Millionen Deutsche im gesamten „Dritten Reich“ verloren im Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) ihren Wohnsitz und ihr Hab und Gut bis zur letzten Sammeltasse; dies auf Grund eines verbrecherischen Krieges, den die großdeutsche Reichsregierung, ihre Generalität und der bedingungslose Einsatz deutscher Soldaten am 1. September 1939 durch den Überfall auf Polen auslösten. In erster Linie leidtragend war die zivile Bevölkerung in den Ländern fast ganz Europas, in die deutsche Truppen einfielen, oder deren Städte durch die deutsche Luftwaffe bombardiert wurden, wie beispielsweise schon sehr früh auf der britischen Insel: „Wir fahren gegen Engeland...“ schmetterten bereits die Pimpfe der Hitler-Jugend. Deutsche Städte fielen ebenfalls in Trümmer, so zum Beispiel Darmstadt, dort verbrachte ich meine Kindheit. In der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 wurden in Darmstadt über 10.000 Menschen1 Opfer dieses Krieges. Niemand ist allerdings bisher auf die Idee gekommen, für den Schaden die Alliierten haftbar zu machen.
Mit einer gewaltigen Anstrengung
aller Deutschen in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende wurde der
Trümmerschutt weggeräumt, die Städte, eine neue Infra-struktur und die Fabriken
wieder aufgebaut. Außerdem wurden Millionen von Menschen, die im ehemaligen
Osten des Deutschen Reiches oder im neu geschaffenen „Warthegau“ in Polen ihren
Wohnsitz verloren und nach dem Krieg auf Grund alliierter Beschlüsse
ausgesiedelt wurden, in Deutschland integriert.
Auch Darmstadt wurde wieder
aufgebaut und beherbergt seit über 20 Jahren das „Deutsche Polen-Institut“ in
stadteigenen Gebäuden. Die Arbeit dieser Einrichtung zielt mit Erfolg auf eine
Verständigung zwischen Polen und Deutschen, zwischen Deutschland und Polen, das
unter deutscher Besatzung so viel hat leiden müssen.
Wie sieht das nun mit der
Verständigung derer aus, die „von drüben“ kamen und hier einen neuen Wohnsitz,
Arbeit und Auskommen, Freunde und Verständnis für ihre schwierige Situation
fanden oder besser gesagt, wie steht es mit der Informationspolitik der
Vertriebenenfunktionäre?
Bei der inhaltlichen Erschließung
der Dokumente für die „Dokumentation Polen-Information“ werden Themenschwerpunkte,
wie „Heimatvertriebenenproblematik“ oder „Familienzusammenführung“,
Schlagwörter zum Thema, Personennamen von Funktionären der deutschen „Vertriebenenverbände“
etc. vergeben. Das sind in 30 Jahren (1970 bis 2000) etwa 1.000 Dokumente,
überproportional, wenn man feststellt, dass sich parallel dazu nur rund 60
Artikel der ausgewerteten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften im
gleichen Zeitraum mit dem 1. September 1939, dem Einmarsch in Polen befassten.
Ausgewählte Informationen und
Meinungen auszugsweise im Wortlaut:
“...Die Äußerungen der
Vertriebenen-Sprecher haben sich...erheblich verschärft und erwecken mit
härteren Formulierungen den fatalen Eindruck, als sei Deutschland nicht vor
einem Vierteljahrhundert, sondern erst in diesen Wochen der Ostgebiete
verlustig gegangen...” [1970] 2
“...Es könnte hier lang und breit
darüber diskutiert werden, ob der Name DJO [«Deutsche Jugend des Ostens»]
besonders glücklich gewählt worden ist, ob er überhaupt noch für einen
Jugendverband zutrifft, in dessen Reihen sich eingestandenermaßen zahlreiche
Jungen und Mädchen befinden, deren Eltern in Westdeutschland beheimatet
sind...” (Christian Unger) [1971] 3
“...Hupka hatte in Bonn erneut
die Ostpolitik der Bundesregierung kritisiert und eine Parallele zwischen den
Männern und Frauen des 20. Juli 1944 und den ‘heutigen Flüchtlingsfunktionären’
gezogen.
Er sagte: ‘Wer sich um die
Zukunft ganz Deutschlands Sorgen macht, der handelt in der gleichen
Verantwortung und mit dem gleichen Pflichtbewußtsein wie die Mäner und Frauen
des 20. Juli, die gegen Hit-ler Widerstand geleistet haben.’ SPD-Vorstandssprecher
Jochen Schulz bezeichnete diese Äußerung als makaber...” [1971]4
“...’Die Staatsregierung wird
aufgefordert, die Gewährung eines staatlichen Zuschus-ses zu dem für Juli 1971
in München geplanten Schlesiertreffen an die Bedin-gung zu knüpfen, daß dieses
Treffen der Pflege schlesischen Brauchtums und der menschlichen Verbindung
unter den Heimatvertriebenen dient und nicht mißbraucht wird zur Aufputschung
nationalistischer, militanter und die Menschenrechte erneut gefährdende
Stimmungen’. Dieser mit den Stimmen der CSU in namentlicher Abstimmung abgelehnte
Antrag von 52 SPD-Abgeordneten im Bayerischen Landtag spricht deutlich aus, was
die Sozialisten von den Vertriebenen halten...” (Norbert Wingerter) [1971] 5
“...nach dem Kriege gelang es den
Vertriebenenverbänden, das Polenbild der Deutschen durch Geschichtsschreibung
und vor allem durch die Schulbücher nachhaltig zu bestimmen. So waren die
Vertriebenen lange Zeit Gefangene einer Illusion, die von amtlicher Seite
gestützt wurde...” [1972] 6
“‘Wir haben im Familienrat
beschlossen, daß wir weder für die Rückkehr nach Südfrankreich, wo ein Teil
unserer Familienvorfahren als Hugenotten vertrieben wurde, eintreten, noch für
die Rückkehr nach Königsberg, denn wir haben inzwischen erkannt - im Gegensatz
zu Ihnen -, daß wir am 8. Mai 1945 den Krieg verloren haben. Auch unsere
Ansprüche auf Elsaß-Lothringen, die sie vergessen haben, wollen wir nicht
anmelden.’
Der unfreiwillige Empfänger eines
Rundbriefes der ‘Gemeinschaft ost- und sudetendeutscher Grundeigentümer und
Geschädigter’ in seinem Antwortschreiben.” [1972] 7
“... Mit Vertriebenenausweisen
kann man sich beträchtliche Steuervergünstigungen verschaffen und auch
Lastenausgleichs-mittel erhalten...” [1974] 8
“Die Bundesregierung hat ihr
finanzielles Engagement zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit verstärkt.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundes-innenministerium, Waffenschmidt
(CDU), teilte mit, ... trotz der angespannten Haushaltslage eine Aufstockung
der Mittel von derzeit 4,36 Millionen auf 6,2 Millionen DM ...” [1983] 9
“... Machen wir endlich einen
Schlußstrich unter die Vergangenheit und lassen wir alles sein, was ein
friedliches Miteinander gefährden könnte. Warum kann Wiesbaden hierzu nicht
einen besonderen Beitrag leisten - zum Beispiel durch eine Städtepartnerschaft
mit Breslau - meiner eigenen Heimatstadt.” (Achim Exner, Oberbürgermeister)
[1985] 10
“Nach dem Zweiten Weltkrieg hat
die Bundesrepublik unter sehr viel schwierigeren Bedingungen 12 Millionen
Vertriebene und Flüchtlinge integriert. Deshalb bin ich sicher, daß wir die mehr
als 200.000 Aussiedler des Jahres 1988 gut verkraften: Wir sind ein
wohlhabendes Land...” (Norbert Blüm) [1989] 11
“Scharfe Kritik hat der Bund der
Vertriebenen (BdV) an der Erklärung hoher deutscher und polnischer Katholiken
zum 50. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges geübt. Vor allem wies
BdV-Generalsekretär Hartmut Koschyk die Forderung zurück, die Oder-Neiße-Linie
als Westgrenze Polens nicht in Frage zu stellen...” [1989] 12
“...Es gibt eine entsprechende
Zollpolitik und Steuerbestimmungen, mit einem Wort, ein ganzes Instrumentarium,
das verhindert, daß irgendein unbewegliches Gut ohne unser Wissen auf Dauer in
ausländische Hände übergeht. Wir werden es auch nicht, wie das z.B. der Bund
der Vertriebenen in der Bundesrepublik möchte, in größerem Maßstab zur
Entstehung ‘deutscher Enklaven’ in Schlesien oder Pommern kommen lassen...”
(Jerzy Sułek, Vizedirektor der Abteilung Westeuropa im polnischen
Außenministerium) [1990] 13
“Euer Eigentum (Haus,
Grundbesitz, Fabriken) in den deutschen Ostgebieten ist Euch und Euren Erben
geblieben. So sagt es das Völkerrecht. Daher ist es dringend notwendig Euren
Eigentumsanspruch bei der russischen, polnischen und tschechischen Regierung
anzumelden. Formulare sind umgehend anzufordern im: Büro-BGD, Scharfenbergstr.1,
6120 Michelstadt
Tel. 06061/2211 ...” [1991] 14
“...Die Deutsch-Polnische Gesellschaft in Franken (DPGF)
will die deutsche Minderheit in Polen künftig stärker unterstützen. Bislang sei
dies allein dem Bund der Vertriebenen überlassen worden .... Zuvor war die Lage
der deutschsprechenden Minderheiten in Polen beleuchtet worden.... Einhellig
verurteilten beide Refe-renten [Josef Drewniok und Pawel Kuglarz] die Aktionen
der Vertriebenenverbände in Polen, weil sie nicht auf eine Aussöhnung der
beiden Völker gerichtet seien. Drewniok, der am jüngsten Schlesiertreffen in
Nürnberg teilgenommen hatte, bezeichnete die Politik des BdV als
‘realitätsfern’. Eine Verständigung mit dem polnischen Volk sei nur dem
möglich, der die Oder-Neiße-Grenze anerkenne...” [1991] 15
“...In ihrer Begrüßung
bezeichnete die Vorsitzende des Lüneburger Kreisverbandes des Bundes der
Vertriebenen, Dr. Barbara Loeffke, Gebiete etwa in Polen und Rußland als
‘ostdeutsche Provinzen’ und sagte zur Rolle der Vertriebenen in Deutschland:
‘Das Gastland kann die Heimat nicht ersetzen.’...” [1994] 16
“Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende
Wolfgang Schäuble hat die polnische Regierung aufgefordert, im Zuge des
Beitritts zur EU die Wiederansiedlung von vertriebenen Deutschen zu erlauben. ‘Der
europäische Weg, das ist der Weg zur Rückkehr der rückkehrwilligen Deutschen in
ihre angestammte Heimat’, sagte Schäuble zum Abschluß des 27.
Deutschlandtreffens der Schlesier in Nürnberg.” [1995] 17
“...Wohin mit dem Geld? ‘Ich
überlegte, ob ich mein Gut in Polen zurückkaufe und dort eine deutsch-polnische
Begegnungsstätte einrichte.’ Doch die Verhandlungen in Polen erwiesen sich als
umständlich...” (Philipp Maußhardt) [1995] 18
“...Die Bundesregierung will im
nächsten Jahr [2000] sechs Millionen Mark weniger für die Förderung der
Vertriebenenkultur ausgeben... Die Förderung der Stiftung Ostdeutscher
Kulturrat und der Kulturtiftung der deutschen Vertriebenen in Bonn soll zum
frühstmöglichen Zeitpunkt eingestellt werden... Ideologische Gründe für die Kürzungen
und die neue Konzeption habe er nicht, sagte Naumann. Vielmehr habe die alte
Bundesregierung [unter Helmut Kohl] die Förderung der Vertrie-benenkultur so
stark gesteigert wie keinen anderen Kulturposten. Er sei von acht Millionen
Mark 1982 auf 46,2 Millionen 1998 gestiegen...” [1999] 19
“Zustimmung der Alliierten
“... warum und wie es zur
Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa gekommen ist, warum unzweifelhaft
demokratische Politiker wie Benesch und Sikorski oder Mikolajczyk, warum die
tschechoslowakische und polnische Regierung und die tschechischen und
polnischen Widerstandsgruppen jeglicher politischer Rich-tung, warum nicht nur
Stalin, sondern eben auch Churchill und Roosevelt, die Führer zweier westlicher
Demokratien, und die britischen, amerikanischen und sowjetischen Beamten und
wissenschaftlichen Berater, warum sie alle die Vertreibung und Aussiedlung der
Deutschen aus der Tschechoslowakei, Polen und Ostdeutschland für unumgänglich
hielten” ...
Kein Glaube an ein Zusammenleben
Zweifellos war die Vertreibung
der Deutschen eine immense Tragödie, und nichts kann die Gewaltexzesse (vor
allem während der sogenannten wilden ersten Phase) rechtfertigen. Indes, dieser
deutschen Tragödie war eine Katastrophe vorausgegangen: die Menschheitskatastrophe
Zweiter Weltkrieg und Shoah. Churchill und sein Kabinett waren bereits im
Dezember 1940 zur Überzeugung gelangt, dass die Vertreibung der deutschen Bevölkerung
unausweichlich sei, um Polen in neuen Grenzen und einer wiedererrichteten
Tschechoslowakei eine Zukunft im Frieden zu sichern. Nachdem die Deutschen
dieser Länder fast zur Gänze ins Lager des Aggressors Hitler übergelaufen waren
- und auch die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatten -, war an ein
Zusammenleben mit der Mehrheitsbevölkerung nicht mehr zu denken. ...” (Heinz
Moll) [2002] 20
„... der im pommerschen Stettin
(Szczecin) lehrende W³odzimierz Stepiński sieht die Annäherung der
Wissenschafter gefährdet: Das in der gemeinsamen Schulbuchkommission über
Jahrzehnte ‚ausgehandelte’ Geschichtsbild sei am Ende. Gewiss müsse die polnische
Wissenschaft das Propaganda-Geschichtsbild der Kommunisten über Bord werfen,
doch dabei nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Der Diskurshoheit der
deutschen Institutionen mit ihrer finanziellen und institutionellen Übermacht...,
ihrer semantischen Expansion (zunehmende Verbreitung des deutschen Begriffs
‚Vertreibung’ statt ‚Aussiedlung’) und ihrer zunehmend nostalgischen Behandlung
der Geschichte (etwa in der Siedler-Reihe ‚Deutsche Geschichte im Osten
Europas’) müsse eine Grenze gesetzt werden..“ (Gerhard Gnauck) [2002] 21
1 Klaus Schmidt: Die Brandnacht,
Dokumente von der Zerstörung Darmstadts am 11. September 1944, Reba-Verlag,
Darmstadt, 2. Auflage 1964
2 Neue Zürcher Zeitung vom 2.
12.1970
3 Kulturpolitische Korrespondenz
vom 15.2.1971
4 Neue Rhein-Zeitung vom 1. März
1971
5 Bayernkurier vom 15. Mai 1971
6 Deutsche Post vom 5. Januar
1972
7 Frankfurter Rundschau vom
29.1.1972
8 Frankfurter Allgemeine Zeitung
vom 16. September 1974
9 Wiesbadener Kurier vom 7.
7.1983
10 Die Lupe vom März 1985
11 Dialog vom Januar 1989
12 Darmstädter Echo vom 9. August
1989
13 Dialog vom Juni 1990
14 Odenwälder Journal vom 7. 3.
1991
15 Dialog vom Dezember 1991
16 Landeszeitung [Lüneburg] vom
29. 8. 1994
17 die tageszeitung vom 10. Juli
1995
18 Die Zeit vom 29. September
1995
19 Landeszeitung [Lüneburg], 1.
Juli 1999
20 Neue Zürcher Zeitung, 9./10.3. 2002
21 Neue Zürcher Zeitung vom 8. 10.2002 / Besprechung zur: Quellenedition „ ‚Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden...’ Die Deutschen östlich von Oder und Neisse 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven. Hrsg. der Warschauer Historiker W³odzimierz Borodziej und sein Marburger Kollege Hans Lemberg. Weiteres zu dieser Quellenedition unter: www.uni-marburg.de/herder-institut/verlag/reihen/quellen4.html m