Alles klar für Polen!
Von Klaus-Dieter Bartig
Die Europäische
Union hat die größte Erweiterung ihrer Geschichte besiegelt. Nach zähem Ringen
schlossen die EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember 2002 auf dem Gipfel in
Kopenhagen die Verhandlungen mit den zehn Beitrittskandidaten ab. „Unser neues
Europa ist geboren“, sagte der amtierende EU-Ratsvorsitzende und dänische
Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen. Als letzte der zehn Beitrittskandidaten
stimmten Polen, Ungarn und Tschechien einem Finanzpaket im Gesamtvolumen von
40,8 Milliarden Euro zu. Besonders Polen hatte bis zuletzt um weitere finanzielle
Zugeständnisse der EU gerungen. Wie es in diplomatischen Kreisen hieß, bekommt
Polen von der EU zusätzlich 133 Millionen Euro, davon 108 Millionen Euro zur
Sicherung der Außengrenzen. Immerhin hat Polen jetzt die längste Ostgrenze der
EU. Im Vorfeld des polnischen Referendums (voraussichtlich im Juni 2003), in
welchem die Bevölkerung Polens noch über den Beitritt abstimmen muss, gab der
Generalkonsul der Republik Polen in der BRD, Herr Jan Granat, der
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen ein Interview.
Generalkonsul Granat: Polen
ist unter den Kandidatenstaaten das größte Land, das der EU nach dem polnischen
Referendum beitreten wird. Die Zahl der Einwohner der Europäischen Union ist
über Nacht um ca. 100 Millionen gestiegen. 40 % davon sind polnische
Bürger. Polen hat nicht nur den größten
Absatzmarkt, sondern auch ein riesiges intellektuelles und menschliches
Potential. Polen ist ein Land, das mit großem Erfolg politische Veränderungen
durchgeführt hat, konsequent das Reformprogramm umsetzt. Die wirtschaftlichen
Erfolge Polens sind beachtenswert.
Die Erweiterung der EU ist für alle Beitrittsländer von
Vorteil. Die Vorteile, die im Laufe dieses Prozesses für alle EU-Länder
entstehen, werden sofort spürbar werden. Gleichzeitig entsteht der größte Wirtschaftsmarkt
der Welt. Demzufolge werden neue Voraussetzungen zum ökonomischen Wachstum und
der Bildung neuer Arbeitsplätze geschaffen. Die EU-Osterweiterung ist eine
einmalige Chance zur dauerhaften Vereinigung und Festigung des europäischen
Kontinents. Sie wird zu einem Synonym der politischen Stabilität und
Völkervereinigung werden. Europa wird dadurch noch stärker, auf dem Weltmarkt
wirtschaftlich noch konkurrenzfähiger und vor allem sicherer werden.
Europa wird auf den Kampf um
Frieden, gegen Terrorismus, Verelendung und Verarmung der Bevölkerung und im
Kampf zum Erhalt der Umwelt besser gerüstet und vorbereitet sein.
Hat Polen die Europäische Union
gebraucht?
Granat: Polens Schicksal
ist eng mit dem Schicksal Europas verbunden. Seit Polens Taufe sind wir der
christlichen Zivilisation beigetreten und nützen seitdem dieses gemeinsame
Erbe. Durch unsere eigenen Erfahrungen, gestalten wir die europäische Identität
mit.
Nach der historischen Wende von 1989, die u.a. auch die
europäische Vereinigung ermöglichte, ist unsere Mitgliedschaft in der
Europäischen Union zum strategischen Hauptziel geworden. Polen war das Land,
welches zum Motor der politischen Veränderungen in Europa wurde und zum Fall
des eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer beitrug. Eine große Rolle spielte
Polen auch im Prozess der Völkerversöhnung und der Zusammenarbeit mit unseren
westlichen Nachbarn. Durch den Beitritt Polens in die EU verfolgen wir nicht
nur das Ziel einer schnelleren ökonomischen Entwicklung unseres Landes, sondern
sehen darin auch die Chance, die Bedeutung Polens auf der globalen Skala zu
erhöhen.
Die EU-Mitgliedschaft wird die
europäische Identität Polens bestätigen, gleichzeitig werden sich den
Einwohnern unseres Landes neue Perspektiven und Möglich-keiten eröffnen.
Granat: Der „Terminplan“
für den Beitritt der neuen Mitgliedsländer ist, eingeschlossen die
Beitrittskriterien, klar definiert worden. Die Entscheidungen über die Beitrittstermine
der einzelnen Länder fielen nacheinander in Nizza, Stockholm, Lacken und im
Dezember 2002 in Kopen-hagen. In diesem Jahr kommen zwei weitere
Schwerpunktaufgaben hinzu: Debatte und Ratifizierung der Mitgliedschaft in der
EU. Wahrscheinlich im Sommer 2003
findet dann in Polen das Nationalreferendum statt. Sollte das Ergebnis
des Referendums positiv ausfallen, werden wir zum 1. Januar 2004 der EU
beitreten. Das im De-zember 2002 in Kopenhagen stattgefundene Gipfeltreffen des
Europäischen Rates hat den Abschluss der Beitrittsverhand-lungen bedeutet.
Polen vor dem Referendum
Im Jahre 2002
startete die Regierung Polens eine hoch dotierte Informationskampagne, um für
den EU-Beitritt in der Bevölkerung zu werben. Was denken Sie, Herr Granat,
erhofft sich die Regierung von dieser Kampagne im Vorfeld des Referendums?
Granat: Die im Mai 2002
gestartete Werbekampagne, deren Ziel es war, die EU in der Bevölkerung populär
zu machen, ist bis Ende des Jahres 2003 vorgesehen. Sie wird also kurz vor dem
Nationalreferen-dum enden. Diese Kampagne ist durch ein breites Spektrum an
Veranstaltungen ge-kennzeichnet. Innerhalb dieser Kampagne gibt es TV-Beiträge,
Werbespots im Radio und Fernsehen (die betrifft sowohl staatliche als auch
private Sender), Informationsprogramme, Prospekte und Werbeplakate. All diese
Werbeträger geben ausführliche Auskunft über die EU. Dank einer eingerichteten
Info-Hotline kann man sich über die aktuellsten EU-Veranstaltungen, Diskussionen
und über Konferenzen informieren. Trotz der hohen Zahl der Befürworter einer
Mitgliedschaft Polens in der EU (laut Umfrageergebnissen sprechen sich 60% der
Bevölkerung für die EU aus), gibt es immer noch Personen (20 %), die keine
Meinung dazu haben. An diese Gruppe von Bürgern richtet sich vor allem die
Informationskampagne. Diese Kampagne soll der Bevölkerung Polens die Problematik
des Beitritts Polens zur EU erläutern. Sie soll Ängste und Vorurteile abbauen
und beseitigen. Gleichzeitig soll sie den Unentschlossenen dabei helfen, eine
Stellung zum Nationalreferendum zu beziehen und sie zur Teilnahme an diesem zu
bewegen. Der Regierung Polens geht es in erster Linie darum, möglichst viele
Menschen für ein positives Votum zum Beitritt Polens zur EU zu gewinnen und
eine hohe Beteiligung der Bevölkerung am Referendum in diesem Jahr zu
erreichen. Immer mehr Polen, die aus unterschiedlichsten Lebensver-hältnissen
stammen, entdecken ihr Interesse für die EU. Diese Bürger versuchen
nachzuvollziehen, welche Konsequenzen sich für ihr Land aus der Mitgliedschaft
zur EU ergeben könnten und wie sich demzufolge ihr Lebensniveau ändern könnte.
Dadurch entstehen verschiedene Meinungsbilder, oft werden Zweifel und Ängste
zum Ausdruck gebracht. Bei der Suche nach der richtigen Antwort soll die
Werbekampagne helfen.
Herr Generalkonsul Granat, als Bedingung für die Aufnahme
war die Erfüllung der sog. „29 Punkte“ vorgegeben. Welche Punkte sind dies
und wurden sie bisher realisiert?
Granat: Die Verhandlungen
mit den EU-Beitrittskandidaten erfolgten nach einer festgelegten Vorgehensweise
und in einer bestimmten Reihenfolge. Polen hat von den 29 thematischen
Bereichen, sie sprechen von „29 Punkten“, 25 bereits abgeschlossen. Damit nimmt
Polen den 1. Platz gegenüber den anderen Kandidaten ein. Am Rande muss
allerdings erwähnt werden, dass gerade diese wichtigen Ab-schnitte sehr
umstritten sind und besondere Kompromisse erfordern. So zum Bei-spiel der
Ankauf von polnischem Grund und Boden durch Ausländer. Man kann davon ausgehen,
dass die Verhandlungen in solchen Bereichen wie z. B. Konkur-renzpolitik, Landwirtschaft,
Finanzen und gemeinsamer Haushalt exakt nach der Terminplanung erfüllt werden.
Der schwierigste Verhandlungsbereich bleibt für Polen jedoch nach wie vor die
Landwirtschaft. So wird die Bearbeitung des Problems der direkten Zuzahlungen
durch die EU an die polnischen Landwirte auf sich warten lassen.
Herr Generalkonsul, gibt es Ihrer Meinung nach Probleme,
die von der polnischen bzw. deutschen Seite künstlich initiiert worden sind?
Granat: Während der
Diskussion zu den Folgen der EU-Erweiterung sowie den Inhalten der
Verhandlungen entstanden in der öffentlichen Meinung viele Bedenken und
Befürchtungen. Dies betraf vor allem die Probleme der Öffnung des deutschen
Arbeitsmarktes und der Beschäftigung von billigen Arbeitskräften aus den osteuropäischen
Staaten. Diese Befürchtungen wurden nach der Entscheidung, schützende
Übergangsfristen für den Arbeitsmarkt zu schaffen, teilweise beseitigt. Die
Öffnung der Grenzen muss nicht unbedingt das Phänomen der „Massenwanderung“
verursachen. Über eine Annahme einer Arbeitsstelle im Ausland entscheiden u.a.
solche Faktoren wie Identität, Mobilität, Kenntnis der Sprache des jeweiligen
Landes und die Adaptationsfähigkeit. Die Tatsache, dass in den letzten zehn Jahren
ca. 600.000 Menschen aus der Emigration nach Polen zurückkamen, bestätigt die
Meinung, dass polnische Bürger vor allem in ihrem eigenen Land nach neuen
Möglichkeiten suchen.
Auf der anderen Seite
beabsichtigen viele EU-Länder aus Mangel an Spezialisten und Fachkräften, keine
Übergangsfristen einzuführen. Man sucht bereits jetzt in osteuropäischen
Ländern nach ihnen. Aus mehreren deutschen Bundesländern (Sachsen,
Sachsen-Anhalt) häufen sich Anfragen nach polnischen Ärzten, um das Defizit an
Arbeitskräften in diesen Regionen zu verringern. In Polen wachsen inzwischen
dennoch Befürchtungen über die Abschöpfung unseres Arbeitsmarktes, was im
Zeitraum des demographischen Rückganges ein echtes Problem für Polen darstellen
könnte. Der Kompromiss im Bereich des Landankaufes hat viele Befürchtungen über
den „Ausverkauf“ des polnischen Grund und Bodens durch reiche Bürger der EU,
darunter vor allem Deutsche, beseitigt. Dabei ging es nicht nur um die
Tatsache, dass die polnischen Grundstücke zu den in Europa niedrigsten Preisen
angeboten würden, sondern um den historischen Aspekt, sowie die Erfahrungen der
polnischen Bevölkerung, für die im 18. und 19. Jahrhundert der Grundbesitz ein
Symbol der nationalen Existenz gewesen ist.
Das Ziel der vor wenigen Jahren gegründeten
Europaregionen war, die Zusammenarbeit in den Grenzregionen zu intensivieren.
Herr Generalkonsul, wie schätzen Sie deren Zukunftschancen ein?
Granat: Die Situation an
den an der deutsch-polnischen Grenze entstandenen Europaregionen wird sich
gravierend ändern, nachdem sie den gleichen EU- Gesetzen unterliegen werden.
Nach der EU-Erweiterung werden die Europaregionen ohne bürokratische
Differenzen einen besseren Zugriff auf finanzielle Unterstützung haben. Sie
können dadurch ihre gemeinsamen Programme zugunsten der Entwicklung der
Infrastruktur besser koordinieren. Sie werden ihre Bedürfnisse und gemeinsamen
Interessen in Brüssel besser darstellen und artikulieren können.
Herr Generalkonsul, welche Aufgaben wird Ihr
Generalkonsulat nach dem Beitritt Polens erfüllen? Gibt es neue Aufgabenbereiche?
Granat: Die Tätigkeit des
Generalkonsulats, genauso wie die der anderen konsularischen Vertretungen in
den EU-Staaten, besteht hauptsächlich darin, eine „breite“
Öffentlichkeitsarbeit für unsere Mitgliedschaft in der EU zu betreiben.
Gleichzeitig wird durch uns eine Informationskampagne vorgenommen, in der die
aktuellsten Standpunkte von Verhandlungen mit der EU dargelegt werden. Darunter
werden umstrittene „Erscheinungen“, die oft als Bedrohung verstanden werden,
umfassend erläutert und entschärft.
Während zahlreicher Konferenzen, Begegnungen und Diskussionen, die in
Sachsen und Thüringen zum Thema EU-Erweiterung stattfinden, versucht das
Generalkonsulat kompetente Ansprechpartner aus Polen zu vermitteln. Oft nehmen
Mitarbeiter unserer konsularischen Vertretung an diesen Veranstaltungen selbst
teil.
Wir analysieren auftretende
Befürchtungen und Ängste im Hinblick auf die EU-Osterweiterung. Gleichzeitig
unterstützen wir Initiativen der Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland.
Herr Generalkonsul, wird sich der Aufgabenbereich Ihrer
Vertretung hier in Leipzig vor Ort zukünftig verändern?
Granat: Die Tätigkeit des
konsular-diplomatischen Dienstes wird sich auf die neue Situation einstellen
müssen. Seine Hauptaufgaben werden weiterhin folgende Bereiche sein: gemeinsame
Politikinteressen, Schutz der äußeren Grenzen, Visa- und
Migrationsangelegenheiten. Hier versuchen wir eine verbindende und vermittelnde
Rolle zu spielen. Ab Juli 2003 wird für unsere östlichen Nachbarn, wie
z.B. Russland, Weißrussland und
Ukraine, eine Visapflicht im Grenzverkehr eingeführt. Polen wird sich auch auf
die Aufnahme in die Schengen-Abkommen vorbereiten. (...) Nach einer bestimmten
Zeit werden sich solche Aufgaben, wie z.B. die Ausgabe von Arbeitserlaubnissen,
deutlich zurückbilden.
Auf der anderen Seite wird unsere Rolle im
Promotionsbereich deutlich wachsen, hier denke ich z.B. an die wachsende Rolle
der Wirtschafts- und Kulturförderung. Wichtig bleibt unsere Rolle beim Knüpfen
von Kontakten, der Zusammenarbeit mit Firmen, Kommunalbehörden und beim
Jugendaustausch.
Herr Generalkonsul, vielen Dank für das Interview. m