nach gescheiterten Reinigungsversuchen noch immer gut sichtbar war und es Verantwortliche nicht zu stören schien. Ja, man stellte offenbar auch keinen Bezug zur Verantwortung als Partnerstadt mit dem polnischen Janów Podlaski her und lies diesbezüglich angebrachte Sensibilität vermissen. War es Zufall oder symptomatisch, dass die Stadt erst dann reagierte, als spektakulärer Protest drohte und infolge dessen das Hakenkreuz endlich mit einer Holzplatte versteckt wurde? Vielleicht sind die Untätigkeit der Verantwortlichen ein gutes Beispiel dafür, dass einige glauben könnten, es reiche aus, dass sich heute Verfassungsschutz, Staatsanwälte, Gerichte mit denjenigen befassen, die das Rad der Geschichte auf 1933 zurückdrehen wollen. Die Erkenntnis, dass es auf die tagtägliche Solidarität von Demokraten ankommt, auf die Zivilcourage der Bürger, nicht zuzulassen, dass es gelingt, unsere auf Demokratie und Menschenwürde verfasste Gesellschaft zu verhöhnen und gar zu unterwandern, ist bei uns offenbar noch nicht weit vorgedrungen.

Mit dem Kulturkreis haben Bürgerinnen und Bürger ein wichtiges Zeichen für ein friedliches Miteinander, gegen Krieg, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt gesetzt. Für sie steht fest: Nie wieder unter dem Hakenkreuz! Nie wieder Pogrome! Nie wieder Krieg!  Das mögen unsere polnischen Nachbarn erfahren.

Nachsatz: Ein Wermutstropfen beschäftigte die Versammelten von PDS, Grünen, Stadtverein, Kulturkreis und der Gesellschaft für gute Nachbarschaft mit Polen am Ehrenmal und hat zu einem unguten Gefühl beigetragen: Die auf Städtepartnerschaften hinweisenden Tafeln mit Janów Podlaski in Polen und Maing in Frankreich auf der B96 am Ortseingang (von Birkenwerder kommend), fehlen seit längerer Zeit. Auf Nachfrage nach dem Verbleib bestätigte der Amtsleiter für Ordnung vor längerer Zeit, dass er den Sachverhalt zuständigkeitshalber an den Hauptamtsleiter weitergegeben hat. Inzwischen erfuhren wir aus der Presse: Es wird noch daran gearbeitet und nach neuem haltbarerem Material gesucht, das das Abreißen der Schilder schwerer machen würde. Einen politischen Hintergründ gäbe es aus Sicht des Rathauses nicht, der Grund sei eher  ganz banal: die Befestigung der Schilder war defekt und ließ sich nicht mehr reparieren… Warum erfuhr das die Öffentlichkeit nicht vor Wochen aus dem Rathaus?                                                                                                                                                                                    m

Kulturkreis, Projekt „Brot und Salz”