Von Julian Orwicz (Warschau)
Ein grauer, trüber Wintertag. Ungemütlich und kalt ist es auf den Straßen Warschaus. Auf dem Plac Zamkowy haben sich um die Mittagszeit mehrere Tausend Menschen versammelt. Dominierende Farbe das Rot der Nowa Lewica (Neue Linke), Forderung und Vorhaben in einem, angeführt von Piotr Ilkonowicz, dem unerbittlichen Kritiker der regierenden Sozialdemokraten. Doch schnell zeigt sich, dass hier durchaus mehr Farben im Spiel sind: Anarchisten, Globalisierungskritiker, Amnesty International, Verfechter einer Arbeiterdemokratie, Aktivisten der „Samoobrona“, vereinzelte Gegner des EU-Beitritts, in Polen lebende Iraker mit ihren Familien, doch vor allem und ganz besonders zahlreich Menschen, die durch die Teilnahme unabhängig von bestimmter Fahne sich einfach in das Band der weltweit agierenden Friedensdemonstranten dieses Tages einreihen wollen. Auffallend die vielen jungen Menschen, die dem Antikriegsaufruf folgten.
Wie selbstverständlich nehmen sie
die etwas zaghaft und misstrauisch auf das bunte Geschehen schauenden Menschen
der älteren Generation in ihre Mitte auf. Ein selbstgemaltes Plakat ist zu
sehen – eine Mahnung an die Kriegszerstörung der eigenen Stadt. Als der Zug
sich in Richtung US-Botschaft in Bewegung setzt, sind es gewiss weit über
10.000 Teilnehmer. Ein überwältigender Erfolg, wie die Organisatoren
versichern. Denn in den Tagen zuvor handelten die Medien höchstens mit ein- bis
zweitausend Teilnehmern - den ewigen Nörglern, Chaoten usw.
Die Umfragewerte trügen also doch
nicht. Die Mehrheit der Polen ist auf deutliche Distanz gegangen zu der
Haltung, die Präsident und Ministerpräsident des Landes jüngst bei den Besuchen
in den USA in den Rang einer Staatsräson erhoben. Als der Zug am
Präsidentenpalast vorbeizog, herrscht betretenes Schweigen. Noch im Dezember
vergangenen Jahres verwies der Präsident mit berechtigtem Stolz und gutem Recht
auf die akademisch gebildete Jugend des Landes, die weltoffen sei und dem
Projekt der zunehmenden europäischen Einigung entgegenfiebere. Eine sichere und
damit wichtige Bank sozusagen beim Referendum über den Beitritt. Doch aus eben
diesem Kreis rekrutiert sich das Gros derjenigen, die am engagiertesten gegen
die aktuellen Kriegspläne Washingtons aufbegehren. Möge auch vieles an der
Begründung des Protests unfertig, voreilig und mitunter höchst ungerecht sein,
an gewisser Weitsicht mangelt es ihm aber dennoch nicht. Denn wie vereinbart
sich die harte, einseitige und überaus steife Haltung der Regierung mit dem
noch vor wenigen Wochen verkündeten Programm, wonach es in den kommenden Jahren
für Polen nichts Wichtigeres gebe als den Beitritt zur Europäischen Union? Im
Irakkonflikt, so fragen sich hier immer mehr Menschen, vertritt die USA polnische
Interessen? Welche? Das neueste Argument, welches von offizieller Seite immer
öfter zu vernehmen ist, lautet: Der Irak bedrohe das Land! Während also die
Regierungsseite ganz ungeschminkt das manichäische Weltbild des US-Präsidenten
zu dem ihrigen erklärt hat, zeigt die Straße an diesem 15. Februar durchaus ein
besseres Gespür für die Differenziertheit und Komplexität der
Weltangelegenheiten.
Die Teilnehmer des Marsches durch den Warschauer Königstrakt haben sich eingereiht in die weltweite Schar der protestierenden Menschen und sie sind sich bewusst gewesen, dass sie bei ihrem Protest nicht umhin kommen, der eigenen Regierung und dem überaus populären und weitgehend unumstrittenen Präsidenten schlechte Noten auszustellen. Insbesondere die mit Abstand stärkste Regierungspartei wäre gut beraten, nicht leichtfertig über diese Tatsache hinweg zu gehen. Während der eigene Parteinachwuchs aus der Hauptstadt vor den Toren der Stadt zu einer turnusmäßigen Veranstaltung zusammentraf, um sich auf das Referendum und die im nächsten Jahr ins Haus stehenden Europawahlen vorzubereiten, demonstriert ein ganz anderer Teil der polnischen Jugend politische Reife, Sinn für Verantwortung und europäisches Bewusstsein. Unschwer zu erraten, dass die große Mehrheit der Teilnehmer dieser Demonstration bei den letzten Parlamentswahlen Leszek Miller und seiner Mannschaft das Vertrauen gab. m