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Die Spannungen in der NATO wurden
mit großen Presseschlagzeilen verbreitet. (...) Die Türkei, die irakische
Raketen als Antort fürchten, forderten von ihren Verbündeten Waffen zur
Verteidigung (wir wiederholen: zur Verteidigung) an, aber die verbündeten
begannen, darüber erst einmal nachzudenken. Sie fällten keine Entscheidung, die
in der NATO einstimmig gefällt werden muss. Aus der Presse sickerten
Informationen durch, dass der polnische Botschafter während der Beratung in
dramatischem Ton die Frage stellte: Und was wäre, wenn wir um Verteidigung
bitten würden? Wie man es in zweitklassigen Romanen darstellen würde, war die
Antwort ein betretenes Schweigen.
Es ist unwichtig, wer begann: Die
Amerikaner, durch den 11.September in ihrem Stolz, die einzige Supermacht zu
sein, deutlich angeschlagen? Oder die zaudernden Führer – Chirac und Schröder
-, die beunruhigt darüber sind, dass die Politik Bushs die Karten der
Geschichte neu mischt? Wichtig ist, dass der Effekt dieser Politik – bestimmt
nicht bis zu Ende im Ovalen Kabinett Washingtons durchkalkuliert – die
Destabilisierung der NATO und der Europäischen Union bedeutet. Diese
„Nebeneffekte“ schaden unserer Aspiration, nämlich unserem nationalen
Interesse. Welchen Nutzen haben wir denn von einer impotenten NATO und dem brudermörderischen
Kampf zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa? (....)
Für Polen ist diese Situation
besonders un-glücklich. Kaum kamen wir nach schweren Kämpfen Mitglied in den
einzigen in unserer Welt dauerhaften und sicheren Organisationsformen – dem
Atlantischen Pakt und der Europäischen Union (fast) -, da beginnen diese
Formationen an Bedeutung zu verlieren und untergraben selbst ihre Autorität. Für
die polnische Geopolitik bedeutet die Zurücksetzung Europas durch Amerika eine
Aushölung des Sicherheitsgefühls. Dazu kommt noch, dass Deutschland, in dem es
vom übrigen Europa abrückt und eine eigene, selbständige Politik durchführt,
ein schwarzes Szenarium umsetzt. Bisher brüstete sich Berlin mit der
Europäisierung seiner Außenpolitik; die Rückkehr zu einer eigenständigen Politik,
ihre Renationalisierung, dazu noch die selbständige Annäherung an Russland
fördert alle polnischen Ängste, die seit Rapallo existieren, zu Tage. (....)
In Europa stellt sich die
Situation dramatisch anders [als für die USA – d. Übersetzer] dar. Es sollte
eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik entwickelt werden – ihr wesentliches Werkzeug sollte die sich
vergrößernde NATO werden -, aber stattdessen wurden diese Pläne aufgrund des
Irakkrieges bestenfalls eingefroren, schlimmstenfalls landen sie auf dem
Müllplatz der Geschichte. Frankreich und Deutschland fühlen sich gedemütigt. Erst
gab Washington ihnen zu verstehen, dass sie undankbare Heuchler seien, dann
bildete sich die „Achterbande“ – Großbritannien, Spanien, Italien, Portugal und
Mitteleuropa -, die die europäische Front zerbrechen ließ. Der Brief der Führer
des „neuen“ Europa beendete zwei Mythen gleichzeitig: Dass Amerika auf dem
Alten Kontinent isoliert ist und dass man nicht von einem Elysée-Europa, d.h.
von einem französisch-deutschen Europa reden kann. Darüber können sich die
Politiker in Washington freuen, aber auch die in Berlin und Warschau?
Es sieht doch jedes Kind, dass es
zu einer Führerschaft Paris und Berlins in Europa keine reale Alternative gibt.
Von den großen Vier der „Achterbande“ – Großbritannien, Spanien, Italien und
Polen – besitzen nur die Briten das Potential zu einer Führerschaft. Es reicht
aus, dass Aznar und Berlusconi die Macht verlieren, und Paris und Berlin haben
sofort die politische Kontrolle über den Kontinent. Aber werden sie dann sofort
die Volte der polnischen Politik während der Krise vergessen? England kann sich
theoretisch ohne eine engere Zusammenarbeit mit Kontinentaleuropa selbst helfen
(...), aber kann Polen ohne die europäischen Fondgelder für die Landwirtschaft
zurechtkommen? Kann es ohne das Wohlwollen und die echte Partnerschaft
Deutschlands auskommen, das den wichtigsten Wirtschaftspartner stellt? Polen kann
einen Teil amerikanischer Basen und Militäreinheiten übernehmen und daraus
ökonomisch-politischen Nutzen ziehen, aber macht denn der Abzug eines Teils der
US-Armee aus Deutschland Europa sicherer?
(.....) Eins ist sicher: Man kann nicht von einer langandauernden
Störung der Atmosphäre zwischen Amerika und Europa sprechen. Es ist nicht so,
dass sich das „alte“ Europa hinter dem warmen Ofen zurückzog und nicht mehr
über schwierige Missionen nachdenken will. Auf dem Balkan war es umgekehrt: Es
waren viele Abordnungen aus Europa notwendig, bevor sich Washington zur
Unterstützung der europäischen Intervention entschloss. Auch während der
Intervention in Bosnien und im Kosovo war es so, dass Frankreich und Großbritannien
eher zum Bodenkrieg bereit waren als die USA. Nach dem 11. September gab es
keine Probleme mit der europäischen öffentlichen Meinung. Gordon erinnert
daran, dass 73% der Franzosen die USA bei ihrer militärischen Aktion in
Afghanistan unterstützte und die deutsche Regierung dorthin 3.900 Soldaten der
Bundeswehr schickte. Europa schien es so, dass es für seine spontane Unterstützung
von der USA als wirklicher Partner akzeptiert und es ein wirklicher Mitgestalter
der atlantischen Politik würde. In Wirklichkeit entscheidet Bush – bei Durchführung
von formellen Konsultationen – allein, hauptsächlich in der Irakfrage: Wenn ihr
euch mir anschließt, dann ist es gut, wenn nicht, dann schadet mir wenigstens
nicht. (.....)
Zur Zeit schält sich eine Art
internationaler Arbeitsteilung heraus: Die USA nimmt sich der irakischen und
der nordkoreanischen Gefahr an wie auch der Fähigkeit zu großangelegten
Interventionen, Europa dagegen sorgt sich mehr um Friedensmissionen, die
Bildung und den Naturschutz (...). Früher oder später kehrt das Problem zurück,
was man mit der Gruppe von etwa 30 Staaten anfängt, die abrutschen oder bereits
abgerutscht sind, und die nicht im Stande sind, der Anarchie, dem Krieg oder
dem Hunger auf ihrem Territorium vorzubeugen oder es auch gar nicht wollen, aber
dadurch auch für die Welt eine Gefahr darstellen, weil sie gleichzeitig die
Basis für Terroristen bilden. In dieser Perspektive, gegenüber diesen Aufgaben
wie dem Kampf gegen Terrorismus, dem internationalen Verbrechertum, den großen
zivilisatorischen Bedrohungen zeigt sich schnell, dass wir identische
Interessen haben.(....). m
Rów Atlantycki, Marek Ostrowski/ Adam Szostkiewicz, Polityka Nr. 8 v. 22.2.2003; Übersetzung: Wulf Schade, Bochum