Von Udo Kühn
In letzter Zeit ist des öfteren zu hören, dass „Polen nun endlich nach Europa zurückkehre“. Diese Meinung vertreten nicht nur Politiker, sondern auch Kulturschaffende. Das ist natürlich Quatsch, denn die Polen haben sich schon immer zur Mitte Europas gezählt und nicht erst seit der politischen Wende 1989. Auch habe ich einmal in der Schule gelernt, dass Europa bis zum Ural reichen würde. Es ist vielmehr so, dass hier im Westen endlich auf breiter Basis begriffen wurde, dass Polen zum europäischen Kulturraum gehört. Dazu wurde – besonders auch von den Polen selbst – seit Jahrzehnten eine gute Informationsarbeit geleistet. Viele Beispiele gibt es.
Bereits 1947, also kurz nach
Beendigung des Zweiten Weltkriegs, wurde eine Wanderausstellung auf Initiative
der Polnischen Militärmission, die damals ihren Sitz in Berlin-West hatte, u.a.
in Dresden gezeigt. In einem Begleitprospekt1 heißt es „...Die polnische
Regierung steht fest zu den Potsdamer Beschlüssen, die ein einheitliches
Deutschland versprechen...“. Auch geht daraus hervor, dass das Kulturamt der
Stadt Dresden parallel zur Ausstellung einen Abend unter dem Titel „Musik und
Dichtung des polnischen Volkes“ veranstaltete.
Im Westen Deutschlands lief der
Kulturaustausch in den fünfziger und sechziger Jahren nur zögerlich an, aber es
gab bemerkenswerte Ausnahmen. So gab es zum Beispiel „Polnische Wochen“ in
Bremen2 im Jahre 1963 von Radio Bremen und, um beim Radio zu bleiben, 1972 vom
Hessischen Rundfunk ein Sonderprogramm des Hörfunks „Polen heute“ mit
anschließendem Fernsehprogramm über Polen. Das war aber schon im
zeitgeschichtlichen Abschnitt „Nutzung der neuen deutsch-polnischen Beziehungen
nach dem Warschauer Vertrag“. Vorher gab es bereits einige Ausstellungen, z.B.
vom 26. Juni bis zum 28. Juli 1968 in der Kunsthalle zu Kiel „Moderne Malerei
in Polen“, eine Veranstaltung des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins in
Verbindung mit dem Nationalmuseum Warschau. In Kiel wurde dann 1973 nochmals
eine interessante und informative Ausstellung gezeigt: Warschau seit
Canaletto3.
Es gibt eine polnische
Kulturchronik für die Jahre 1944 bis 19654, aus der hervorgeht, dass die
Volksrepublik Polen damals schon mit 32 Staaten auf Grund bilateraler Verträge
oder offizieller Übereinkommen einen Kulturaustausch pflegte. Dazu unterhielten
mindestens 50 Länder einen lebhaften kulturellen Austausch mit Polen ohne
offizielle Verträge. Die Leistungen im polnischen „Kulturexport“ zeigen
folgende abgerundete Zahlen für diesen Zeitraum:
- 200 Musikensembles traten in 40
Ländern im Rahmen von 500 Auslandstourneen auf
- 500 Solisten unternahmen 3000
Reisen in 50 Länder
- 20 Theaterensembles traten in
25 Ländern im Rahmen von 120 Gastreisen auf
- 300 Kunstausstellungen wurden
in 50 Ländern gezeigt
- 3800 Transaktionen zur
Aufführung polnischer Filme wurden mit 60 Ländern abgeschlossen
- 2500 literarische Werke wurden
in 38 Ländern in Fremdsprachen übersetzt.
In der DDR erschienen 347
Übersetzungen aus dem Polnischen, in der Bundesrepublik 139, in Westberlin 14
und in Österreich 31. Karl Dedecius und Klaus Staemmler, die bekannten
Übersetzer aus der Bundesrepublik, begannen ebenfalls in den sechziger Jahren
mit ihrem großen Übersetzungswerk aus dem Polnischen ins Deutsche. Sie brachten
es zusammen auf weit über hundert übersetzte Titel in rund 40 Jahren. Das
Deutsche Polen-Institut gab von Anfang der achtziger Jahre bis zum Jahr 2000
die „Polnische Bibliothek“ heraus, insgesamt 50 Bände, wovon die letzten beiden
auf der Frankfurter Buchmesse 2000, mit Polen als Gastland, präsentiert wurden.
An die 90 Übersetzer arbeiteten an diesem großen Werk mit, finanziell vor allem
durch die Robert Bosch Stiftung in Stuttgart unterstützt.
Nicht zuletzt müssen die
vielfältigen Bemühungen auf dem Gebiet der deutschsprachigen Presse aus Polen
erwähnt werden5.
Nach Abschluss des Warschauer
Vertrags im Dezember 1971 setzte ein starker Kulturaustausch mit Polen ein. Das
waren Einzelinitiativen von Gemeinden, Städten, Landkreisen und Bundesländern,
aber auch von deutsch-polnischen Gesellschaften (anfangs nur von der
Deutsch-Polnischen Gesellschaft mit Sitz in Düsseldorf), Volkshochschulen und
Privatfirmen, die in ihren Räumen, wie beispielsweise der Commerzbank und
Lufthansa, Ausstellungen wie die
„Grafika Polska“ zeigten.
Die Volkshochschulprogramme in
der Bundesrepublik und in Berlin-West gaben sich in den siebziger Jahren
besondere Mühe, ein neues Bild von Polen zu vermitteln, sei es durch Vorträge
oder Reiseangebote. Nun ist es auch beim Kulturaustausch so, dass Angebot und
Nachfrage oft weit auseinander klaffen, besonders als in den neunziger Jahren
das Interesse an Polen in der Bundesrepublik nachließ. So musste beispielsweise
das angekündigte Seminar „Polen und Deutschland im Spiegel von Film und
Literatur“, Veranstalter sollten das Deutsche Polen-Institut und die
Volkshochschule in Darmstadt sein, mangels Voranmeldungen ausfallen6. Aber auch
Prominente mussten „Federn lassen“. So schrieb die Presse zur Verleihung des
Übersetzer-Preises an Ryszard Wojnakowski: “...Dedecius, der den Preis als Chef
des Deutschen Poleninstituts übergab, erinnert sich gern an Jena, war er doch
vor 40 Jahren selbst Schreibender für die TLZ [Thüringische Landeszeitung],
bevor ihn sein Weg in den Westen führte...
...Leider hatte die hoch
angebundene Veranstaltung einen peinlichen Beigeschmack: Gerade mal 20 Gäste
nahmen teil. Dr. Dedecius konnte deshalb auch nicht verhehlen, dass dies wohl
das erste und letzte Engagement dieser Art in Jena war.” (Norbert Reif)7. Da
war die Stadt Darmstadt 18 Jahre vorher cleverer, als es 1976 um die Eröffnung
der Ausstellung „Polen berichtet in deutscher Sprache“ in der Stadtbücherei
Darmstadt ging. Hierzu eine kleine Geschichte. Das Kulturamt der Stadt
Darmstadt zeigte sich anfangs sehr kooperationswillig und fragte sogar an, ob
mir an einer Eröffnung durch den Oberbürgermeister gelegen wäre, allerdings
nur, wenn ich die Kosten für ca. 500 Einladungen übernehmen würde. Begründet
wurde dies damit, dass ja “sicher die Polen diese Kosten tragen würden”. Mein
Hinweis, dass ich die Kosten selbst tragen müsste, stieß scheints auf keinen
Glauben. Vor der Ausstellungseröffnung, die abends stattfand, kam dann jemand
vom Kulturamt und stöberte ein bisschen auf dem Zeitschriftenauslagetisch und
meinte: “Da ist doch nichts Kommunistisches dabei?” Nach meiner kleinen Ansprache
zur Ausstellungseröffnung, bei der ich diese Geschichte zum Besten gab, es
waren überwiegend Darmstädter Freunde und Bekannte anwesend, stellte sich der Oberbürgermeister
Winfried Sabais vor. Er war privat gekommen8.
Selbst in der großen Stadt Berlin
kann es schief laufen: Da standen wir einsam im Mai 1997 in Berlin, zwei
Referenten, die Geschäftsführerin einer Deutsch-Polni-schen Gesellschaft und
sage und schreibe drei Gäste, die sich einen Vortrag über den TRAIN D’EUROPE,
einem deutsch-polnischen Jugend- und Kulturprojekt anhören wollten. Ins Leben
gerufen wurde das Projekt im November 1989 aus Anlass des Besuchs des damaligen
Bundeskanzlers Helmut Kohl in Polen, als die ehemalige Ministerin für Jugend,
Familie, Frauen und Gesundheit, Ursula Lehr, dem früheren polnischen
Jugendminister und heutigen Staatspräsidenten, Aleksander Kwaśniewski, das
Modell eines umgebauten Eisenbahnwagens übergab. Anfangs lief das Projekt unter
dem Namen „Jugendkulturbahn (Jukubahn)“ und wurde im Mai 1996 als Train
d’Europa dem Verkehr übergeben. Rund 650 deutsche und polnische Jugendliche
haben daran gebaut, ein Projekt, das 2,1 Millionen Mark gekostet hat,
hauptsächlich von der „Stiftung deutsche Jugendmarke“ finanziert9. Inzwischen
ist es um dieses Projekt leider wieder still geworden, die privaten Betreiber
warten auf eine stärkere Nutzung10.
Bundesdeutsche Kommunen und/oder
örtliche Gesellschaften sowie kirchliche Verbände mit polnischen Partnern
veranstalteten ab den siebziger Jahren zunehmend Polnische Tage bzw. Polnische
Wochen. Eine Auswahl: Berlin (1970), Kiel (1971), ZDF (1972), Göttingen (1972,
1973, 1976), Bad Segeberg (1973), Saarbrücken (1973), Biberach/Riss (1973),
Mannheim (1973), Essen (1974), Düsseldorf (1976), Frankfurt/Main (1976),
Augsburg (1977), Esslingen (1980), Darmstadt (1985), Wiesbaden (1987), Hannover
(1990), Freiburg (1991), Hamburg (1993), Erfurt (1994), Halle (1994), Berlin
(1994), Sachsen-Anhalt (1994), Münster (1995), Ratzeburg (1997), Hamburg (1999)
und Berlin (2000).11
Es bildeten sich neue
Deutsch-Polnische Gesellschaften und Städtepartnerschaften. Vorreiter waren in
der BRD Göttingen (1972)12 mit Toruń (Thorn) und 1976 Bremen mit Gdańsk
(Danzig). Hans Koschnick, der damals Bürgermeister von Bremen war und heute
Präsident des Deutschen Polen-Instituts
ist, schrieb einen ausführlichen Artikel in der polnischen Monatsschrift
“Polen”13 zu den Städtebeziehungen zwischen Bremen und Danzig.
Auch in der DDR entstanden
Städtepartnerschaften, so zum Beispiel bereits 1972 zwischen Frankfurt/Oder und
Zielona Góra (Grünberg)14. Wie das Deutsche Polen-Institut registriert – dort
findet jährlich ein deutsch-polnisches Städtekolloqium statt – gibt es
mittlerweile über 350 deutsch-polnische Städtepartnerschaften. Durch diese
Partnerschaften wird ein ständiger Kulturaustausch zwischen Polen und Deutschland
belebt. Natürlich schläft die eine oder andere Partnerschaft wieder ein, meist
durch Finanzierungsprobleme bedingt, denn bekanntlich wird an einem Kulturangebot
als erstes gespart, so zum Beispiel auch zwischen Wiesbaden und Wroc³aw
(Breslau)15.
Andererseits gibt es auch wieder
neue Initiativen, wie die des deutsch-polnischen Poetendampfers, der erstmals
1995 über die Oder, dem Grenzfluss zu Polen schipperte. Mit deutschen und
polnischen Dichtern besetzt organisiert diese Initiative rechts und links des
Flusses Kulturveran-staltungen16.
Ständige Vermittler der
polnischen Kultur sind neben dem bereits mehrmals erwähnten Deutschen
Polen-Institut17 in Darmstadt (seit 1981) auch polnische Informationseinrichtungen
in Berlin, Düsseldorf und Leipzig:
- Berlin:
Dieses Polnische Kulturinstitut wurde bereits 1956 gegründet und war
ursprünglich an der Weidendammer Brücke angesiedelt und hat seit 1972 seinen
Standort in der Nähe des Alexander-platzes18.
- Düsseldorf:
Am 24. April 1980 wurde die Depolma Ars Polona Galerie mit einer Ausstellung
eröffnet, das Polnische Kulturinstitut19 besteht erst seit 1993.
- Leipzig:
Hier erfolgte die Institutsgründung 196920.
Am Kulturangebot mangelt es in
diesen Einrichtungen nicht, Interesse und Nutzung sind gefragt. m
1 Im Archiv der Dokumentation Polen-Information
2 Begegnung mit Polen, Aus dem
Programm der Polnischen Woche [von
Radio Bremen], Verlag B. C. Heye, Bremen 1963, 170 S.
3 Kunsthalle Kiel (Hrsg.):
Warschau seit Canaletto; Glanz, Verwüstung, Wiederaufbau; Ausstellungskatalog;
Kiel 1973
4 Motyka, Lucjan: Die Kultur
Volkspolens in der Welt; aus: Die Kultur Volkspolens, PWE, Warschau 1966, S.
341-359; mit einem Anhang: Kulturchronik 1944-1965; S. 413-441; Bearbeitet von
Bolesław Kosterkiewicz
5 siehe POLEN und wir, Nr.
1/2002; Informationen aus erster Hand,
S. 22-24
6 Darmstädter Echo vom 3. März
1994
7 Thüringische Landeszeitung vom
15. Juli 1994
8 Darmstädter Echo vom 25.
November 1976
9 Frankfurter Rundschau vom 25.
Dezember 1993
10 siehe auch im Internet unter:
www.corvus-gesellschaft.de/art3.html und
www.db-bildung-international.de/html/
train.shtml
11 aus der Datenbank der
Dokumentation Polen-Information
12 Nordsee-Zeitung vom 24. Juni
1972
13 Monatsschrift “Polen”
(Warschau) vom September 1976
14 Neues Deutschland vom 25.
Februar 1972
15 Wiesbadener Kurier vom 2. März
1995
16 Potsdamer Neueste Nachrichten
vom 21. September 1995
17 im Internet:
www.deutsches-polen-institut.de
18 im Internet:
www.polnischekultur.de /information.html
19 im Internet:
www.pol-institut.de/kalender.htm
20 im Internet: www.polinst-l.de /fs_prog.html