Polen, Deutschland und Europa – Abschied von Gestern

Tagung aus Anlass des 55. Jahrestages der Gründung der Helmut-von-Gerlach Gesellschaft

Von Daniela Fuchs

 

Diese Tagung am 31. Mai war etwas anders als die Treffen der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland der letzten Jahre. Die Gründe dafür sind in der aktuellen politischen Entwicklung zu suchen. So sind die offiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen durch die unterschiedliche Haltung zum Irakkrieg und zur Bush-Administration auf einem Tiefpunkt angelangt. Der Vorsitzende Prof. Christoph Koch erwähnte in seiner Begrüßung zu Beginn der Tagung, dass erstmals seit langer Zeit, wieder Mitglieder die Gesellschaft aus politischen Gründen verlassen wollen. Sie sähen keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit, wenn Polen so offen einen völkerrechtswidrigen Krieg unterstützt und sogar daran teilnimmt. Prof. Koch forderte dagegen in der Deutsch-Polnischen Gesellschaft ein Umdenken, ein Einstellen auf die aktuellen Gegebenheiten. Dabei sei es besonders wichtig, junge Menschen für die Arbeit der Gesellschaft zu gewinnen.

 

Bereits am Vorabend fand in den Räumen der Galerie Olga-Benario in Berlin Neukölln vor etwa 50 Zuhörerinnen und Zuhörern ein Gespräch zwischen Dr. Friedrich Leidinger, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, und Prof. Dr. Stefan Leder über dessen Lebensweg unter dem Motto „Ein Jahrhundert deutsch-polnischer Beziehungen im Spiegel einer persönlichen Biographie“ statt. Prof. Dr. Leder stellte dabei seine jüngst erschienene Autobiographie vor (s.a. ausführliche Besprechung in der letzten Ausgabe von POLEN und wir, S. 21-22).

Herzlich begrüßt wurden dann zu Beginn der Tagung am Samstag der 2. Sekretär  der Botschaft der Republik Polen  in der Bundesrepublik, Herr Swidziński und Prof. Jan Barcz vom Institut für Internationale Angelegenheiten (SGH) aus Warschau, der zum Thema “Polen und die Europäische Verfassung” die Einführung zur Diskussion gab.

In seinen Ausführungen ging Prof. Barcz auf die Rolle Polens in Europa ein. Seiner Meinung nach muss Polen hier erst noch seinen Platz bestimmen. Es begreift sich nicht als neue Macht in Ostmitteleuropa, auch nicht, wie oft fälschlicherweise behauptet wird, in erster Linie als Vermittler zwischen Europa und Amerika. Der Bei-tritt Polens in die EU stellt das Land vor andere Herausforderungen.

Bis vor kurzem, so Prof. Barcz, gab es in Polen die Vorstellung, dass sich die EU nur mit Subventionen für die Bauern beschäftigen würde. Erst seit ein paar Monaten diskutieren die politischen Parteien über die neuen politischen Herausforderungen, die der EU-Beitritt mit sich bringt. So sind die EU-Erweiterung und der Transformationsprozess im Lande selbst eng mit einander verknüpft. Die Folgen sind eine Stärkung der demokratischen Strukturen, des Parlaments, eine Stärkung der Wojewodschaften und damit eine Aufwertung der Regionen. Es gibt aber auch Ängste in Bezug auf die Souveränität Polens. Deshalb müssen alle Entscheidungen in und um die EU für Polen transparent sein. Polen  will sich aktiv am Entscheidungsprozess innerhalb der EU-Gremien beteiligen. Eine Änderung der bisherigen EU-Strukturen sind deshalb notwendig. Polen selbst hätte auch gern eine Verankerung der christlichen Werte in der Europäischen Verfassung. Es spricht sich auch für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU aus.

Die Frage, ob es in Polen eine ernsthafte Diskussion über eine Alternative zum EU-Beitritt gegeben habe, verneinte Prof. Barcz. Seiner Meinung nach würde ein Nichtbeitritt Polens einen politischen Rückschlag für sein Land bedeuten und seiner weiteren Entwicklung schaden. Deshalb habe das Referendum über den EU-Beitritt auch eine so große Bedeutung. Aber Polen würde auch ohne Beitritt weiter existieren. Prof. Barcz lehnte für den Fall eines Scheiterns des Beitrittsreferen-dums in Polen ein Katastrophenszenario ab. Heftig widersprach er auch der Auffassung, dass Polen die Beitrittsregeln nicht akzeptieren würde.

Die Diskussion wurde erregter und kontrovers als es um Polens Engagement im Irakkrieg und seinen Einsatz als ‚Besatzungsmacht’ ging. Barcz betonte, dass sich Polen für einen Interessenausgleich zwischen den Großmächten einsetzen würde, da sonst seiner Auffassung nach, andere Entscheidungszentren ohne die EU z. B. die USA, Russland und China entstehen würden. Die polnische Außenpolitik habe schon seit Jahren den transatlantischen Bezug gehabt. Gleichzeitig sprach er sich für Reformen in der UNO aus und für eine Veränderung des Entscheidungsprozesses im Sicherheitsrat.

Die Teilnehmer der Konferenz einigten sich darauf, statt der geplanten Arbeitsgruppen zu den „Altlasten“ und den „Neulasten“ in den deutsch polnischen Bezie-hungen diese Themen hintereinander im Plenum zu diskutieren. Auf folgende Fragen sollte versucht werden, Antworten zu finden. Reichen die gemeinsamen deutschen und polnischen Interessen für eine dauerhaft gute Nachbarschaft aus? Oder finden die deutsch polnischen Widersprüche der Vergangenheit auch in einer zu-künftigen europäischen Struktur ihre Fortsetzung? Zu den „Altlasten“ gab Dr. Joachim Beicker vom Referat für Ost- und Mitteleuropa des Auswärtigen Amtes den Anstoß für die Diskussion. Er ging ausführlich auf das deutsche Polenbild und das Bild der Deutschen in Polen ein. Dabei wurden Stereotype wiederholt, die den Zuhörern allgemein bekannt waren. Er erinnerte an schmerzliche Ereignisse aus der Geschichte beider Völker aber auch an Perioden der Polenfreundschaft. Seine Ausführungen wurden von keinem der Teilnehmer in Frage gestellt. Vielmehr interessierte, ob deutsche Alteigentümer entschädigt werden sollten und ob es in diesem Zusammenhang zu Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof kommen kann.

Das zweite Impulsreferat zu den „Neulasten hielt Dr. Holger Politt. Er ist nicht nur Vorstandsmitglied unserer Gesellschaft, sondern vertritt seit kurzem die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau. Folgende Thesen, die das deutsch-polnische Verhältnis belasten, stellte er zur Diskussion. Das ist einmal die von verschiedenen Kreisen auf deutscher Seite immer wieder in den Mittelpunkt geschobene sogenannte Vertriebenenfrage. Hinzu kommen Irritationen, die in Deutschland im Zusammenhang mit der offiziellen Haltung Polens in der Irak-Krise auftraten. Der demonstrative Schulterschluss Polens mit der jetzigen US-Administration ist, nach Politts Meinung, auch eine Folge der unseligen Diskussion um die Eigentums- und Grundstücksfrage. Dieser Schulterschluss Polens mit den USA entspricht dem Sicherheitsbedürfnis Polens. Politt verweist außerdem auf die dramatische soziale Situation in Polen. So sind annähernd 40% aller erwerbsfähigen Menschen unter 28 Jahren als Arbeitslose registriert. Bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von etwa 20% bekommen nur 18% der Arbeitslosen Lohnersatzleistungen. Deutschlands Versuch, durch möglichst lange Übergangsfristen z. B. bei der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt Zeit zu gewinnen, ist nur ein Ausdruck uneingestandener Hilflosigkeit. Von deutscher Seite, so Politt, sollte Polen bestärkt werden, in den Beziehungen zu seinen östlichen Nachbarn nicht nur in Bezug auf die EU-Außengrenze unkonventionelle und zukunftsweisende Wege zu gehen.

In der anschließenden Diskussion wurden u. a. Fragen der Schwarzarbeit von Polen in Deutschland und Unsicherheiten in Polen vor möglichem Landkauf durch Deutsche angesprochen. Ebenso wurden Probleme der deutschen Minderheit in Polen angesprochen und über die Sinnhaftigkeit eines Zentrums für Vertreibung debattiert.

In seinem Schlusswort bekräftigte Dr. Friedrich Leidinger, dass sich die Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD trotz aller Schwierigkeiten auch in Zukunft für die deutsch-polnische Verständigung einsetzen wird und ließ die Frage: „Wäre es besser, wenn es uns nicht gäbe?“ im Raum stehen.

Am Abend des selben Tages fand unter der Schirmherrschaft des Botschafters der Republik Polens, Dr. Andrzej Byrt, ein Festkonzert im Wappensaal des Berliner Rathauses, Rotes Rathaus mit über 150 Zuhörerinnen und Zuhörern statt. Dieses Konzert wurde zusammen mit der Paul-Hindemith-Gesellschaft in Berlin e.V. organisiert und finanziell unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, dem Polnischen Fremdenverkehrsamt, der Rosa-Luxemburg Stiftung, dem Kulturring in Berlin e.V., LOT und POLEN und wir.                                                                                                                                                                   m

 

Aus dem Grußwort des Botschaftsrates der Botschaft der Republik Polen in Berlin, Herrn Wojciech Więckowski

(...) Es ist für mich eine Ehre und Freude zugleich, der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zum 55. Jahrestag der Gründung der Hel-mut-von-Gerlach-Gesellschaft, deren Idee der Annäherung mit Polen sie weiterhin pflegt, persönlich gratulieren zu dürfen. (...)

Die Helmut-von-Gerlach-Gesellschaft war die erste deutsch-polnische Gesellschaft, die bereits 3 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Zielge gegründet wurde, sich für die Verständigung mit dem Nachbarland Polen einzusetzen. Sie nahm den Namen eines  Politikers an, der als Beamter in preußischen Diensten sich bereits für deutsch-polnische Verständigung einsetzte.(...) Bemerkenswert ist, was Helmut von Gerlach bereits nach dem Ersten Weltkrieg einzusehen vermochte. Ich zitiere seine Worte: „Die deutsche Politik hat schwer gesündigt. Aber mit dem künftigen Polen soll und muss Deutschland friedlich zusammenleben.“ An dieses Motto hält sich die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland weiterhin.

Die Geschichte der Helmut-von-Gerlach- Gesellschaft wurde mit der Teilung Deutschlands von der deutsch-deutschen Geschichte geprägt. (...) Das wichtigste Ziel wurde aber im Sinne des Namensgebers im Auge behalten. Der lange Weg der deutsch-polnischen Verständigung führte zu zwei wichtigen bilateralen Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen: 1990 über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze und 1991 über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit.

Der Beitrag der bürgerlichen Initiativen, organisiert in deutsch-polnischen Gesellschaften, ist immens. Sie wirkten und wirken im Sinne weiser Erkenntnis, dass die Botschaft, von Helmut von Gerlach nach dem Ersten Weltkrieg verkündet, nach wie vor nichts an ihrer Aktualität verloren hat: "Wir sollen versuchen, jeder in Anerkennung der großen Eigenschaften des Anderen in Zukunft miteinander auszukommen. (...) Arbeiten wir statt für eine Zukunft der Völkerverhetzung für eine Zukunft der Völkerverständigung".

Jahrestage veranlassen immer zum Rückblick und zur Bilanz einerseits, andereseits kommt man nicht umhin,  über die Zukunft nachzudenken. (...) Eine Woche vor dem Referendum, in dem polnische Bürger und Bürgerinnen über den Beitritt Polens zur Europäischen Union entscheiden werden, sind zukunftsgerichtete Reflexionen unumgänglich.

Sehr treffend wurde das Thema der Tagung formuliert: „Polen, Deutschland und Europa - Abschied von Gestern“. Im Rückblick auf die Entwicklung vom Internationalismus zum Globalismus gab es gestern die Gelegenheit, über deutsch-polnische Beziehungen im Spiegel einer persönlichen Biografie zu sprechen. Am heutigen Vormittag wurde über „Polen und die Europäische Verfassung“ diskutiert. Ich darf kurz daran erinnern, dass wir Anfang des Monats mit einem Festkonzert aus Anlass des Polnischen Nationalfeiertages unserer Verfassung vom 3. Mai 1791 gedacht haben. Es war zugleich die erste in Europa formell schriftlich verfasste und vom Parlament verabschiedete Verfassung.

Nun ist am heutigen Abend, nachdem am Nachmittag in Arbeitsgruppen über „Altlasten“ und „Neulasten“ der deutsch-polnischen Nachbarschaft diskutiert wurde, wieder Zeit, Musik erklingen zu lassen, Werke weltberühmter Komponisten zu genießen, dargeboten von Interpreten aus aller Welt.

Der polnische Botschafter Dr. Andrzej Byrt würde jetzt wahrscheinlich den polnischen Aphorismenautor Stanislaw Jerzy Lec zitieren: „Fassen wir uns kurz. Die Welt ist übervölkert von Wörtern“.

Meine Damen und Herren, ich fasse mich kurz: Ich wünsche Ihnen einen unvergesslichen musikalischen Genuss. Möge uns die Musik auch dazu inspirieren, am deutsch-polnischen Dialog in einem sich vereinigenden Europa weiterhin aktiv teilzunehmen.                                                                                                         m