Atlantischer Graben

Von Marek Ostrowski und Adam Szostkiewicz

 

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Nebeneffekte

Die Spannungen in der NATO wurden mit großen Presseschlagzeilen verbreitet. (...) Die Türkei, die irakische Raketen als Antort fürchten, forderten von ihren Verbündeten Waffen zur Verteidigung (wir wiederholen: zur Verteidigung) an, aber die verbündeten begannen, darüber erst einmal nachzudenken. Sie fällten keine Entscheidung, die in der NATO einstimmig gefällt werden muss. Aus der Presse sickerten Informationen durch, dass der polnische Botschafter während der Beratung in dramatischem Ton die Frage stellte: Und was wäre, wenn wir um Verteidigung bitten würden? Wie man es in zweitklassigen Romanen darstellen würde, war die Antwort ein betretenes Schweigen.

Es ist unwichtig, wer begann: Die Amerikaner, durch den 11.September in ihrem Stolz, die einzige Supermacht zu sein, deutlich angeschlagen? Oder die zaudernden Führer – Chirac und Schröder -, die beunruhigt darüber sind, dass die Politik Bushs die Karten der Geschichte neu mischt? Wichtig ist, dass der Effekt dieser Politik – bestimmt nicht bis zu Ende im Ovalen Kabinett Washingtons durchkalkuliert – die Destabilisierung der NATO und der Europäischen Union bedeutet. Diese „Nebeneffekte“ schaden unserer Aspiration, nämlich unserem nationalen Interesse. Welchen Nutzen haben wir denn von einer impotenten NATO und dem brudermörderischen Kampf zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa? (....)

Polnische Ängste

Für Polen ist diese Situation besonders un-glücklich. Kaum kamen wir nach schweren Kämpfen Mitglied in den einzigen in unserer Welt dauerhaften und sicheren Organisationsformen – dem Atlantischen Pakt und der Europäischen Union (fast) -, da beginnen diese Formationen an Bedeutung zu verlieren und untergraben selbst ihre Autorität. Für die polnische Geopolitik bedeutet die Zurücksetzung Europas durch Amerika eine Aushölung des Sicherheitsgefühls. Dazu kommt noch, dass Deutschland, in dem es vom übrigen Europa abrückt und eine eigene, selbständige Politik durchführt, ein schwarzes Szenarium umsetzt. Bisher brüstete sich Berlin mit der Europäisierung seiner Außenpolitik; die Rückkehr zu einer eigenständigen Politik, ihre Renationalisierung, dazu noch die selbständige Annäherung an Russland fördert alle polnischen Ängste, die seit Rapallo existieren, zu Tage. (....)

In Europa stellt sich die Situation dramatisch anders [als für die USA – d. Übersetzer] dar. Es sollte eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik entwickelt werden –  ihr wesentliches Werkzeug sollte die sich vergrößernde NATO werden -, aber stattdessen wurden diese Pläne aufgrund des Irakkrieges bestenfalls eingefroren, schlimmstenfalls landen sie auf dem Müllplatz der Geschichte. Frankreich und Deutschland fühlen sich gedemütigt. Erst gab Washington ihnen zu verstehen, dass sie undankbare Heuchler seien, dann bildete sich die „Achterbande“ – Großbritannien, Spanien, Italien, Portugal und Mitteleuropa -, die die europäische Front zerbrechen ließ. Der Brief der Führer des „neuen“ Europa beendete zwei Mythen gleichzeitig: Dass Amerika auf dem Alten Kontinent isoliert ist und dass man nicht von einem Elysée-Europa, d.h. von einem französisch-deutschen Europa reden kann. Darüber können sich die Politiker in Washington freuen, aber auch die in Berlin und Warschau?

Es sieht doch jedes Kind, dass es zu einer Führerschaft Paris und Berlins in Europa keine reale Alternative gibt. Von den großen Vier der „Achterbande“ – Großbritannien, Spanien, Italien und Polen – besitzen nur die Briten das Potential zu einer Führerschaft. Es reicht aus, dass Aznar und Berlusconi die Macht verlieren, und Paris und Berlin haben sofort die politische Kontrolle über den Kontinent. Aber werden sie dann sofort die Volte der polnischen Politik während der Krise vergessen? England kann sich theoretisch ohne eine engere Zusammenarbeit mit Kontinentaleuropa selbst helfen (...), aber kann Polen ohne die europäischen Fondgelder für die Landwirtschaft zurechtkommen? Kann es ohne das Wohlwollen und die echte Partnerschaft Deutschlands auskommen, das den wichtigsten Wirtschaftspartner stellt? Polen kann einen Teil amerikanischer Basen und Militäreinheiten übernehmen und daraus ökonomisch-politischen Nutzen ziehen, aber macht denn der Abzug eines Teils der US-Armee aus Deutschland Europa sicherer?

Europa in Pantoffeln

(.....) Eins ist sicher: Man kann nicht von einer langandauernden Störung der Atmosphäre zwischen Amerika und Europa sprechen. Es ist nicht so, dass sich das „alte“ Europa hinter dem warmen Ofen zurückzog und nicht mehr über schwierige Missionen nachdenken will. Auf dem Balkan war es umgekehrt: Es waren viele Abordnungen aus Europa notwendig, bevor sich Washington zur Unterstützung der europäischen Intervention entschloss. Auch während der Intervention in Bosnien und im Kosovo war es so, dass Frankreich und Großbritannien eher zum Bodenkrieg bereit waren als die USA. Nach dem 11. September gab es keine Probleme mit der europäischen öffentlichen Meinung. Gordon erinnert daran, dass 73% der Franzosen die USA bei ihrer militärischen Aktion in Afghanistan unterstützte und die deutsche Regierung dorthin 3.900 Soldaten der Bundeswehr schickte. Europa schien es so, dass es für seine spontane Unterstützung von der USA als wirklicher Partner akzeptiert und es ein wirklicher Mitgestalter der atlantischen Politik würde. In Wirklichkeit entscheidet Bush – bei Durchführung von formellen Konsultationen – allein, hauptsächlich in der Irakfrage: Wenn ihr euch mir anschließt, dann ist es gut, wenn nicht, dann schadet mir wenigstens nicht. (.....)

Zur Zeit schält sich eine Art internationaler Arbeitsteilung heraus: Die USA nimmt sich der irakischen und der nordkoreanischen Gefahr an wie auch der Fähigkeit zu großangelegten Interventionen, Europa dagegen sorgt sich mehr um Friedensmissionen, die Bildung und den Naturschutz (...). Früher oder später kehrt das Problem zurück, was man mit der Gruppe von etwa 30 Staaten anfängt, die abrutschen oder bereits abgerutscht sind, und die nicht im Stande sind, der Anarchie, dem Krieg oder dem Hunger auf ihrem Territorium vorzubeugen oder es auch gar nicht wollen, aber dadurch auch für die Welt eine Gefahr darstellen, weil sie gleichzeitig die Basis für Terroristen bilden. In dieser Perspektive, gegenüber diesen Aufgaben wie dem Kampf gegen Terrorismus, dem internationalen Verbrechertum, den großen zivilisatorischen Bedrohungen zeigt sich schnell, dass wir identische Interessen haben.(....).                                                                                               m

Rów Atlantycki, Marek Ostrowski/ Adam Szostkiewicz, Polityka Nr. 8 v. 22.2.2003; Übersetzung: Wulf Schade, Bochum