Auch die Mehrheit in Polen sagt:

Nein zum Krieg gegen den Irak!

Von Wulf Schade

 

„Einigkeit herrscht hingegen beim NATO-Partner Polen. In ungewohnter Eintracht versichern in Warschau Vertreter von Regierung und Opposition in diesen Tagen immer wieder, das Land stehe fest an der Seite der Führungsmacht USA. Polen sei bereit, die USA bei einem Militärschlag gegen Irak zu unterstützen, selbst wenn der UN-Sicherheitsrat seine Zustimmung dazu versage, verkündete Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz in einer Grundsatzerklärung im Parlament. Warschau schickte bereits die Eliteeinheit Grom und eine Fregatte in die Golf-Region.“ Diese Information konnte man am 24.1.2003 in der Frankfurter Rundschau in einem Artikel unter der Überschrift: „Wenig Gegenliebe in Osteuropa, Öffentlichkeit betrachtet Kriegspläne der USA mit Skepsis“ lesen. Sie spiegelt etwas vor, was so nicht stimmt.

 

Ähnlich wie in Deutschland ist die Diskussion um den drohenden Krieg der USA und ihre “Koalition der Willigen” deutlich vielseitiger. Das trifft sowohl auf die politische Klasse wie auch auf die Medien und die Bevölkerung Polens zu. Zwar stimmt es, dass sich die regierenden Sozialdemokraten und der ebenfalls aus der Sozialdemokratie stammende Präsident Aleksander Kwaśniewski eindeutig für eine Unterstützung der USA ausgesprochen haben, und es stimmt auch, dass sich ein großer Teil der Opposition ebenfalls dafür ausgesprochen hat. Aber sowohl innerhalb der Sozialdemokratie wie auch auf der parlamentarischen Oppositionsseite ist die Haltung “pro Amerika-pro Krieg gegen den Irak“ gar nicht unumstritten. In der Sejmdiskussion am 22.1.2003, d.h. einen Tag nachdem der Außenminister im Sejmausschuss seine eindeutige Aussage zu Gunsten der USA gemacht hat (s. folgende Seite), zeigte sich das deutlich. Zwar wurde die Regierung von der konservativen Fraktion der PO (Bürgerplattform) wie auch - besonders radikal - von der rechtspopulistischen PiS (Recht und Gerechtigkeit), die mit ihrem führenden Kopf Lech Kaczyński den Oberbürgermeister von Warschau stellt, in ihrer Haltung unterstützt, dagegen kritisierten die Haltung der Regierung (und damit die des Präsidenten) der linke Flügel der Regierungsfraktion um die UP (Arbeiter-Union), die Bauernpartei PSL wie auch die klerikalpopulistische LPR (Liga der Polnischen Familien) und die populistische Samoobrona.

Die Regierungsvertreter und die sie unterstützende Opposition wiesen v.a. auf die positive Wirkung der polnischen Haltung auf die Beziehungen mit den USA hin. So sagte Vizeaußenminister Adam Daniel Rotfeld: „Je enger unsere Beziehungen mit den USA sind, desto mehr wächst die Bedeutung unseres Landes bei den Beziehungen mit der EU und Russland“. Paweł Piskorski von der PO stellte fest, dass sich die polnische Regierung positiv von den anderen linken Regierungen Europas abhebe, die wieder einmal wollten, „dass jemand anderes für sie aufräumt“. Gleichzeitig äußerte er die Erwartung auf Entgegenkommen der USA in bilateralen Fragen. Auch Marek Jurek von der PiS erwartet auf Grund der Haltung der polnischen Regierung, eine positive Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen mit den USA. Dagegen stellte Maciej Giertych für die LPR fest, dass sie ohne einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates den Krieg nicht unterstützen wird, und Aleksander Malachowski von der UP meinte, dass Polen sich nicht in die antiterroristische Hysterie von Bush hineinziehen lassen dürfe.

Ein ähnlich differenziertes Bild ergibt sich beim Betrachten der Medienlandschaft. Auch hier gibt es keine eindeutige Unterstützung für die Haltung der polnischen Regierung. Die großen Tageszeitungen, die liberal-konservative Rzeczpospolita und die linksliberale Gazeta Wyborcza (GW), wie auch die liberal-katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny (TP), die linksliberale Polityka u.a. versuchen, das Meinungsspektrum und die Diskussion abzubilden, auch wenn die Mehrheit der Redaktion wie z.B. die Redaktion von TP die Haltung der USA ausdrücklich unterstützt. In Kommentaren und Beiträgen kommen verschiedene Stimmen zu Wort wie z.B. Halina Bortnowska in der TP, die sich eindeutig gegen den Krieg ausspricht. (s. S. 9-11).

Man muss allerdings feststellen, dass seit Beginn des Jahres die Diskussion zunehmend darum geführt wird, welche Haltung für die politische Position Polens in der Welt, v.a. aber in Europa klug ist. Die allgemeine Frage, ob denn ein Krieg sowohl moralisch wie auch gemäß dem auch von Polen unterzeichneten internationalen Recht gerechtfertigt wäre, tritt immer mehr zurück. Haltungen, die hier Einspruch erheben, werden kurz notiert – so wurde z.B. die Erklärung Jacek Kurońs über seine Unterschrift unter einen Antikriegsappell (s. S. 6) in der GW abgedruckt, aber viel weiter ging man darauf nicht mehr ein. Im Gegenteil: als Gegenposition wurde direkt neben Kurońs Erklärung die Meinung von Adam Michnik, dem Chefredakteur von GW, veröffentlicht, in der dieser sich für die Unterstützung der USA einsetzt.

Diese Erklärung Michniks ist besonders typisch für den Teil der liberalen – sei es die linksliberale oder konservativ-liberale – Intelligenz Polens, zeigt sie doch das Hauptargumentationsmuster in aller Kürze auf. Die USA wird von allen moralischen Bewertungen über ihre Zusammenarbeit mit blutigen Diktaturen losgelöst als die Kraft dargestellt, die nicht nur Europa Freiheit von verschiedenen Terrorregimen gebracht hat. Michnik beschränkt sich in seiner Erklärung auf die Nennungen der „Diktatur von Milosevic“, der „terroristischen Diktatur der Taliban“ und der Diktatur im Irak. Andere Journalisten gehen weiter. Sie erklären, ohne die USA gäbe es heute noch den Kalten Krieg, ein geteiltes Europa, vielleicht wäre Hitler sogar noch an der Macht. Auch das kommunistische System in Gestalt der stalinistischen Diktaturen ist nur Dank der USA zusammengebrochen (s.a. Interview mit Leopold Unger, S. 13). Die Verbrechen der USA zur selben Zeit in Mittel- und Südamerika, der Vietnamkrieg, die Aufrüstung der Diktatoren in aller Welt durch die USA werden unterschlagen. Die Menschen, die dort starben, sind faktisch unwichtig. Die USA hat UNS den Frieden und Wohlstand gebracht. Das allein ist wichtig. Auf den versteckten Hinweis Kurońs, dass auch die USA Massenver-nichtungswaffen besitzen und sie einzusetzen bereit sind [und, ich ergänze, bereits mehrfach angewendet hat: s.a. die chemischen Waffen im Vietnamkrieg in den 60 und 70er Jahren, die neutronangereicherten Waffen im Kosovo in den 90er Jahren usw.], reagiert Michnik denn auch mit keinem Wort.

Ebenfalls keine große Rolle spielt in dieser Argumentationskette der sonst so hochgeachtete Papst. Wenn man denn auf die eindeutige Haltung von Johannes Paul II. gegen den Irakkrieg eingeht, so stellt man fest, dass er ja Kraft seiner Position gegen Krieg sein muss, aber wenn man real handeln muss, man diese Position nicht befolgen kann. (s.a. Piêczak, S. 14).

Zusammengefasst kann man sagen, dass es eine argumentative Übereinstimmung zu Gunsten der USA zwischen der Spitze der Regierungspartei SLD und Teilen der linksliberalen, der konservativ-liberalen und der rechtspopulistischen Opposition gibt, die publizistisch von Zeitungen wie GW und TP, aber auch der rechten Gazeta Polska usw. gestützt wird. Zu dieser Seite gehören letztlich auch die Journalisten solcher Publikationsorgane wie die der  Polityka, die zwar gegen die Unterstützung der USA sind, aber nur deshalb, weil Polen sich damit in Europa isoliert. Denn, so argumentiert diese Strömung, wenn der Irakkrieg vorbei ist, liegt Polen immer noch in Europa und ist Teil der EU. Was dann? Wird Polen dann nicht seine europafeindliche (sprich deutschland- und frankreichfeindliche) Haltung heimgezahlt (s. a. Ostrowski/Szostkiewicz, S. 16)?

Längst nicht so einheitlich ist die “andere Seite“. Gemeinsam ist ihr nur die Haltung gegen den Irakkrieg. Hier vermengen sich, wie sich auch auf verschiedenen Demonstrationen ausdrückte, Linksliberale, Lin-ke, Pazifisten, Anarchisten usw., d.h. Kräfte, die in erster Linie imperiale Interessen und die moralisch doppeldeutige Politik der USA anprangern; hier befinden sich aber auch EU-feindliche, rechtsnationalistische bis antisemitische Kräfte, die in erster Linie aus einem nationalistischen und fremdenfeindlichen Verständnis eines Polentums antiamerikanisch sind. Aber auch katholische Persönlichkeiten und Gruppierungen, die sich die Aufrufe des Papstes gegen den Irakkrieg zu eigen machen, sind Teil dieser Antikriegsbewegung. Auf den folgenden Seiten dokumentieren wir zahlreiche Aktivitäten dieses Spektrums (mit Ausnahme des nationalistischen) gegen die drohende Kriegsgefahr.

So ergibt sich bei genauerer Betrachtung ein viel differenzierteres und positiveres Bild als die Feststellung der Frankfurter Rundschau glauben macht. Denn eins ist selbst bei den Unterstützerinnen und Unterstützern der USA-Position unbestritten: Die Mehrheit der Bevölkerung Polens ist gegen den Irakkrieg!                         m